Hat Ihr Unternehmen auch schon einen KI-basierten Chatbot im Einsatz? Spätestens seit dem Aufkommen von chatGPT sind die KI-Helferlein in aller Munde. Und tatsächlich zeigt eine Auswertung bei Google Trends erstaunliche Parallelen zwischen dem Anstieg der Suchanfragen nach „Chatbots“ und dem nach „chatGPT“.

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Dirk Weske ist Vorstand der PPI AGPPI AG

Google Trends zeigt aber auch: Während das Interesse an chatGPT weiterhin steigt, nehmen die Suchanfragen nach dem Begriff „Chatbot“ kontinuierlich ab. Nach dem ersten Hype scheint also eine gewisse Ernüchterung einzusetzen.

Oder, um mit dem Gartner Hype Cycle zu sprechen: Willkommen im Tal der Tränen!

Wer sich schon einmal an einem eigenen Chatbot versucht hat, der weiß: Auch mit wenig Vorkenntnissen lassen sich schnell beeindruckende erste Erfolge erzielen. Danach folgt jedoch meist die Ernüchterung. Denn der Weg von den ersten Prototypen bis zur Marktreife ist lang und extrem aufwändig.

Doch warum ist das so? Dafür gibt es viele Gründe. Da wäre zum Beispiel das Thema mit dem Datenschutz. Wer auf chatGPT oder vergleichbare Produkte meist US-amerikanischer Techkonzerne für die Entwicklung eigener Chatbots zurückgreift, erlaubt diesen Unternehmen in der Regel, die verwendeten Daten für das Training der eigenen Systeme zu verwenden. Selbst wenn der Chatbot nur mit öffentlich verfügbaren Informationen, zum Beispiel den AGB, trainiert wird, so müsste der Kunde bei strenger Auslegung der Datenschutzrichtlinien aktiv zustimmen, dass seine persönlichen Fragen für Trainingszwecke und zur Optimierung der KI genutzt werden. Das wird viele Kunden abschrecken. Dies gilt erst recht dann, wenn der Chatbot auch sensible Informationen verarbeitet, etwa zur eigenen Gesundheit. Denn alle diese Fragen fließen in den riesigen Datenpool der KI-Hersteller …

80-Prozent-Antworten sind für Versicherer nicht akzeptabel

Die erste Herausforderung besteht also darin, vor dem produktiven Einsatz des Chatbots eine eigene, abgeschottete technische Umgebung zu schaffen und zu betreiben, ähnlich einer private cloud. Auch wenn sich hierfür mittelfristig bestimmt Standardlösungen etablieren, mal eben schnell und einfach ist das nicht …

Eine weitere Herausforderung bei der Entwicklung von Chatbots betrifft die Zuverlässigkeit der Antworten. Chatbots beruhen auf statistischen Modellen. Sie liefern also immer die wahrscheinlich richtige Antwort im gegebenen Kontext aus Trainingsdaten und Anfrage. In einigen Branchen mag das ausreichen – in der Versicherungsbranche mit Sicherheit nicht. Denn hier kommt es darauf an, dass die Antworten verlässlich und korrekt sind. Schließlich geht es oftmals um Fragen der Gesundheit oder auch um viel Geld. Eine 80-Prozent-Antwort ist daher nicht akzeptabel.

Die Frage ist: Wann habe ich meinen Chatbot so gut trainiert bzw. entwickelt, dass ich mich traue, ihn auf meine echten Kunden loszulassen? Chatbots, die es zum Beispiel erlauben, per natürlichsprachlichem Chat oder sogar per Voice die AGB des Versicherers nach den passenden Antworten durchsuchen, dürften relativ schnell zur Marktreife kommen. Wenn es aber darum geht, zuverlässig komplizierte Anliegen zu klären, um auch in dieser Komplexitätsklasse die Kollegen im Kundenservice zu entlasten, stehen wir erst noch am Anfang der Entwicklung.

Aufwand und Kosten lassen sich kaum kalkulieren

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte niemanden entmutigen, eigene Chatbots zu entwickeln und einzusetzen. Ganz im Gegenteil. Ich glaube fest an das gewaltige Potenzial der KI-basierten Technologie. Ich plädiere nur dafür, die Entwicklung dieser Tools nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und wie „… ein weiteres ganz normales IT-Projekt …“ zu betrachten.

Mit Chatbots ist es im Grunde wie mit Impfstoffen: Die Entwicklung gleicht eher einem Forschungsprojekt als einer normalen Produktentwicklung. Aufwand und Kosten lassen sich zu Projektbeginn kaum verlässlich kalkulieren. Noch weniger lässt sich sagen, ob und wann die Bemühungen Früchte tragen.

Am Anfang der Corona-Pandemie konnte niemand mit Sicherheit sagen, ob es gelingen würde, zeitnah einen passenden Impfstoff zu entwickeln – und welcher Hersteller am Ende das Rennen macht. Mit Projekten zur Entwicklung von Chatbots verhält es sich ähnlich. Es lässt sich nicht verlässlich vorhersagen, wie lange die Entwicklung dauern wird und wie hoch die dafür notwendigen Investitionen sind.

Das klassische Projektmanagement funktioniert nicht

Was heißt das jetzt für KI-Projekte von Versicherern? Zuallererst braucht es eine andere Erwartungshaltung und Steuerung durch das Management. Das klassische Projektmanagement mit vorab festgelegten Ressourcen und Timings funktioniert bei KI-Projekten nicht. Auch Projektfortschritte lassen sich nur schwer protokollieren.

Deshalb ist es auch wichtig, nicht alles auf die KI-Karte zu setzen. Die Entwicklung eines Chatbots sollte als langfristiges Projekt gesehen werden, dessen Erfolg nicht garantiert werden kann. Wenn es einen kurzfristigen Bedarf mit hartem Liefertermin gibt, so sollte sehr sorgfältig geprüft werden, ob konventionelle Maßnahmen nicht sicherer zum Ziel führen.

Wie immer kommt es auf das richtige Maß an: Lassen Sie sich nicht blenden von schnellen Erfolgen. Lassen Sie sich aber auch nicht entmutigen, wenn die Entwicklung länger dauert als geplant. Chatbots sind nicht das Allheilmittel für alle Probleme. Sie bieten aber ein enormes Potenzial, gerade auch für Versicherer.

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