„Künstliche Intelligenz bietet viel Potenzial bei der Verhaltenserkennung“
Künstliche Intelligenz (KI) wird auch die Beratung verändern. Besonders die KI-Fähigkeit, Vorhersagen zu treffen, wird auch die Produktentwicklung beeinflussen, ist sich Dr. Fabian Reinkemeier, Managing Consultant & Conversational AI Expert bei elaboratum, sicher. Im Interview macht er deutlich, warum.
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Wie wird KI die Entwicklung digitaler Beratungstools für die Versicherungsbranche vorantreiben und welche Rolle spielen dabei traditionelle Beratungsmethoden?
KI wird digitale Beratungstools vorantreiben, indem sie ein tiefes Verständnis natürlicher Sprache mit der Fähigkeit kombiniert, individuelle Kundenbedürfnisse zu identifizieren und passende Produkte vorzuschlagen. Traditionelle Beratungsmethoden können dazu beitragen, eine bedürfnisorientierte Beratung auch online zu ermöglichen. Und KI kann dabei unterstützen, die natürliche Sprache angemessen zu verstehen und basierend auf den Kundenwünschen und dem echten Bedarf passende Produkte vorzuschlagen. Online müssen Kundinnen und Kunden sich meist allein durch den Dschungel an Produkten bewegen. Ganz im Gegensatz zur traditionellen Beratung: Wenn eine Kundin oder ein Kunde zu einer Vertreterin oder einem Vertretervor Ort geht, so bietet dieser nicht direkt ein Produkt an – am besten mit einer spezifischen Tariflinie – , sondern fragt nach, in welcher Lebenssituation sich die Kundin beziehungsweise der Kunde befindet, was abgesichert werden soll, welcher Bedarf vorhanden ist usw. Online werden häufig Produkte angeboten und dann noch Produkt-Tarife, doch dies macht die Auswahl im Produktdschungel nicht unbedingt verständlicher. In der traditionellen Beratung wird immer von der Kundin beziehungsweise vom Kunden hergedacht. Und das ist auch gut so. Genau bei solchen digitalen Beratungstools kann KI ein integraler Bestandteil sein – zur Bedürfniserhebung, aber auch zum Finden des passenden Produkts durch die Informationen zu allen vorhandenen Produkten und Tariflinien. KI ermöglicht die Analyse großer Datenmengen, um personalisierte Empfehlungen zu liefern, die auf den spezifischen Bedürfnissen und Präferenzen der Kundin oder des Kunden basieren. Außerdem kann KI-Risiken pro Individuum besser bewerten und damit je nach Risikoprofil spezifischere Angebote sowie eine bessere Tarifgestaltung und Produkte aufsetzen. Dabei ist es wichtig, ungerechtfertigte Prämienerhöhungen zu vermeiden.
Wie können Versicherungsunternehmen sicherstellen, dass die Personalisierung von Angeboten und Kommunikation durch KI im Einklang mit den Datenschutzrichtlinien und den Erwartungen der Kunden steht?
Versicherungsunternehmen müssen strenge Datenschutzrichtlinien – besonders mit Blick auf die DSGVO – befolgen und transparente Datenstrategien entwickeln, um die Personalisierung von Angeboten und Kommunikation im Einklang mit den Kundenerwartungen zu gewährleisten. Die Einbeziehung der Kundin oder des Kunden und die Sicherstellung ihrer Zustimmung sind dabei zentral. Eine weitere Herausforderung ist die sogenannte Cookiecalypse, Aufgrund der Abschaffung der Third-Party-Cookies müssen Unternehmen adäquate First-Party-Datenstrategien entwickeln. Die Einhaltung der Datenschutzrichtlinien ist integral, um das Vertrauen der Kundinnen und Kunden auch langfristig zu garantieren. Auch hier eignet es sich, eher selbst erhobene Daten zu nutzen als externe. Denn dies wird bei den Kundinnen und Kunden als vertrauenswürdiger angesehen.
Bei vielen Unternehmen sind entsprechende Vorgaben zum Schutz der Kundinnen und Kunden vorhanden. Das ist wichtig, denn diese sollten langsam an KI herangeführt werden, um nicht das über Jahre aufgebaute Vertrauen zu verspielen. Ebenso wichtig ist es, die Mitarbeitenden ausreichend einzubeziehen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat gesagt, dass es ab dem Jahr 2035 keinen Job mehr geben wird, der nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat. So eine Aussage verunsichert viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und diese Ängste müssen rechtzeitig adäquat adressiert werden, sonst geht der Innovationsdrang verloren, die Unzufriedenheit steigt und das Unternehmen hat weniger Zukunftschancen. Zudem muss der Versicherer strenge Kontrollen der KI-Modelle sowie die Einschränkung der Daten, die das Modell verwendet, gewährleisten. Darüber hinaus können Versicherungsunternehmen zwischen privaten Modellen und denen der großen Tech-Unternehmen abwägen. Wenn man eine vollständige Sicherheit garantieren möchte, sollten private Modelle aufgesetzt werden. Diese könnten allerdings hinter dem aktuellen technischen Stand zurückliegen. Egal, für welches Modell man sich entscheidet, die Datenschutzrichtlinien sollten immer eingehalten werden. Die Zustimmung sollte eingeholt werden und die Verwendung und Verarbeitung personenbezogener Daten sollte stets transparent sein.
Inwiefern ermöglicht KI eine personalisierte Kundenansprache in der Versicherungsbranche und welche Auswirkungen hat dies auf die Entwicklung dynamischer Versicherungsprodukte und Preismodelle?
Die Kundenansprache kann vielfältig personalisiert werden – sei es durch personalisierte Texte, Bilder oder bald auch Videos. Für Unternehmen eröffnen sich damit ganz neue Wege für die betriebliche Effizienz und Marketingeffektivität.
Generell bietet KI viel Potenzial bei der Verhaltenserkennung und der daraus verknüpften digitalen Kundenaktivierung. So kann die Customer Journey zielgerichteter optimiert werden. Außerdem können mit KI auch zielgruppenspezifische Content-Serien für Social Media oder Blog-Beiträge erstellt werden. Auch das trägt zur Personalisierung bei.
Die KI ist insbesondere gut darin, Muster zu erkennen. Durch die Erkennung von Verhaltensmustern kann individueller auf Kundinnen und Kunden eingegangen werden.
Dynamischen Versicherungsprodukten gehört die Zukunft: Wenn sich die Kundin oder der Kunde nach den eigenen Bedürfnissen das passende Produkt zusammenstellen könnte und anschließend hierfür einen individuellen Preis erhält − also von Standardtarifen hin zu maßgeschneiderten Versicherungen. Das ist aber noch Zukunftsmusik. Vielleicht wird es irgendwann die Möglichkeit geben, Pay-per-Use- und nutzungsbasierte Modelle noch stärker zu platzieren.
Mithilfe von KI wird es zukünftig auch möglich sein, die Häufigkeit und die Schwere von Schäden in der Schaden- und Unfallversicherung oder die Lebenserwartung in der Lebensversicherung und ähnlichen Bereichen vorherzusagen. Diese Fähigkeit, Vorhersagen zu treffen, hilft, Produkte zu entwickeln, die genau auf die Risikoprofile und Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten sind. Wichtig: Es darf daraus keine Diskriminierung erfolgen. Insgesamt könnten aber so auch fairere Preise angeboten werden – eben je nach individuellem Kundenrisiko.
Welche weiteren KI-Trends oder Entwicklungen könnten in den nächsten Jahren die Versicherungsbranche beeinflussen, basierend auf den aktuellen Fortschritten und Herausforderungen?
Um die Entwicklung der KI in der Versicherungsbranche voranzutreiben, ist die Befähigung von Mitarbeitenden, KI effektiv einzusetzen, von entscheidender Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Studie der Harvard Business School in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group. Diese hat eindrucksvoll belegt, wie der Einsatz generativer KI – speziell ChatGPT-4 – die Arbeitsproduktivität revolutioniert. Beraterinnen und Berater, die mit dieser Technologie arbeiteten, erzielten nicht nur schneller Ergebnisse, sondern auch qualitativ deutlich höhere – eine Steigerung um 40 Prozent im Vergleich zu traditionellen Methoden.
Doch KI kann noch mehr: Sie ist ein wesentlicher Treiber für Innovation und Effizienz in der Versicherungswirtschaft, von der Optimierung interner Prozesse bis hin zur Verbesserung des Kundenservices. Mit Blick auf das Barrierefreiheitstärkungsgesetz, das 2025 in Kraft tritt, eröffnet KI zudem Wege, digitale Angebote inklusiver zu gestalten. Ob durch die Anpassung von Grafiken und Diagrammen, die Strukturierung von Inhalten oder die Entwicklung dynamischer Nutzeroberflächen für Menschen mit Behinderungen – KI unterstützt Unternehmen dabei, die Herausforderungen der digitalen Inklusion zu meistern.
So schließt sich der Kreis: KI ist nicht nur ein Werkzeug zur Steigerung der Effizienz und Produktivität, sondern auch ein Mittel, um die digitale Welt für alle zugänglich und nutzbar zu machen. Dieses Potenzial zu erkennen und zu nutzen, ist entscheidend für die Zukunft der Versicherungsbranche.
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Anmerkung: In einem ersten Teil des Interviews spricht Fabian Reinkemeier zu den Themen, wie KI die Schadensregulierung beeinflusst und zur Bekämpfung von Versicherungsbetrug eingesetzt wird. Dieses Interview ist unter dem Titel „70 Prozent aller Schadensansprüche erfordern menschliches Eingreifen“ veröffentlicht.