Der Fall


Der klagende frühere Arbeitnehmer wechselte mehrfach innerhalb des Konzerns das Arbeitsverhältnis. Über eine Konzernbetriebsvereinbarung war ihm eine Versorgungszusage erteilt worden. Bei Rentenbeginn war er jedoch mit der vom letzten Arbeitgeber errechneten Höhe der Altersrente nicht einverstanden. Streitig war, ob die abändernde Konzernbetriebsvereinbarung auch für sein neues Arbeitsverhältnis galt, beziehungsweise ob die Ablösung, die einen verschlechternden Eingriff darstellte, sachlich gerechtfertigt war. Zu klären war in diesem Zusammenhang auch, auf welche Gesellschaft abzustellen ist, wenn aufgrund einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung die Versorgungsanwartschaften für die Zukunft reduziert werden sollen.



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Anja Sprick, Justiziarin, Recht | Steuern, Longial GmbHLongial GmbH

Die Entscheidung


Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Az.: 4 Sa 163/22) hat zunächst durch Auslegung festgestellt, dass die Konzernbetriebsvereinbarung für alle Arbeitnehmer und alle Konzerngesellschaften galt und damit die ältere Versorgungsordnung die später erlassene Versorgungszusage bei Wechsel innerhalb des Konzerns wirksam abgelöst hat. Das LAG sah nur den letzten Arbeitgeber in der Pflicht, für die gesamte Zeit der Konzernzugehörigkeit Versorgungsleistungen zu erbringen.



„Drei-Stufen-Theorie“ zu beachten


Wenn – wie hier – mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand regeln, gilt das Ablösungsprinzip. Danach löst eine neue Betriebsvereinbarung eine ältere grundsätzlich auch dann ab, wenn die Neuregelung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist. Das Ablösungsprinzip ermöglicht allerdings nicht jede Änderung. Soweit in bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, etwa Urteil vom 9.12.2014 – 3 AZR 323/13). Es gilt ein dreistufiges Prüfungsschema.



Im vorliegenden Fall ging es um noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse und damit um einen Eingriff auf der dritten Stufe. Hierzu sind grundsätzlich sachlich-proportionale Gründe erforderlich, aber auch ausreichend.

Was sind sachliche Gründe?


Sie liegen nicht erst dann vor, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers konkret gefährdet ist. Entscheidend ist, ob wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, auf die ein vernünftiger Unternehmer reagieren darf.



Ein Eingriff in Zuwachsraten, die noch nicht erdient sind, ist dann sachlich gerechtfertigt, wenn auf die andauernde Verschlechterung der Ertragskraft mit einem Bündel von Maßnahmen reagiert wird und, nachdem diese Maßnahmen noch nicht ausreichend gegriffen haben, zur Kostensenkung auch das betriebliche Versorgungswerk herangezogen wird. Eine langfristige Substanzgefährdung oder eine dauerhaft unzureichende Eigenkapitalverzinsung sind nicht erforderlich.



Allerdings reicht regelmäßig der allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht aus. Vielmehr sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Einzelnen substantiiert darzutun. Anderweitige Sanierungsmöglichkeiten müssen zumindest erwogen worden sein und ihre Unterlassung muss plausibel erläutert werden. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber darzulegen, dass die Eingriffe in die Versorgungsregelungen in der konkreten Situation proportional, also verhältnismäßig sind und dass die Abwägung seiner Interessen an einer Änderung des Versorgungswerks gegenüber den Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der ursprünglichen Versorgungszusage im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.



Die tatsächlichen Umstände und wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Konzern-Mutter sind maßgeblich


Bei der Prüfung sind nach Auffassung der Berufungsinstanz im vorliegenden Fall die tatsächlichen Umstände und wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Konzern-Muttergesellschaft maßgeblich. Zwar ist hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage als Eingriffsgrund grundsätzlich auf den Arbeitgeber als Versorgungsschuldner abzustellen, auch wenn dieser in einen Konzern eingebunden ist (BAG-Urteil vom 24.1.2006 – 3 ARZ 483/04). 



Allerdings können Verflechtungen innerhalb des Konzerns dazu führen, dass eine konzerneinheitliche Betrachtung geboten ist und der Arbeitgeber wirtschaftliche Schwierigkeiten im Konzern zum Anlass für Eingriffe auf der dritten Besitzstandsstufe nehmen darf. Da Eingriffe in die noch nicht erdienten dienstzeitabhängigen Zuwächse lediglich sachlich-proportionale Gründe voraussetzen, kann es dem Arbeitgeber zuzugestehen sein, auch auf seine Konzernverflechtung und die Lage im Gesamtkonzern Rücksicht zu nehmen (BAG-Urteil vom 10.11.2015 – 3 AZR 390/14).



Das starre Abstellen auf die Wirtschaftslage des Vertragsarbeitgebers würde dazu führen, dass eine Änderung einer bestehende Konzernbetriebsvereinbarung erst dann möglich wäre, wenn sich die schlechte wirtschaftliche Lage eines Tochterunternehmens auf den gesamten Konzern-Verbund auswirken würde. Die Kammer hielt dies nicht für sachgerecht.



Vorliegend führte die verklagte Gesellschaft diverse Gründe für die Ablösung der Versorgung an, so auch der zu erwartende Anstieg der Pensionsrückstellungen in den nächsten Jahren, wenn die alte Versorgungszusage aufrechterhalten würde.



Prognostizierte Entwicklungen bei den Pensionsrückstellungen können sachlichen Grund darstellen


Es darf allerdings nicht verkannt werden, dass Rückstellungen zunächst nur ein Instrument der Innenfinanzierung darstellen. Rückstellungen führen aber durch die Auswirkungen auf den bilanziellen Gewinn beziehungsweise Verlust zu einem besseren oder schlechteren Verlauf des Geschäftsjahrs, möglicherweise auch mit Auswirkungen auf die Kreditfähigkeit eines Unternehmens (BAG-Urteil vom 8.12.2020, 3 AZR 64/19). Es liegt daher im Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien, die entlastende Wirkung der Verringerung eines Rückstellungsbedarfs zu berücksichtigen (BAG-Urteil vom 10.11.2015 – 3 AZR 390/14). Eine Rechtfertigung für den Eingriff in zukünftige Zuwächse kann sich ergeben aus einem außergewöhnlich hohen Rückstellungsbedarf und damit einhergehend im Vergleich zu den aktiven Bezügen ganz unverhältnismäßig ansteigender Versorgungslasten (BAG-Urteil vom 10.9.2002 – 3 AZR 635/01).



Im vorliegenden Fall hat die beklagte Gesellschaft nach Auffassung des Berufungsgerichts ausreichend dargetan, dass bei Fortführung der Versorgung nach der alten Versorgungsordnung sich die Rückstellungslasten von 1.554 Millionen DM im Jahr 1985 innerhalb von 15 Jahren beinahe verdoppelt und im Jahr 2003 bei 3.257 Millionen DM gelegen hätten. Nach Ansicht der Kammer war also eine mittelfristige Verdoppelung oder jedenfalls ein starker Anstieg der Rückstellungslasten potenziell geeignet, die Leistungsfähigkeit der Konzern-Muttergesellschaft zu überfordern.



Die Kammer ging daher davon aus, dass sachlich-proportionale Gründe für einen Eingriff in die bestehende Versorgungsordnung gegeben waren. Für diese Annahme sprach zudem, dass der Konzernbetriebsrat die Umstellung mitgetragen hatte. Der frühere Arbeitnehmer hatte daher keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Altersrente gehabt.

Fazit

Wieder einmal haben sich Erst- und Zweitinstanz bei der Ablösung von Versorgungszusagen mit der Drei-Stufen-Theorie des BAG auseinandergesetzt. Fraglich ist, ob die Auffassung des LAG Hamm zur konzerneinheitlichen Betrachtung bei der wirtschaftlichen Lage so vom BAG (Verhandlungstag 2.7.2024) bestätigt wird. Es ist auch nicht zwingend erforderlich, dass eine Versorgungszusage, die über eine Konzernbetriebsvereinbarung ergangen ist, für alle Unternehmen des Konzerns gilt. Insbesondere kleinere Unternehmen übernehmen innerhalb des Konzerns nicht unbedingt die Zusage. Die Revision ist anhängig.


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