Versicherer könnten durch geringere Solvency-Anforderungen 100 Milliarden Euro freisetzen
Die Europäische Union will die Eigenkapitalanforderungen durch Solvency II lockern. Etwa 100 Milliarden Euro würden dadurch mehr zur Verfügung stehen.
- Versicherer könnten durch geringere Solvency-Anforderungen 100 Milliarden Euro freisetzen
- Neue Regeln für kleine Versicherer
Eigenkapitalanforderungen durch Solvency II sollen gelockert werden, wie aktuell der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) und das Handelsblatt berichten. Hierauf hätten sich Unterhändler des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission sowie der Mitgliedstaaten in Brüssel geeinigt. Voraus ging dieser Einigung ein dreijähriger Review-Prozess zum Aufsichts-Regime Solvency II.
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In der Kritik bisher: Zu strenge Regeln für die Geldanlage
Solvency II wurde 2016 als risikobasiertes Regelsystem eingeführt – unter anderem werden hierdurch Bedingungen festgeschrieben für die Kapitalanlage durch Versicherer. Versicherer können zwar recht frei ihr Geld anlegen. Allerdings gilt das nur, wenn die damit verbundenen Investitionsrisiken mit entsprechendem Eigenkapital unterlegt sind.
Die Versicherungswirtschaft bewertete bisher die Regeln als zu eng: Versicherer hätten dadurch kaum die Möglichkeit, als Geldgeber die Wirtschaft bei der Transformation hin zu mehr Klimafreundlichkeit zu unterstützen. Noch im September warnte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen aus diesem Grund, Investitionsrichtlinien durch die neuen Aufsichtsrichtlinien zu eng zu stecken.
Kapitalkostensatz sinkt
Und die Versicherungswirtschaft kann sich freuen: bei wesentlichen Forderungen kommen die EU-Gremien nun der Forderung der Versicherungswirtschaft entgegen. So sinken die Eigenkapitalanforderungen. Zahlen nennt ein aktueller Bericht des Handelsblatts: von derzeit sechs auf 4,75 Prozent soll der Kapitalkostensatz sinken, der die Höhe der Reserven festlegt.
Hierzu erklärt das Handelsblatt: "Im Kern geht es hierbei um die Risikomarge, die Versicherer bei der Bildung von Rückstellungen für Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden hinzurechnen müssen. Eine Absenkung bedeutet, dass die Rückstellungen künftig geringer ausfallen und das Eigenkapital der Versicherer steigt."
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Berichterstatter des EU-Parlaments: Mehr als 100 Milliarden Euro würden frei
Weiteres erklärt Markus Ferber (CSU) als Berichterstatter des Europaparlaments: „Mit der Überarbeitung von Solvency II setzen wir einen Milliardenbetrag frei, der in produktive Investitionen fließen kann.“ Mehr als 100 Milliarden Euro stünden der Versicherungswirtschaft so zur Verfügung, weiß das Handelsblatt zu berichten. Neben den Investitionen in eine grüne Transformation dient dieses Geld auch der Digitalisierung. Der GDV lobt in einer aktuellen Pressemeldung die neuen Pläne als einen "zukunftstauglichen und ausbalancierten Kompromiss".
Neue Regeln für kleine Versicherer
Eine weitere Neuerung für Solvency II sind automatisierte Prozesse, die es kleineren und wenig komplexen Versicherern erleichtern sollen, die Anforderungen zu erfüllen – der so genannte Proportionalitätsansatz. Hierzu erklärt ein Dokument der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg: „Die Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen können eine vereinfachte Berechnung für ein spezifisches (...) Risikomodul verwenden, wenn die Wesensart, der Umfang und die Komplexität der Risiken dies rechtfertigen und es unangemessen wäre, von allen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen die Anwendung einer Standardberechnung zu fordern.“ Das Proportionalitätsprinzip reduziert den Arbeitsaufwand insofern, als "die gewählte Bewertungsmethodik nicht ausführlicher als nötig zu sein braucht."
Man legt also an die Risikoberichterstattung kleinerer Unternehmen einen geringeren Maßstab an gemäß einem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In Zukunft unterscheidet Solvency II demnach stärker zwischen großen und kleineren Versicherern – Maßgaben für kleine Versicherer sind dann weniger streng.
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Allerdings äußert GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen bei diesem Punkt doch Kritik: „Die vereinbarten Anwendungskriterien sind zum Teil sehr restriktiv, hier wäre ein größerer Anwenderkreis besser gewesen. Es wird maßgeblich von der praktischen Umsetzung der Aufsichtsbehörden abhängen, ob kleine Versicherer wirklich von der neuen Regel profitieren werden“, heißt es in der Presseerklärung des GDV. Demnach besteht Skepsis hinsichtlich der Umsetzung: Die Regeln erlauben es den Behörden aus Sicht des GDV, zu restriktiv zu handeln und demnach den kleinen Versicherern die Erleichterungen zu verwehren.
Stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien
Strenger soll das neue Regelwerk werden, wenn es um Nachhaltigkeitsprinzipien gilt. Das betrifft u.a. die Berichtspflichten: Versicherungsunternehmen werden durch die reformierten Regeln dazu verpflichtet, Pläne zu veröffentlichen, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen wollen. Statt Kritik gibt es durch die Versicherungswirtschaft hierfür aber Zustimmung. Asmussen hierzu: „Wir Versicherer sehen die Risiken aus dem Klimawandel deutlich. Es ist daher richtig, dass diese Perspektive auch in Solvency II verankert wird."
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Neue Regeln brauchen noch die Zustimmung
Die neuen Regeln brauchen noch die Zustimmung der EU-Finanzminister und des EU-Parlaments. Allerdings werden hierbei keine Probleme erwartet. Die Pressemeldung des GDV ist auf der Webseite des Verbands verfügbar. Weitere Details kennt zudem ein Artikel des Handelsblatts.
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- Neue Regeln für kleine Versicherer