Rechtsschutzversicherung: „Der Raum für neue Produktideen ist groß“
Ist die Rechtsschutzversicherung ein „langweiliger“ Versicherungszweig ohne echte Evolution? Keineswegs, wie Tanja Carl – Abteilungsleiterin Produkt- und Bestandsmanagement bei der ARAG SE – im Interview verdeutlicht. Auch im Rechtsschutz-Bereich sind die Versicherer angehalten, auf neue Entwicklungen zu reagieren.
- Rechtsschutzversicherung: „Der Raum für neue Produktideen ist groß“
- „Der Blick in die Glaskugel ist durch die teils extreme Dynamik bei der Digitalisierung schwierig“
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Versicherungsbote: Die Sinnhaftigkeit einer Rechtsschutzversicherung wird unterschiedlich eingeschätzt. Wie beurteilen Sie deren Stellenwert?
Tanja Carl: Als sehr hoch! Nicht nur in Deutschland ist das gesamtgesellschaftliche Sicherheitsbedürfnis durch die zahlreichen Unsicherheitsfaktoren seit Ausbruch der Pandemie 2020 deutlich gestiegen. Die Verbraucher suchen im Krisenmodus nach Möglichkeiten, ihren Lebensstandard zu sichern. Konkret geht es um die drei Grundbedürfnisse „Arbeit“, „Wohnen“ und „Gesundheit“. Die Rechtsschutzversicherung spielt hierbei eine Schlüsselrolle.
Aus Sicht der Menschen ist sie längst kein Nischenprodukt mehr. Vielmehr hilft sie, das Einkommen und das Dach über dem Kopf für Familien wirksam abzusichern – und bietet rechtliche Orientierung und Sicherheit. Die Bedeutung für die Verbraucher zeigt sich auch im stetig wachsenden Bestand an Rechtsschutzversicherten. Bei der ARAG SE steigt die Zahl der Kunden seit Längerem jährlich im hohen fünfstelligen Bereich.
Wie bei anderen Versicherungszweigen haben neue Gesetze oft starke Auswirkungen auf die Sparte. Welche Änderungen haben sich in letzter Zeit in der Rechtsschutzversicherung ergeben?
Im Juli trat in Deutschland das Gesetz über die Verbandsklage in Kraft. Deren Ziel ist es, Verbraucheransprüche einfacher zu klären und durchzusetzen und damit auch die Justiz von massenhaften Einzelklagen zu entlasten. Wie schon bei der Musterfeststellungsklage befürworten wir auch hier die Bündelung gleichgelagerter Klagebegehren, wenn dadurch die Rechte unserer Kunden effektiv durchgesetzt werden. Zudem nimmt das Themenfeld Nachhaltigkeit in deutschen sowie europäischen Vorgaben, Richtlinien und Gesetzen immer mehr an Bedeutung ein – und innerhalb dieses Themenfelds auch der Zugang zum Recht. Die Chancengleichheit vor dem Recht gehört zur DNA unserer ARAG als Rechtsschutzversicherer und deckt sich voll mit unserer Gründungsidee. Aber auch viele weitere Nachhaltigkeitsaspekte sind bereits Bestandteil unserer Konzernstrategie.
Das Prüfen und Erstatten von Anwalts-, Gerichts- oder Sachverständigenkosten gehört zu den Hauptaufgaben einer Rechtsschutzversicherung. Welche weiteren Leistungen haben sich in den letzten Jahren etabliert?
Eine ganze Menge. Ein paar Beispiele: Anwaltstelefone und Online-Dokumentenservices sorgen schon lange für eine schnelle erste Hilfestellung und rechtliche Orientierung. Auch die Mediation hat sich als alternative Konfliktlösungsmöglichkeit zu Gerichtsverfahren längst erfolgreich etabliert. In den letzten Jahren haben sich zudem rasant Bot-Lösungen entwickelt, die direkte Unterstützung bei speziellen Themen bieten – von der Verkehrs-Ordnungswidrigkeit bis hin zur Eigenkündigung durch einen Arbeitnehmer. Ein weiterer Mehrwert ist die Unterstützung und Kostenübernahme bei der Erstellung von Wohnungs-Übergabeprotokollen sowie bei der Prüfung von Verträgen und Arbeitszeugnissen. Wird ein Kunde unseres Internet-Rechtsschutzes ARAG web@ktiv Opfer einer Cybermobbing-Attacke, kann er sich direkt telefonischen Rat von einem Psychologen holen. Für Gewerbekunden wiederum sind Zahlungsausfälle ein brennendes Thema. Hier hilft unser Online-Forderungsmanagement.
Wie groß ist im Bereich der Rechtsschutzversicherung der Raum für Innovationen und neue Produktideen?
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Der Raum ist groß – und wir nutzen ihn auch weiterhin rege, um zusätzliche Mehrwerte für unsere Kunden zu schaffen. Dank Künstlicher Intelligenz und Data Analytics sind wir in der Lage, über Smart Pricing jedem Kunden seine Rechtsschutzversicherung zu einem möglichst individuellen, seinem persönlichen Risiko angepassten Beitrag anzubieten. Es gibt aber auch Kunden, die bereits einen Rechtsschutzfall haben, jedoch keine Rechtsschutzpolice. Für sie haben wir 2016 das Konzept der Rückwärtsdeckung im Rechtsschutzmarkt eingeführt – damals für bestimmte Fälle im Verkehrsbereich und kurz darauf auch im Mietbereich. Diese Fälle können mit dem Abschluss unserer Sofort-Policen versichert werden, auch wenn sie vor dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses liegen. Seit 2022 gibt es zusätzlich den ARAG Rechtsschutz mit Soforthilfe. Die Soforthilfe gilt für einen Fall ganz unabhängig vom versicherten Rechtsgebiet und ebenfalls unabhängig davon, ob dessen Ursprung vor Vertragsbeginn liegt.
„Der Blick in die Glaskugel ist durch die teils extreme Dynamik bei der Digitalisierung schwierig“
Cybergefahren nehmen einen immer größeren Raum ein und sind auch mit Haftungsrisiken verbunden. Wie werden diese bereits in aktuellen privaten und gewerblichen Rechtsschutz-Bedingungswerken abgedeckt? Gibt es Risiken, die hierbei nicht versicherbar sind – oder in Zukunft nicht mehr versicherbar sein werden?
Mit ARAG web@ktiv haben wir in 2012 als erster Versicherer in Deutschland ein spezielles Zielgruppenprodukt für private Internetnutzer und kurz darauf auch für Gewerbekunden auf den Markt gebracht. Mittlerweile hat sich daraus eine eigene Sparte entwickelt. Ziel war und ist es, die Kunden bestmöglich vor den vielen Gefahren rund um die Internetaktivitäten zu schützen. Opfer von Datenklau, Cyber-Mobbing, Online-Betrug oder Identitätsmissbrauch kann jeder werden. Aber auch Vorwürfe rund um Verstöße gegen die EU-DSGVO oder das Wettbewerbsrecht sowie rund um Urheberrechtsverletzungen sind nicht selten. Hier bieten Cyber- beziehungsweise Internetdeckungen einen stetig wachsenden Schutz. Der Blick in die Glaskugel zur weiteren Entwicklung ist durch die teils extreme Dynamik bei der Digitalisierung schwierig. Umso wichtiger ist es, alle Entwicklungen stets im Auge zu haben und den Leistungsumfang schnell auf sich verändernde Kundenbedürfnisse anzupassen.
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Die Gesellschaft altert, Vorsorgeverfügungen gewinnen daher an Bedeutung. Warum sollten Vermittler derartige Versicherungsleistungen im Auge haben?
Sie sind für die Verbraucher im Alltag von elementarer Bedeutung. Wenn sie im Rahmen der Rechtsschutzversicherung mit abgedeckt sind, ist das ein klarer Mehrwert. Die Kunden und Verbraucher erwarten von einer guten Rechtsschutzversicherung heute weitaus mehr als reinen Kostenschutz für Gerichtsverfahren – sie erwarten breite Unterstützung bei rechtlichen Belangen in möglichst allen Lebensbereichen. Deshalb hat die ARAG rund um Patientenverfügungen die Vermittlung von spezialisierten Dienstleistern und die Kostenübernahme schon vor mehr als 10 Jahren eingeschlossen – und hat wenig später auch Belange rund um Sorgerechtsverfügungen eingeschlossen. In der Premiumvariante bieten wir zusätzlich einen Beratungs-Rechtsschutz für die Testamentserstellung.
Wie steht es um Versicherungsleistungen für Gewerbekunden?
In der derzeit wirtschaftlich schwierigen Phase gewinnen Versicherungen für Gewerbebetriebe noch einmal mehr an Bedeutung. Das zeigt sich auch an der klar zunehmenden Zahl der Gewerbeprodukte. Um dem steigenden Bedarf nachzukommen, hat der ARAG Konzern jetzt das Verbundprodukt ARAG Recht & Gewerbe auf den Markt gebracht – nach dem Modell der seit langem erfolgreichen Kombipolice ARAG Recht & Heim für Privatkunden. Die Gewerbelösung bietet nun eine Rundum-Absicherung in den Bereichen Rechtsschutz-, Betriebshaftpflicht- und Sachversicherung über eine einzige Police und kann durch Zusatzbausteine bedarfsgerecht ergänzt werden. Ein absolutes Novum im Gewerbemarkt ist das Schadenfreiheitsrabatt-System.
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Hintergrund: Der Text erschien zuerst im neuen kostenfreien Versicherungsbote Fachmagazin 02-2023. Das Magazin kann auf der Webseite beim Versicherungsbote bestellt werden.
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