Lebensversicherung: Blendende Solvenzwerte - und knapp bei Kasse?
Der Bund der Versicherten (BdV) hat erneut mit dem Analysten Carsten Zielke die Finanzkraft der deutschen Lebensversicherer ausgewertet. Das Ergebnis ist widersprüchlich. Aufgrund der steigenden Zinsen sieht die Solvenz der Lebensversicherer blendend aus - doch stille Lasten bereiten auf der Aktivseite Sorgen. „Das Geld wird knapper“, ist folglich die Studie überschrieben.
Die Analystinnen und Analysten um Dr. Carsten Zielke haben über verschiedene Kenngrößen die Situation von 78 Lebensversicherern unter die Lupe genommen. Neben dem Solvabilitätsniveau (Solvenzquote) prüften sie unter anderem das Marktrisiko, die Gewinnerwartungen, den Grad der Diversifikation der Kapitalanlagen, die Beteiligung der Versicherten an den Überschüssen sowie der Umgang mit Nachhaltigkeits- beziehungsweise ESG-Risiken.
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Zinswende ändert Situation grundlegend
Die Zinswende hat die Situation der Lebensversicherer schlagartig geändert. Über viele Jahre waren die niedrigen Zinsen die größte Sorge der deutschen Lebensversicherer: neue Produkte mussten installiert werden, die weniger auf Zinsen und mehr auf den Kapitalmarkt setzten, die hohen Garantiezusagen aus Altverträgen waren kaum noch zu erwirtschaften. Trotzdem gestaltete sich das Neugeschäft positiv: auch, weil Verträge gegen Einmalbeitrag einen beinahe historischen Boom mit Zuwächsen im zweistelligen Prozent-Bereich verzeichneten. Aber als Antwort auf die Rekordinflation, die auf den Ukraine-Krieg folgte, hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins mehrfach angehoben. Weil die Versicherer neue Anlagen wieder mit höheren Zinsen zeichnen können, müssen sie auch weniger Geld der sogenannten Zinszusatzreserve zuführen. Damit steht mehr Geld für neue Investitionen zur Verfügung.
Infolge des Zinswandels hat sich auch die Solvenz der deutschen Lebensversicherer deutlich verbessert. Die durchschnittliche ausgewiesene Solvenzquote erhöhte sich von 458 Prozent im Jahr 2021 auf 601 Prozent in 2022. Zu Bedenken gilt es hier: Bis zum Jahr 2032 dürfen die Versicherer mit erleichterten Übergangsregeln rechnen, um eine ausreichende Finanzkraft nachzuweisen. Unter anderem dürfen sie bei der Bewertung ihres Risikos schwankende Marktwerte ausgleichen, wenn sie lang laufende Anleihen halten: Diese haben einen festen Endwert, wenn sie gehalten werden, aber ihr Wert ist zwischenzeitlich sehr volatil. Entsprechend weist Zielke auch eine "reine Quote“ (ohne Übergangsmaßnahmen, nicht eingezahltem Eigenkapital und Volatilitätsanpassung) aus, die sich ebenfalls deutlich erhöht hat: von 265 Prozent auf 390 Prozent.
Folglich verringerte sich auch Zahl der Unternehmen, die eine Solvenzquote von 100 Prozent ausweisen, deutlich. Waren im Jahr 2021 noch acht Unternehmen betroffen, so blieb in der aktuellen Studie nur noch ein Versicherer übrig, der auch ohne Übergangsmaßnahmen der Anforderungen der Versicherungsaufsicht nicht erfüllen würde: die Öffentliche Oldenburger hat eine Solvenzquote von nur 71 Prozent.
Stille Reserven verwandeln sich in stille Lasten
Die negativen Auswirkungen der Zinswende zeigen sich aber ebenfalls in der Kapitalanlage: sogenannte stille Lasten. Viele Versicherer haben in den vergangenen Jahren ihren Bestand mit niedrig verzinsten Kapitalanlagen gefüllt, die zwar einen festen Endwert haben, aber nun vorübergehend teils massiv an Wert verlieren. Denn neue Geldanlagen können ja mit höherem Zins bzw. mit höherer Rendite gezeichnet werden. Der Kurswert niedrig verzinster Anleihen, die während der vergangenen zehn Jahre erworben wurden, sank teils massiv. Sieht sich nun ein Versicherer gezwungen, aufgrund vieler Vertragskündigungen bzw. hoher Verpflichtungen sein Tafelsilber zu verscherbeln, müssen diese Kapitalanlagen mit deutlichen Wertverlusten verkauft werden.
Laut Analyse könnte einigen Lebensversicherern neue Risiken drohen, die eine hohe Zahl an stillen Lasten tragen und wenig diversifiziert beziehungsweise stark in Staatsanleihen investiert sind. „Diese Gesellschaften müssen schauen, dass die Kunden nicht stornieren, da die Eigenmittel ansonsten wohl schnell aufgebraucht werden sein dürften“, heißt es in der Studie. Derzeit seien im Schnitt 8,1 Prozent der Kapitalanlagen im Minus: mehr, als von den Analysten erwartet wurde. Die höchste stille Last zeigt die Dortmunder mit einer Kapitalanlage-Bewertung von -36,09 Prozent, gefolgt von der Concordia Leben (-30,35 Prozent) und der myLife Leben (-20,54 Prozent).
Auf höhere Gewinn- bzw. Überschussbeteiligungen werden die Kundinnen und Kunden aus Sicht der Analysten noch warten müssen. Denn die Versicherer können ihre Geldanlagen nur langsam in renditestärkere Alternativen umschichten. "Lebensversicherungen erreichen damit weiterhin nicht ansatzweise das Minimalziel einer jeden Geldanlage, nämlich das Vermögen gegen die Inflation zu schützen“, sagt BdV-Vorstandssprecher Stephen Rehmke. Er verweist darauf, dass der Anlagezins am Markt mit deutlich über 3,25 Prozent auf einem Niveau liege, das der Höchstrechnungszins von Lebensversicherungen zuletzt vor zwanzig Jahren erreicht habe.
Untersucht wurden in der Studie neben dem Solvabilitätsniveau (Solvenzquote) unter anderem das Marktrisiko, die Gewinnerwartungen, den Grad der Diversifikation der Kapitalanlagen, die Beteiligung der Versicherten an den Überschüssen sowie der Umgang mit Nachhaltigkeits- beziehungsweise ESG-Risiken. Das Ergebnis der Auswertung ist die „Solvency II - Qualität Total“, eine Gesamtnote, die über ein Punktesystem ermittelt wurde. Der BdV stellt die Studie auf seiner Webseite als Download zur Verfügung. Sie findet sich auch auf der Webseite von Zielke Research.
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