Rentenreform könnte Vermögensungleichheit verschärfen
Die anstehende Rentenreform könnte die Vermögensungleichheit in Deutschland verschärfen. Der Grund: Bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung (untere 50 Prozent) machen Ansprüche aus gesetzlicher Rente, Betriebsrenten und Pensionen rund 70 Prozent des Vermögens aus. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels.
Das Vermögen ist in Deutschland sehr ungleich verteilt. Die unteren 50 Prozent der Vermögenden besitzen nur etwa zwei Prozent des Gesamtvermögens, während das reichste eine Prozent rund 30 Prozent des Gesamtvermögens hält, wie OECD-Daten zeigen. Doch Analysen der Vermögensverteilung berücksichtigen oft das Nettovermögen, das sich aus der Summe von Finanzvermögen (inklusive privater Altersvorsorge), Unternehmensvermögen und Immobilienbesitz abzüglich Schulden zusammensetzt. Nicht berücksichtigt bleiben in der Regel erworbene Ansprüche aus der gesetzlichen Rente, aus Betriebsrenten und Pensionen.
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Dies hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin zum Anlass genommen, zu schauen, wie sich das Rentenvermögen auf die Vermögensverteilung auswirkt. Ausgewertet wurden hierfür Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), wobei sich die Zahlen auf das Jahr 2017 beziehen. Dabei handelt es sich um die größte wiederkehrende Befragung zur Vermögenssituation privater Haushalte, an der sich etwa 14.000 Haushalte bzw. 30.000 Personen beteiligen. Die fünf Autorinnen und Autoren der Studie nennen diese erworbenen Anwartschaften "vermögensähnliche Ansprüche".
Gesetzliche und betriebliche Renten für wenig Vermögende bedeutsam
Für die Studie haben die Sozialforscher die deutschen Haushalte nach ihrem Vermögen in vier Gruppen eingeteilt: die unteren 50 Prozent, die Mittelschicht, die Oberschicht und die Vermögenden. Die Grenzen markieren so genannte Perzentile. So beginnt das Haushaltsnettovermögen der Mittelschicht beim 50. Perzentil und reicht bis zum 90. Perzentil. Das bedeutet, dass 50 Prozent der Bevölkerung ein geringeres und zehn Prozent ein höheres Haushaltsnettovermögen haben. Die Oberschicht umfasst die obersten zehn Prozent ohne das oberste Prozent, das als „Top-Vermögende“ bezeichnet wird.
Ein Ergebnis der Studie: Rechnet man die Rentenvermögen der gesetzlichen und betrieblichen Vorsorge ein, zeigt sich, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland weniger stark ausgeprägt ist. Der Anteil der unteren 50 Prozent am Nettovermögen steigt demnach von 2,0 Prozent auf 9,2 Prozent (Werte für das Jahr 2017). Auch die Mittelschicht hat, werden die Rentenvermögen eingerechnet, mehr vom Kuchen: 40,8 Prozent statt 34,5 Prozent. Gleichsam sinkt der Anteil der Top-Vermögenden am Nettovermögen von 30,1 Prozent auf 20,4 Prozent (siehe Grafik).
Dass die Einberechnung gesetzlicher und betrieblicher Renten die Vermögensverteilung derart verschiebt, liegt an der hohen Bedeutung, die diese vermögensähnlichen Ansprüche für den ärmeren Teil der Bevölkerung haben. Die Ansprüche aus gesetzlicher Rente, Pensionen sowie Betriebsrenten machen rund 70 Prozent des Vermögens der ärmeren Hälfte aus. Im erweiterten Vermögensportfolio des reichsten Prozents, also der Top-Vermögenden, machen diese Rentenansprüche dagegen nur 2,6 Prozent aus. In der Mittelschicht summieren sich diese erworbenen Ansprüche immer noch auf 45 Prozent des gehaltenen Gesamtvermögens.
Timm Bönke, ein Mitverfasser der Studie, erklärt: “Wir wissen, dass die untersten 50 Prozent in Deutschland kaum nennenswertes Nettovermögen haben, weil hier selten für Immobilien oder für eine private Altersvorsorge gespart werden kann. In der oberen Hälfte der Vermögensverteilung sieht das anders aus. Hier haben wir Immobilien, zusätzliche private Rentenversicherungen oder Selbstständige, die komplett privat abgesichert sind. Das sind alles Werte, die vormals immer schon in der Nettovermögensverteilung berücksichtigt worden sind“, so Bönke.
„Dass die Ungleichheit bei Einbeziehung der Renten sinkt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rentenansprüche in der unteren Verteilungshälfte oft so gering sind, dass sie nicht unbedingt vor Altersarmut schützen“, gibt DIW-Ökonomin Charlotte Bartels vom SOEP zu bedenken.
Auswirkungen der ausstehenden Rentenreform
Die Ergebnisse zeigen auch: Rentenreformen, die auf ein niedrigeres Rentenniveau oder eine längere Lebensarbeitszeit hinauslaufen, betreffen Menschen mit weniger Vermögen stärker. „Reformen, die das Rentenniveau senken, wirken ungleich stärker in der ärmeren Hälfte der Bevölkerung, deren Vermögen größtenteils aus – teils sehr geringen – Rentenansprüchen besteht. Dieser Bedeutung muss man sich bei künftigen Reformen der Alterssicherung immer bewusst sein“, sagt Bönke.