Rating: Wie nachhaltig sind Versicherer im Spiegel der ESG-Verordnungen?
Der Transformationsprozess zu einer nachhaltigen EU-Finanzpolitik ist angestoßen, obwohl es noch vieler Schritte bedarf. Aktuell geben Leitlinien und Verordnungen die Orientierung vor. Die Rating-Experten von Morgen & Morgen nahmen dies als Grundlage für ein umfangreiches Unternehmensrating, das Versicherungsbote vorstellt.
- Rating: Wie nachhaltig sind Versicherer im Spiegel der ESG-Verordnungen?
- Die Ergebnisse: Branche und einzelne Unternehmen
Als nach dreijährigem Review-Prozess im Dezember 2023 eine Reform von Solvency II angekündigt wurde, beinhaltete dies auch strengere Informationspflichten zur Nachhaltigkeit. Dennoch begrüßten Versicherer die Vorschläge. So äußerte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV), in einer Stellungnahme: „Wir Versicherer sehen die Risiken aus dem Klimawandel deutlich. Es ist daher richtig, dass diese Perspektive auch in Solvency II verankert wird.“
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Nachhaltigkeit aber ist nicht nur ein Aspekt von Solvency II. Sondern EU-weit soll ein ganzes Paket an Verordnungen und Richtlinien zu mehr Nachhaltigkeit in der Finanz- und Versicherungswirtschaft führen. Dem übergeordnet sind sogenannte ESG-Kriterien – Kriterien für die Bereiche Umwelt (Environment), soziale Verantwortung (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Government). Zwei Verordnungen sind außerdem zentral: die so genannte EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen sowie die Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung.
Morgen und Morgen analysiert 46 große Versicherungsunternehmen
ESG-Kriterien, EU-Taxonomie und die Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung sind nun Grundlage eines Morgen & Morgen- Ratings. „Nicht finanziell“ bedeutet hierbei: zwar sind die Informationen außerhalb der kaufmännischen Rechnungslegung angesiedelt, müssen jedoch dennoch offengelegt werden, um Einblick in die Auswirkungen des Unternehmenshandelns auf soziale Belange und die Umwelt zu geben. Datenbasis der Studie ist das Geschäftsjahr 2022 – frühere Daten werden nicht ausgewertet. Analysiert werden Versicherungsunternehmen, die mindestens 500 Mitarbeiter haben.
Das Rating setzt sich aus den drei – gleich gewichteten – Teilratings zusammen:
1.a Teilrating Environment: Bewertung der Unternehmen
Das Teilrating Environment bewertet: Initiativen zur CO2-Reduzierung, die CO2-Emissionen der Unternehmen, die Kapitalanlagestrategien sowie die Produkte. Bewertungen orientieren sich an so genannten Scopes – Geltungsbereichen der unternehmensbezogenen Treibhausgasemissionen:
- Scope 1 umfasst Energiequellen, die direkt im Besitz der Unternehmen sind. Nutzt ein Versicherer zum Beispiel Photovoltaikanlagen auf dem Dach?
- Scope 2 betrifft Emissionen von Energiequellen, die von anderen Anbietern bezogen werden oder betrifft die Vermeidung von Emissionen aus anderen Quellen – bezieht ein Unternehmen zum Beispiel Ökostrom?
- Scope 3 betrifft indirekte Emissionen in Verantwortung der Unternehmen – zum Beispiel bei Geldanlagen der Versicherer.
1.b Teilrating Environment: Die Produkte
Bei der Bewertung der Produkte werden Leben- und Sachprodukte bewertet. Grundlage ist die EU-Taxonomieverordnung (EU) 2020/852. Diese legt Kriterien fest, die bestimmen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig gelten.
Die Verordnung definiert Ziele für nachhaltige Finanzprodukte: a) Klimaschutz; b) Anpassung an den Klimawandel; c) nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen; d) Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft; e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung; f) Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Verschiedene Unterkapitel der Verordnung definieren sodann, wann eine Wirtschaftstätigkeit einen „wesentlichen Beitrag“ zu diesen Zielen leistet. Im Gegenzug werden auch Kriterien genannt, ab wann eine Tätigkeit das Erreichen der Umweltziele erheblich beeinträchtig.
Derzeit noch stärker ein Transparenz-Rating als ein Rating der Maßnahmen
Wichtig ist für alle Bereiche: bewertet werden in dem Rating zum Teil noch nicht die Werte und Maßnahmen selber, sondern zunächst der offene Umgang damit. Somit geht es mehr um die Informationspflichten als um Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen.
2. Teilrating Social
Beim Teilrating Social soll das soziale Handeln der Unternehmen bewertet werden. Wertungen werden vergeben zu Diversität und Inklusion (Frauenanteil in den oberen Führungsebenen, Behindertenquote), zu Work-Life-Balance (existieren flexible Arbeitszeitmodelle oder Kinderbetreuungsangebote), zum Gesundheitsmanagement (gibt es Sport- und Präventionsangebote für Mitarbeiter), zur Kundenzufriedenheit sowie zum sozialen Engagement (z.B. ausgewiesene Spenden).
3. Teilrating Governance
Im Teilrating Governance wird bewertet, welche Rolle das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen spielt – bei der Nachhaltigkeitsverantwortung geht es darum, ob das Thema in allen Unternehmensbereichen berücksichtigt wird.
Das zweite Kriterium ist die Wesentlichkeitsanalyse – hier geht es um die Identifikation von Nachhaltigkeitsthemen, die Bewertung der Relevanz, das Stakeholder-Engagement, die Berichterstattung und die Entscheidungsfindung.
Der dritte Governance-Aspekt betrifft die Nachhaltigkeitsstrategie. Während die Wesentlichkeitsanalyse sich auf die Identifikation von Schlüsselthemen konzentriert, legt die Nachhaltigkeitsstrategie konkrete Maßnahmen fest, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
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Wie gewertet wurde
Die Teilratings für Umwelt (sechs Kriterien), Soziales (fünf Kriterien) und Governance (drei Kriterien) konnten jeweils bis zu fünf Punkte erreichen, wenn sie optimal erfüllt wurden. Für einige Kriterien wurden Unterkriterien gebildet und ebenfalls mit bis zu fünf Punkten versehen (dies trifft zum Beispiel auf die Emissions- und Scope- Werte oder die Taxonomiefähigkeit der Produkte zu). Mittelwerte bildeten die Punktzahl übergeordneter Kategorien. Letztendlich ergab sich daraus der Punktwert für jedes Teilrating. Der Mittelwert aller drei Teilratings ergab sodann die Punktzahl für die Gesamtnote:
- „Sehr schwach“ – diese Note erhielt, wer weniger als zwei Punkte erhielt.
- „Schwach“ – diese Note erhielt man ab zwei Punkten, wenn man aber weniger als drei Punkte erhielt.
- „Durchschnittlich“ – diese Note erhielt, wer mindestens drei Punkte, aber weniger als vier Punkte erhielt.
- "Sehr gut“ – diese Note erhielt, wer mindestens vier Punkte, aber weniger als 4,5 Punkte erhielt.
- „Ausgezeichnet“ – diese Note erhielt, wer mindestens 4,5 Punkte erhielt.
Die Ergebnisse: Branche und einzelne Unternehmen
Beim Branchenschnitt ist der Bereich Environment am schlechtesten aufgestellt – hier liegt der Wert bei 3,6 (und bedeutet die Note „durchschnittlich“). Gute Werte zeigten die Unternehmen im Bereich „ESG in den Non-Life-Produkten“ mit 4,2 Punkten („Sehr gut“) sowie bei nachhaltigen Kapitalanlagestrategien mit dem Wert 4,1 (ebenfalls „Sehr gut“). Den schlechtesten Wert hingegen hatte man bei der Taxonomiefähigkeit von Non-Life-Produkten mit 2,8 Punkten („Schwach“).
Zudem schlossen acht Unternehmen in dem Teilbereich Environment mit „Schwach“ ab und zwei Unternehmen mit „Sehr schwach“ ab; hingegen erhielten hier nur sechs Unternehmen die Bestnote.
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Im Teilbereich Social können die Unternehmen mit durchschnittlich vier Punkten („sehr gut“) überzeugen. Den besten Schnitt haben die Bereiche Work-Life-Balance und Gesundheitsmanagement (je 4,3 Punkte); den schlechtesten Branchenschnitt hat soziales Engagement (3,5 Punkte). Auch ein unbefriedigendes Abschneiden ist hier gering: nur sechs Unternehmen schnitten mit „Schwach“ ab, keines mit „Sehr schwach“. Fünfzehn Unternehmen erhielten in diesem Teilbereich die Bestnote.
Im Teilrating Governance haben die Unternehmen den höchsten Branchenschnitt – insgesamt 4,4 Punkte. Sowohl für die Nachhaltigkeitsverantwortung als auch die Wesentlichkeitsanalyse gab es im Schnitt 4,4 Punkte; für die Nachhaltigkeitsstrategie 4,3 Punkte. Hier schnitt ein Unternehmen mit „Schwach“ ab und zwei schnitten mit „Sehr schwach“ ab. Immerhin 32 Unternehmen hingegen erhielten hier die Bestnote.
Die Ergebnisse: Die Unternehmen im Gesamtrating
Das Gesamtfeld schloss folgendermaßen ab:
- Sechszehn Unternehmen erhielten die Note „Ausgezeichnet“.
- Zwölf Unternehmen erhielten die Note „Sehr Gut“.
- Zwölf Unternehmen erhielten die Note „Durchschnittlich“.
- Vier Unternehmen erhielten die Note „Schwach“.
- Zwei Unternehmen erhielten die Note „Sehr schwach“.
Die ausgezeichneten Unternehmen
Mit der Bestnote im Gesamtrating schlossen folgende Unternehmen ab (in alphabetischer Reihenfolge): Allianz Group, Alte Leipziger-Hallesche, Axa, Baloise, Debeka, Ergo, Gothaer, Helvetia, Inter Versicherungsgruppe, Provinzial Holding AG, Signal Iduna, SV SparkassenVersicherung, Swiss Life Gruppe, Talanx Gruppe, Uniqa Insurance Group, Versicherungskammer Bayern (VKB).
Unternehmen mit Luft nach oben
Mit „Schwach“ schnitten ab: die Concordia, der Continentale Versicherungsbund, die RheinLand Versicherung, die WWK Versicherungsgruppe.
Mit „Sehr schwach“ schnitten ab: die Süddeutsche Krankenversicherung Gruppe (SDK) sowie der Württembergische Gemeinde Versicherung Konzern (WGV).
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Hintergrund: Der Text erschien zuerst in unserem neuen Versicherungsbote Fachmagazin 01-2024. Das Magazin ist kostenlos und kann auf unserer Webseite bestellt werden.
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