EU-Kleinanleger-Strategie: „Komplett überflüssig“
Wird die EU-Kleinanleger-Strategie eingeführt? Erreicht sie ihre Ziele und welche Änderungen für den Vermittler-Alltag bringt das mit sich? Diesen Fragen stellten sich Experten unter dem Motto "Finanzberatung 2030 - welche regulatorischen Veränderungen kommen auf die Branche zu". Eingeladen hatte Standard Life.
- EU-Kleinanleger-Strategie: „Komplett überflüssig“
- „Ermächtigungsgesetz für EU-Kommission“
Als EU-Kommissarin Mairead McGuinness, zuständig für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion, den Entwurf zur EU-Kleinanleger-Strategie vorlegte, sprach sie vom „ehrgeizigsten Legislativvorschlag seit Einführung der EU-Finanzregulierung.“
Entsprechend hoch waren Widerstände aus der Branche, die sich nicht erst seit diesem Gesetzeswerk Überregulierung ausgesetzt sieht. Im Juni diesen Jahres formierte sich gar eine grenzübergreifende Opposition, als sich mehrere Verbände der europäischen Finanz- und Versicherungsbranche auf eine gemeinsame Erklärung zum Entwurf der EU-Kleinanlegerstrategie einigten. Einer der wichtigsten Kritikpunkte: Entgegen vorheriger Ankündigungen seien im Entwurf doch Provisionsverbote enthalten, die den Finanzsektor und den Zugang der Verbraucher zu Finanzprodukten massiv beeinträchtigen könnten.
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In Deutschland sind sich wichtige Vermittlerverbände hingegen uneins bezüglich der Frage, ob der Entwurf ein Provisionsverbot enthält. Während AfW und österreichische Maklerverband jeweils eigene Rechtsgutachten in Auftrag gaben, die feststellten, dass der Entwurf Provisionsverbote enthält, die nur Makler betreffen, vertritt der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) die Auffassung, Makler könnten sehr wohl weiterhin Courtage vereinnahmen, wenn sie ihre Kunden über den bestehenden Interessenkonflikt aufklären. Auch diese Auffassung wird durch ein Rechtsgutachten gestützt.
Obwohl es sich nur um einen Teilausschnitt des geplanten Regelwerks handelt, bestimmt er die Debatte um die gesamte EU-Kleinanleger-Strategie. Das zeigte sich auch auf der Podiumsdiskussion "Finanzberatung 2030 - welche regulatorischen Veränderungen kommen auf die Branche zu". Dazu lud der britische Versicherer Standard Life vergangene Woche in die Botschaft des Vereinigten Königreichs in Berlin. Das Podium - moderiert von Dr. Marc Surminski (Chefredakteur Zeitschrift für Versicherungswesen) - war mit Constantin Papaspyratos (Chefökonom Bund der Versicherten), Prof. Jochen Ruß (Instiut für Finanz- und Aktuarwissenschaften), Dr. Carsten Brodesser (MdB, Finanzausschuss, CDU), Stefan Schmidt (MdB, Finanzausschuss, Bündnis 90/Die Grünen) und Norman Wirth (AfW - Bundesverband Finanzdienstleistung) besetzt.
Wirth nahm die Unsicherheiten und unterschiedlichen Rechtsauslegungen zur Provisionsfrage zum Anlass, um mehr Klarheit im Entwurfs-Text zur Kleinanleger-Strategie zu fordern. Rechtsunsicherheit müsse vermieden werden, so der Jurist. Stefan Schmidt meinte, er sei diesbezüglich „vergleichsweise entspannt“, weil noch kein abschließender Entwurfs-Text vorliege, über den man sprechen könne. Sein Kollege aus dem Finanzausschuss, Dr. Carsten Brodesser, teilte diese Haltung nicht. Schließlich berühre die Frage nach Vergütung und Unabhängigkeit das Selbstverständnis als Versicherungsmakler. Ganz ähnlich argumentierte Dr. Helge Lach, Vorsitzender des Bundes Deutscher Vermögensberater (BDV): „Wenn ein Makler, der sich als Sachwalter des Kunden versteht, zukünftig im Beratungsgespräch darauf hinweisen muss, dass er wegen der Courtage nicht unabhängig ist, werden die Kunden diesen Widerspruch nicht verstehen und der Makler befindet sich in einer unmöglichen Situation. Außerdem profitiert der Kunde auch beim Makler von der Courtage, indem er nicht selbst ein Honorar vorfinanzieren muss. Und kauft ein Verbraucher ein Produkt ohne Beratung im Internet und wendet sich später bei Fragen an seinen Berater, ist es abwegig, dass dieser dann hierfür keine Vergütung erhalten darf.“
Constantin Papaspyratos, als Vertreter der Kundensicht geladen, nannte mehrere Aspekte, die aus seiner Sicht zur Frage nach der Angemessenheit des derzeitigen Vergütungssystems drängen: Zum einen hätten auch Vermittler über lange Zeit falsche Erwartungshaltungen bei Kunden geweckt, weil suggeriert worden ist, die eigenen Beratungsleistungen seien für Kunden kostenlos. Zum anderen skizzierte der Chefökonom des BdV ein Szenario, das sicher etlichen Maklern bekannt vorkommen dürfte: Nach langen Beratungen und Recherchen zur Arbeitskraftabsicherung - inklusive teilweise aufwendiger Risikovorabanfragen - schließt der Kunde letztlich bei einem Vergleichsportal ab. Der Versicherungsmakler, der die Beratungsleistung erbrachte, geht dabei leer aus. Als dritten Aspekt nannte Papaspyratos die zunehmende Komplexität in vielen Lebensbereichen (auch in der Versicherungs- und Finanzbranche), die einen höheren Beratungsbedarf mit sich bringen würde. Schon diese drei Aspekte würden die Grenzen des Provisionssystems aufzeigen. Der Verbraucherschützer sprach sich deshalb für eine strikte Trennung von Beratung und Verkauf bei der Vergütung aus.
Das ließe sich aus Sicht von Norman Wirth recht gut umsetzen, wenn man die in Deutschland getrennten Berufsbilder 'Versicherungsberater' und 'Versicherungsmakler' zusammenführt. Kein ganz neuer Vorschlag, der sich am Beispiel Österreichs orientiert, wo es Versicherungsmaklern erlaubt ist, Rechtsberatung anzubieten und durchzuführen.
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Ein Ansatz, der auch im Publikum auf Zustimmung stieß: „Servicevereinbarungen richtig erstellt und umgesetzt, sichern die Zukunft und Unabhängigkeit der Vermittler und sollten nicht erst bei einer weiteren Provisionsdebatte für jeden eine wirtschaftliche Option sein. Zudem ist die Regelung unsinnig, dass Makler bei Gewerbekunden Honorar nehmen dürfen, bei Privatkunden wiederum nicht. Wenn es um Verbraucherschutz und die Förderung von mehr unabhängige Beratungsleistungen geht, gehört diese Regelung sofort gestrichen. Somit wäre der gewünschte breite Zugang zu Beratungsleistungen gegeben“, meinte Dirk Erfurth, Gründer und Geschäftsführer von DiPay, gegenüber Versicherungsbote.
„Ermächtigungsgesetz für EU-Kommission“
Blieb die Frage, ob die Kleinanleger-Strategie ihre selbstgesteckten Ziele erreichen kann und wann sie denn den langen Weg des Gesetzgebungsverfahrens beschreitet. Hier bezog Carsten Brodesser wohl die deutlichste Position. Er und Dr. Ruß wiesen auf die deutlich steigenden Informations- und Dokumentationspflichten hin, die in der EU-Kleinanleger-Strategie verankert sind. Der enorme bürokratische Aufwand, der mit diesen Pflichten verbunden sei, würde Kleinanleger eher abschrecken sich stärker am Kapitalmarkt zu engagieren, so Brodesser. Der CDU-Politiker erzählte, dass nach einer Musterberatung, bei der die Auswirkungen des geplanten Regelwerks gezeigt werden sollten, dem Kunden 750g Papier ausgehändigt wurden. Ein „Informations-Overload“, wie Brodesser meinte. In seinen Augen sei die gesamte EU-Kleinanlegerstrategie „komplett überflüssig“.
AfW-Chef Norman Wirth nannte den vorliegenden Entwurf gar ein „Ermächtigungsgesetz für EU-Kommission“. Denn zu viele entscheidende Details sollen über delegierte Rechtsakte der EU-Kommission gelöst werden.
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Papaspyratos lobte die Zielsetzung des Gesetzesvorhabens und stellte dabei vor allem darauf ab, dass mit der EU-Kleinanleger-Strategie erstmals ein Rechtsrahmen für sogenannte Finfluencer auf TikTok und Co. etabliert werden soll. Nichtsdestotrotz geht der Verbraucherschützer davon aus, dass der Entwurf Entwurf bleiben wird. Eine Umsetzung in geltendes Recht hält der Ökonom für zeitlich kaum machbar. Er verwies auf die anstehenden Wahlen zum Europa-Parlament und eine mögliche Rückkehr von EU-Kommissarin Mairead McGuinness in die irische Politik.
Stefan Schmidt ist hingegen überzeugt davon, dass der Entwurf auch nach den Europawahlen fortgeführt wird.
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