Generali-Chef: „Der Klimawandel ist schon da“
Demografischer Wandel, zunehmende Extremwetter-Ereignisse oder die Grenzen der Versicherbarkeit im Cyberbereich: Die Versicherungsbranche steht vor enormen Herausforderungen. Auf dem „Handelsblatt Insurance Summit“ verbreiteten die Entscheider dennoch ein bisschen Optimismus, beobachtete Oliver Bruns (Netfonds).
- Generali-Chef: „Der Klimawandel ist schon da“
- Cyber & Rente
- Transformation der Arbeitswelt
In Düsseldorf trafen sich zahlreiche Manager*innen der Versicherungswelt zum diesjährigen „Handelsblatt Insurance Summit“. Rund 160 Zuhörende im Saal und Weitere online nahmen nach Angaben des Veranstalters teil. Es wurde ein zwei Tage andauernder Ritt durch die Themen, die die Branche beschäftigen. Klimawandel, demografischer Wandel, Transformation der Gesellschaft, Digitalisierung, Daten, um nur einige zu nennen.
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Klimawandel
Dass der Klimawandel das größte Problem der Menschheit und der Branche ist, wurde mehrfach unterstrichen. Giovanni Liverani (CEO DACH, Generali) sagte es gerade heraus: „Der Klimawandel ist da.“ Die Belastungen seines Hauses durch Naturkatastrophen würden immer größer. Man müsse intensiv in Prävention investieren, ansonsten könnten schon bald die Folgen der Ereignisse nicht mehr versicherbar sein. Wenn die Preise weiter steigen, werde es in Zukunft eine Kombination aus privater Versicherung und einer Rückversicherung durch den Staat geben.
Klaus Jürgen Heitmann (Vorstandssprecher HUK-Coburg) berichtete, dass Naturkatastrophen nach Kollisionsschäden inzwischen die zweithäufigste Schadensursache in der KfZ-Sparte seien. Alleine beim Hagelschlag am Gardasee habe man 2000 kaputte Fahrzeuge gezählt. Im Allgäu hätte es zuletzt tennisballgroßen Hagel gegeben. Das sei einer der Gründe für steigende Prämien.
Oliver Schoeller (CEO Gothaer) stellte fest, dass die Transformation weltweit hin zum Pfad des Pariser Klimaabkommens nicht klappe. Derzeit würden die Ansprüche weit verfehlt. Die UN rechne inzwischen mit einer Erderwärmung von 2,5-2,9 Grad mit massiven Folgen für den Planeten. Auch Deutschland verfehle seine Ziele. Es brauche einen gesellschaftlichen Backup, um die Transformation zu schaffen. Das habe das Heizungsgesetz deutlich gezeigt. Das gelte im globalen Zusammenhang noch viel mehr.
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Jörg Asmussen vom GDV sagte dazu, dass sich die Branche auf ein Net Zero-Ziel bis 2050 verständigt hätte. Die Unternehmen arbeiteten hart daran, die ESG-Ziele zu erreichen. Das sei sehr erfreulich.
Thilo Schumacher, CEO von Axa Deutschland, forderte, man müsse als Branche einen Beitrag leisten und die ESG-Kriterien einhalten. Die Hebel im Kampf gegen den Klimawandel seien enorm. Man habe viel Geld und könne deswegen viel tun. Sein Haus habe sich verpflichtet, die Nachhaltigkeitskriterien der UN anzunehmen. Er warnte in dem Zusammenhang ausdrücklich vor einem Greenwashing. Das sei das Schlimmste, was der Branche passieren könne.
Cyber & Rente
Zum Schwerpunkt Cyber sprach Markus Niederreiner, CEO bei Hiscox. Der Cybermarkt sei in mehrfachem Sinne ein Wachstumsmarkt. So werden bis 2025 vermutlich die Milliardengrenze an Prämien gerissen. Aber auch seine politische und wirtschaftliche Relevanz wird steigen. Die Differenzierung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Tätern wird schwieriger mit allen Konsequenzen. Wachstum ist also nicht das Thema. Expertise wird der Wettbewerbsfaktor sein.
Jörg Asmussen vom GDV ergänzte zum Cybermarkt, dass es sich um einen jungen, volatilen Markt handele. Die Prämien werden sich vermutlich in den kommenden 10 Jahren verdoppeln. Ohne Inflation. Deswegen werde bei der Versicherbarkeit die Prävention eine entscheidende Rolle spielen. Und die Frage werde sein, ob nach der Prävention das Restrisiko noch versicherbar sein werde.
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Immanuel Bär von ProSec lieferte dazu eindrucksvolle Beispiele von Risiken, die bestehen. Bis hin zum Eintritt in ein Bürogebäude nebst Teilnahme an einem Meeting bis hin zum Einräumen der Spülmaschine. Ohne irgendeine legitime Zugangsberechtigung. Der Mensch sei immer noch das größte Einfallstor in IT-Systeme.
Rente
„So richtig weiß ich auch nicht, wie man da rauskommen soll“, fasste Prof. Bert Rürup, Chefvolkswirt des Handelsblatt etwas ratlos zusammen. Die demografische Entwicklung sei die am besten prognostizierte Veränderung aller Zeiten gewesen. Trotzdem sei es nicht gelungen, rechtzeitig die Weichen zu stellen. Norbert Blüm wollte noch Ende der 1980er-Jahre gegensteuern, doch dann fiel die Mauer und das Thema geriet in den Hintergrund. In dem goldenen Jahrzehnt von 2010-2019 habe man es versäumt, die letzte Chance zu nutzen. Stattdessen seien Geschenke verteilt worden.
Am Scheitern der Riester-Rente sei die Versicherungswirtschaft schuld. Sie war als ersetzende Rente gedacht und hätte deswegen obligatorisch sein müssen. Das habe die Branche im Schulterschluss mit der Bild-Zeitung verhindert.
Heute habe man mit dem BRSG ein modernes Instrument. Leider gäbe es bisher nur zwei Abschlüsse. Man müsse die Tarifbindung lösen, denn der Mittelstand sei der Bereich, der am meisten Bedarf habe. Längerfristig sei die betriebliche Altersvorsorge das probatere Mittel, die Rentenlücken zu schließen, als die Privatvorsorge.
Auf der grünen Wiese würde eine Rente sicher anders gebaut werden. Aber man müsse das bestehende System schrittweise reformieren und das sei mühsamer. Die Idee der Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rente sei grundsätzlich eine gute, komme aber zu spät, um das unmittelbar bevorstehende Problem zu lösen.
Dr. Herbert Schneidemann (Vorsitzender der Vorstände, Bayerischen Beamten Lebensversicherung) wollte die Kritik an der Branche nicht hinnehmen und verwies darauf, dass die Riester-Rente das erfolgreichste private Altersvorsorgeprodukt Europas sei. Erst die veränderten Rahmenbedingungen hätten dazu geführt, dass es unattraktiv geworden sei.
In der Rentenpolitik vermisse er eine klare Vision, wo man eigentlich hinwolle. Es ging nur um die drei Stellschrauben, Beitrag, Höhe, Alter und man komme nicht weiter. Braucht es erst einen Kollaps, um wichtige Reformen durchzuführen? Oder schaffen wir es auch so? Das sei die Frage. Die Subventionierung von Teilzeitbeschäftigung sei ein Fehler. Es braucht mehr Vollzeitbeschäftigung. Außerdem appellierte er an die junge Generation, Verantwortung zu übernehmen. Für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und für die eigene Vorsorge.
Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts und nach eigenen Angaben ein Exot in dieser Runde, weil in der Sozialversicherung verortet, warb für Vertrauen in die gesetzliche Rente. Sie bestünde seit 150 Jahren und aus Sicht der Rentner kann gesagt werden, es ging immer nach oben. Er mahnte mutige Reformen an. Die Themen seien: Rentenhöhe, Beitragshöhe und Renteneintrittsalter. Allerdings fürchte er sich auch davor, wo Rentner hingehen würden, um ihrem Protest Luft zu machen. Jeder dritte Euro in Deutschland werde für Soziales ausgegeben. Es sei auch an der Zeit nachzudenken, was im Sozialstaat wegkann.
Transformation der Arbeitswelt
Caroline Schlienkamp (Vorstandsmitglied Talanx) stellte die provozierende Frage: „Stellen sie sich vor, wir machen weiter wie bisher.“ Man müsse sich ändern, weil die Welt sich ändere. Man müsse regeln, wie man mit weniger Leuten klar komme, die höhere Ansprüche hätten. Unternehmenskultur sei der Schlüssel. Wenn der CEO streng hierarchisch arbeite, dann nützten auch keine weißen Sneaker und kein Du. Ein Drittel der Kündigungswilligen in Deutschland gäben kulturelle Gründe an.
Es gelte, den Mitarbeitenden mehr Selbstorganisation zuzutrauen. Mehr unternehmerische Freiheit. Viel Kommunikation sei ein enormer Faktor. Timm Krieger (Signal-Iduna) gab einen Einblick in die Transformation in seinem Hause. 2000 von rund 5000 Mitarbeitenden wären bereits in den Veränderungseinheiten. Die Transformation sei kein Selbstzweck, es gelte, echten Mehrwert zu schaffen. Das Ziel sei: Kundenzentrierung auf allen Ebenen. Das Zauberwort laute „Agilität“. Agiles Mindset und agiles Arbeiten. Man habe crossfunktionale Teams zusammengestellt und dadurch Prozessdauern erheblich verkürzt. Die neue Struktur präge die Kultur in seinem Haus. Der Wandel habe demnach auch keinen Endpunkt.
Ursula Clara Deschka leitet für die Ergo-Gruppe das Geschäft im Baltikum. Sie erlebe schon die Zukunft der Versicherungsbranche, erläuterte sie. Einen hohen Digitalisierungsgrad zum Beispiel. So arbeitete die Ergo im Baltikum komplett papierlos. Ohnehin sei das Baltikum komplett digitalisiert. Die Bürgerinnen und Bürger können alles digital machen, außer heiraten. Und selbst darüber werde nachgedacht. Sogar Gerichtsprozesse laufen digital. Das Thema „Employer Branding“ sei im Baltikum von extremer Bedeutung. Hintergrund ist die kurze Kündigungszeit von 10 Tagen. Deswegen sei die betriebliche Krankenversicherung auch weiterverbreitet als in Deutschland. Die Arbeitgeber müssten mehr tun, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Die Frauenquote ist mit 55% Frauen im Topmanagement deutlich höher als in Deutschland. Teilzeitquoten sind bei Männern und Frauen vor Ort gleich. 70% weibliche Vertriebsmitarbeitende gäbe es und kaum Meetings nach 16 Uhr, damit die Eltern die Kinder aus der Kita abholen können.
Maike Gruhn (CTO Gothaer) sieht in der Veränderungsfähigkeit einen entscheidenden Erfolgsfaktor. Ein Organigramm alter Schule würde nur abbilden, wer führe und wer geführt wird. In einer klassischen Linienfunktion liege der Business-Fokus auf funktionaler Effizienz und Prozessoptimierung. Dies führe zu einem ‚Silodenken‘. Es gäbe lange Abstimmungszeiten und fehlende Innovationen. Das führe zum Risiko mangelnder Diversität und zu wenig Geschwindigkeit. Agile Transformation richte den Fokus dagegen auf effiziente Ende-zu-Ende Verantwortung. Es entstehe ein flexibler Rahmen mit selbstorganisierten Teams.
Spannungsfelder
Jens Wartekin (Vorstand HDI) sieht die Versicherer im Spannungsfeld zwischen dem Technologiesprung, der Regulatorik und dem ‚daily business‘. Was die neue Technologie angehe, so merkte Wartekin an, das die Branche schon diverse Innovationen überstanden habe. Das Internet an sich zum Beispiel oder die Fintechs. Nun sei die KI das Neueste. Und man werde auch das schaffen. Generative AI sei quasi über Nacht zu einem Massenphänomen geworden. Das biete neue Wertschöpfungspotentiale für Versicherungen. Bei aller Phantasie gäbe es aber auch regulative Probleme: Wie schütze man unternehmenseigenes geistiges Eigentum? Wie schütze man Urheberrechte Dritter und wie weise man eigentlich einen Diebstahl nach? Es müssen Entscheidungen über den grundsätzlichen Umgang mit GenAI getroffen werden.
Dr. Schneidemann von der Bayerischen sieht die Lebensversicherer im Spannungsfeld zwischen Rezession, ESG und Inflation. Der Inflation stelle sich sein Haus durch den Abbau stiller Lasten und eine Diversifikation in der Kapitalanlage. Dem Thema ESG sei man besonders durch die Gründung der Pangea Life begegnet. Außerdem habe man ein Nachhaltigkeitsressort eingerichtet und direkt beim Vorstandsvorsitzenden angedockt. Der Rezession begegne man durch einen Überflüssigkeitscheck und Prävention.
Prof. Dr. Frank Walthes (Vorsitzender des Vorstandes, Versicherungskammer Bayern) beklagte die zunehmende Regulierung. Wenn auch nicht generell, wie er ausdrücklich betonte. Grundsätzlich helfe Regulatorik bei der Wettbewerbsordnung. Allerdings sei die Dichte, der bürokratische Aufwand der Berichterstattung und die sich teilweise überlappenden Regularien ein Ärgernis. Alleine in der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) werden 1300 Punkte abgefragt, die berichtet werden müssten. Man müsse die Sinnfrage stellen, welches Ziel erreicht werden solle. Es stehe außer Frage, dass die Bedrohungen des Planeten ernst seien und das die Branche ihren Beitrag leisten müsse. Doch, welchen Weg schlage man ein? Marktwirtschaftliche Anreize seien wirksamer als Ver- oder Gebote. Es sei nicht damit getan, zu berichten und zu dokumentieren.
Oliver Schoeller ergänzte in diesem Zusammenhang, dass zum Beispiel die EU-Taxonomieverordnung zu streng sei. Man könne demnach nur in Unternehmen investieren, die bereits CO2-neutral sind. Und nicht in solche, die es werden wollen, die aber die Investitionen gut gebrauchen könnten. Was fehle, sei eine klar industriepolitische Linie in der EU.
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Plattformen spielen eine immer größere Rolle, sagt Patrick Dahmen von InsurLab Germany e.V. Sie seien nicht nur Technologie. Sondern ein „way of working“. Produkte, Pricing, Vertrieb, Footprint. Die Plattform bildet das Rückgrat des digitalen Geschäftsmodells. Es ermöglicht flexibele Arbeitsweisen unabhängig von Unternehmens- und Ländergrenzen. Kleinere Unternehmen, die nicht in der Lage sind, selber eine Plattform zu bauen, können sich zusammen tun. Dahmen sieht drei Handlungsempfehlungen für die Versicherer:
- Konsequente Vertriebspartner- und Kundenzentrierung: Vom Vertriebspartner und Kunden aus denken
- Einfache und wettbewerbsstarke Produkte, Prozesse und IT Stack: 100% digital, end-2-end Prozess-Design in einem modularen Set-up
- Konsequente Daten-basierte Kundenansprache: z.B. KI-basierte Ansätze in Vertrieb, Underwriting und Schadenabwicklung.
- Generali-Chef: „Der Klimawandel ist schon da“
- Cyber & Rente
- Transformation der Arbeitswelt