“Too big to fail“ - Manche Finanzunternehmen sind so groß und vernetzt, dass ihre mögliche Insolvenz ein systemisches Risiko darstellen kann. Dies gilt nach Ansicht der europäischen Finanzaufsichtsbehörden nicht nur für Banken, die in der Finanzkrise 2008 beinahe die Weltwirtschaft in den Abgrund gerissen hätten. Auch Versicherer können so groß sein, dass ihre Schieflage einen Dominoeffekt auslöst und Märkte destabilisiert: so zumindest aus Sicht der EU-Gremien.

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Deshalb führt die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) regelmäßig Stresstests durch, um zu prüfen, wie robust die Großen der Branche dastehen. Ziel des Stresstests ist es, zu beurteilen, wie widerstandsfähig der Versicherungssektor gegen mögliche negative Entwicklungen ist. Die Schwerpunkte der Tests ändern sich auch abhängig von aktuellen Bedrohungen. So wurden schon Szenarien durchgespielt, in denen es um Klimarisiken, Pandemien ähnlich der Coronakrise oder um Massenkündigungen ging.

Schwerpunkt des aktuellen Stresstests: Inflation und hohe Zinsen

Wie die deutsche Behörde Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am Montag auf ihrer Webseite berichtet, steht nun der nächste Stresstest für die Branche an. Der Schwerpunkt liegt erneut auf den großen europäischen Versicherungsgruppen. Europaweit nehmen 46 Versicherungsgruppen und zwei Versicherungsunternehmen am Hauptmodul „Capital Component“ teil. Aus Deutschland sind dies sieben Branchengrößen: die Allianz, Münchener Rück, HDI/Talanx, R+V, Debeka, Versicherungskammer Bayern und der Bestandsabwickler Viridium.

Bis zum 8. August 2024 müssen die teilnehmenden deutschen Versicherungsgruppen ihre Berichtsformulare bei der BaFin einreichen. BaFin und EIOPA prüfen anschließend die Daten in einem mehrstufigen Verfahren. Die EIOPA plant, die Ergebnisse im Dezember 2024 zu veröffentlichen. Die notwendigen Unterlagen für den Stresstest sind auf der EIOPA-Website verfügbar.

Verschärfung der geopolitischen Spannungen angenommen

Die fiktiven Rahmenbedingungen des aktuellen Stresstests spiegeln die aktuelle Weltlage wider. Ohne dass die Aufsichtsbehörde dies konkret benennt, seien hier einige Konfliktherde genannt: In der Ukraine und in Israel tobt der Krieg, Donald Trump könnte Präsident werden - und, wie er bereits angedeutet hat, die NATO zu Grabe tragen, und bei den anstehenden Europawahlen könnten rechtspopulistische Parteien erstarken und auch wirtschaftlich zu einer Politik der nationalen Abschottung zurückkehren - inklusive neuer Handelsschranken.

Folglich schreibt auch EIOPA auf der Webseite: "Der Stresstest 2024 konzentriert sich auf die wirtschaftlichen Folgen einer erneuten Verschärfung oder Verlängerung der geopolitischen Spannungen. Er bewertet die Auswirkungen eines solchen Szenarios auf die Kapital- und Liquiditätslage der europäischen Versicherer".

Das Stresstest-Szenario sei in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) entwickelt wurden, berichtet die Behörde. Es sehe ein weit verbreitetes Wiederauftreten von Unterbrechungen der Lieferketten vor, die zu geringerem Wachstum und höherer Inflation führen. Zweitrundeneffekte, die sich aus einer Lohn-Preis-Spirale ergeben, würden den Inflationsdruck weiter verschärfen und letztlich zu einer Neubewertung der Markterwartungen in Bezug auf die Zinssätze für alle Laufzeiten und Währungen führen.

In dem betrachteten Krisenszenario seien die Marktteilnehmer besorgt, dass schwere Schocks langfristige Auswirkungen haben könnten, so die Aufsichtsbehörde weiter. Dies habe Auswirkungen auf die Zinsstrukturkurve: Vereinfacht gesagt, steigen die kurzfristigen Marktzinsen deutlich stärker als die langfristigen. Das erschwere die Geldanlage der Versicherer, die gerade in der Altersvorsorge verpflichtet sind, Garantien mit langfristigen Anlagen zu unterlegen. "Dies trägt zu einer weiteren Invertierung der Zinsstrukturkurve bei. Trotz der Erwartung, dass der Inflationsdruck im Laufe der Zeit nachlassen wird, wird das Wachstum weiterhin beeinträchtigt werden. Die daraus resultierende Verschärfung der Finanzierungsbedingungen würde die Zinsen für Staatsanleihen uneinheitlich erhöhen, die Rentabilität der Unternehmen belasten, die Kreditspreads ausweiten und sich negativ auf andere Anlageklassen auswirken", schreibt die EIOPA.

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Die aus diesem Narrativ abgeleiteten markt- und versicherungsspezifischen Schocks seien so kalibriert, "dass sie schwerwiegend, aber plausibel sind und sich sowohl auf die Aktiv- und Passivseite der Bilanz von Versicherern als auch auf ihre Liquiditätszu- und -abflüsse auswirken", so EIOPA.