Im Mai 2023 veröffentlichte die EU-Kommission einen Entwurf, wie sie das selbst gesetzte Ziel einer größeren Beteiligung von Kleinanlegern an den Renditemöglichkeiten der Finanzmärkte erreichen will. In diesem Entwurf waren u. a. partielle Provisionsverbote vorgesehen, wenn Vermittler erklären, dass sie auf unabhängiger Basis beraten (Versicherungsbote berichtete).
Gestern tagte der Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments (ECON), um über die EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy – RIS) zu diskutieren. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Änderungsvorschläge erörtert, die von Provisionsverboten bis hin zu Regelungen für unabhängige Beratung reichen.

Anzeige

Ein zentraler Aspekt der Diskussion war die Frage, ob Versicherungsvermittler weiterhin Provisionen für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten erhalten dürfen. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) begrüßte die Entscheidung des ECON-Ausschusses, die Einführung von EU-weiten Provisionsverboten abzulehnen. BVK-Präsident Michael H. Heinz betonte die Bedeutung der Entscheidung für die Existenzgrundlage der Versicherungsvermittler in Deutschland. „Es drohte der Entzug der Existenzgrundlage für Versicherungsvermittler in Deutschland“, so BVK-Präsident Michael H. Heinz. „Der ECON-Ausschuss sprach sich vielmehr dafür aus, die Koexistenz verschiedener Vergütungssysteme bei der Anlageberatung aufrecht zu erhalten. Damit haben weiterhin die Kunden in Deutschland die Möglichkeit, hochwertige Beratungsleistungen der Vermittler in Anspruch zu nehmen, ohne zwingend Honorare bezahlen zu müssen.“

Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) äußerte sich und forderte ein komplettes Provisionsverbot beim Verkauf von Finanzanlageprodukten. Dorothea Mohn, Leiterin Finanzmarkt beim vzbv, kritisierte den Beschluss des ECON-Ausschusses und betonte die Notwendigkeit eines umfassenden Verbraucherschutzes. „Mit diesem Beschluss bleibt vom ursprünglich angedachten Verbraucherschutz de facto nichts mehr übrig. Das teilweise Provisionsverbot wäre ein wichtiger erster Schritt gewesen, um aus dem bestehenden Provisionssystem auszusteigen. Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich eine unabhängige Beratung, die ohne finanzielles Einzelinteresse der Berater auskommt. Stattdessen können Beraterinnen und Berater im Provisionsvertrieb weiter die überteuerten und unpassenden Produkte verkaufen, die ihnen die meiste Provision einbringen. Zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher braucht es ein komplettes Provisionsverbot beim Verkauf von Finanzanlageprodukten.“

Eine weitere wichtige Entwicklung war die Aufnahme eines Absatzes in die Retail Investment Strategy, der Versicherungsvermittler, die unabhängig agieren, von einem Provisionsverbot ausnimmt. Diese Ergänzung wurde vom Bundesverband Finanzdienstleistung AfW begrüßt, der darauf hinwies, dass dies den deutschen und österreichischen Versicherungsmaklern weiterhin ermöglicht, Provisionen für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten zu erhalten. „Mit einer endgültigen Verabschiedung dieses Absatzes wären die deutschen und österreichischen Versicherungsmakler auf einem guten Weg, dass sie auch weiterhin als unabhängig tätige Vermittler Provisionen für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukte erhalten dürfen,“ analysiert AfW-Vorstand Frank Rottenbacher die Ergänzung. „Die jetzt erfolgte Klarstellung im ECON-Ausschuss ist natürlich kein Einzelerfolg eines einzelnen Verbandes. Vielmehr ist es das Resultat überzeugender Argumente und der Arbeit sehr vieler Akteure, so auch unserer europäischen Partnerverbände im gemeinsamen Dachverband FECIF. Als AfW haben wir durch unzählige Gespräche und das von uns eingeholte Gutachten von Prof. Schwintowski unseren Teil dazu beigetragen“, betont AfW-Vorstand Frank Rottenbacher die Kooperation der Verbände.

Anzeige

Insgesamt zeigt die Diskussion im ECON-Ausschuss die Komplexität und die Vielschichtigkeit der EU-Kleininvestorstrategie. Während verschiedene Interessengruppen unterschiedliche Positionen vertreten, bleibt abzuwarten, wie sich der Gesetzgebungsprozess in den kommenden Monaten entwickeln wird. Im April 2024 soll das EU-Parlament diese Änderungsvorschläge verabschieden. Parallel erarbeitet der EU-Rat noch seine Position. Nach der EU-Wahl im Juni wird feststehen, ob die bisherigen Berichterstatter erneut ins EU-Parlament gewählt wurden und ob sie erneut mit der Retail Investment Strategy beauftragt werden. Frühestens im Herbst wird es dann in das Trilog-Verfahren gehen, durch das die EU-Kommission, das EU-Parlament und der EU-Rat eine gemeinsame Position finden werden.