Wird ein Autofahrer unverschuldet in einen Unfall verwickelt, so hat er Anspruch darauf, vom Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers vollumfänglich entschädigt zu werden. So weit, so bekannt. Der Unfallverursacher trägt hierbei auch das Werkstattrisiko, muss also auch die Kosten übernehmen, wenn die Werkstatt unsachgemäße und unwirtschaftliche Reparaturen durchführt. Bisher musste der Geschädigte allerdings zumindest nachweisen, dass es einen Zusammenhang zwischen Unfall und Reparaturkosten gibt. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich nun aber mit mehreren Sonderfällen auseinander setzen, in denen um die Mehrkosten gestritten wurde - und sich der Haftpflichtversicherer weigerte, diese zu übernehmen. Auf die Urteile macht Legal Tribune Online aufmerksam.

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Nun hat der BGH zunächst einen Fall verhandelt, in dem die Werkstatt Reparaturen in Rechnung stellte, die sie gar nicht ausgeführt hat. Für den Unfallgeschädigten war dies nicht zu erkennen. Hier entschied das Gericht zugunsten des Unfallgeschädigten. Die Schadensbeseitigung finde in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre statt, hob der VI. Senat hervor. So dürfe er grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine beauftragte Fachwerkstatt keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt. So sei der Geschädigte auch nicht verpflichtet gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, bevor er den Auftrag an die Werkstatt gibt, und den Reparaturauftrag auf Grundlage dieses Gutachtens zu erteilen. Dies allein führe nicht zur Annahme eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens. Die Haftpflichtversicherung des Unfallversursachers muss den Mann also auch die entstandenen Mehrkosten ersetzen (Az. VI ZR 253/22).

Werkstattrechnung nicht vollständig bezahlt: Es wird komplizierter

Die Anwendung der Grundsätze vom Werkstattrisiko setze zudem nicht voraus, dass der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat, hob der BGH weiter hervor. Doch nun wird es etwas komplizierter. Soweit der Geschädigte die Reparaturrechnung nicht beglichen hat, kann er allerdings - wenn er das Werkstattrisiko nicht selbst tragen will - die Zahlung der Reparaturkosten nicht an sich, sondern nur an die Werkstatt verlangen. Hierbei verwiesen die Richter auf das Prinzip des Vorteilsausgleichs: Dieser sieht stark vereinfacht vor, dass bei einem Schadenersatz Vorteile, die der Geschädigte bereits erhalten hat, zugunsten des Schadensersatz-Leisters mit einberechnet werden.

Ein solcher Vorteilsausgleich könne aber nicht gelingen, wenn der Geschädigte die Schadensersatzleistung bereits erhalten hat (also das Auto bereits repariert wurde) und einen Teilbetrag einbehält bzw. nicht zahlt, weil die Werkstatt eine Leistung mutmaßlich nicht erbracht hat. Hier könnte sich der Unfallgeschädigte durch den Schadensersatz bereichern. Demgegenüber wäre der Schädiger schlechter gestellt, als wenn er die Reparatur der beschädigten Sache selbst veranlasst hätte; denn im letzteren Fall hätte er als Vertragspartner der Werkstatt die Zahlung der zu hoch berechneten Vergütung verweigern können (VI ZR 253/22, VI ZR 266/22, VI ZR 51/23).

Aus diesem Grund kann der Geschädigte, der sich auf das Werkstattrisiko beruft, aber die Rechnung der Werkstatt noch nicht (vollständig) bezahlt hat, von dem Schädiger die Zahlung des von der Werkstatt in Rechnung gestellten (Rest-)Honorars nur an die Werkstatt und nicht an sich selbst verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (das Werkstattrisiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt. Wählt der Geschädigte bei unbezahlter Rechnung hingegen Zahlung an sich selbst, so trägt er und nicht der Schädiger das Werkstattrisiko. Er hat dann im Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer gegebenenfalls zu beweisen, dass die abgerechneten Reparaturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die Reparaturkosten nicht etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt nicht erforderlich sind.

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Schließlich hat der Senat entschieden (VI ZR 38/22, VI ZR 239/22), dass sich die Option des Geschädigten, sich auch bei unbeglichener Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht im Wege der Abtretung auf Dritte übertragen lässt (Rechtsgedanke des § 399 BGB). Denn der Schädiger hat insoweit ein besonders schutzwürdiges Interesse daran, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt. Allein im Verhältnis zu diesem ist nämlich die Durchführung des Vorteilsausgleichs in jedem Fall möglich, weil der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und die im Wege des Vorteilsausgleichs abzutretenden (etwaigen) Ansprüche gegen die Werkstatt in einer Hand (beim Geschädigten) liegen.