Versicherungsbote: Sind Sie mit der Gesamtentwicklung der Gruppe zufrieden?

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Dr. Jürgen Bierbaum: Auf jeden Fall, denn die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen haben sich 2023 gegenüber dem Vorjahr noch weiter verschärft. In diesem Umfeld sind wir sehr zufrieden, dass die 
ALH-Gruppe insgesamt weiter gewachsen ist.

Die gebuchten Bruttobeiträge sind im Vergleich zum Vorjahr um 3,0 % gesunken. Welche Faktoren haben Ihrer Meinung nach zu diesem Rückgang beigetragen, und welche Strategien planen Sie zur Umkehrung dieses Trends?

Hier hat sich das rückläufige Einmalbeitragsgeschäft ausgewirkt, denn bei den laufenden gebuchten Bruttobeiträgen sind wir gegenüber dem Vorjahr um 3,3 Prozent gewachsen. Das abnehmende Einmalbeitragsgeschäft ist maßgeblich auf die raschen Zinssteigerungen zurückzuführen. Banken konnten aufgrund ihres Geschäftsmodells schneller auf diese Veränderungen reagieren und eine attraktivere Verzinsung als Lebensversicherer bieten.
Da jedoch der Zinsgipfel überschritten zu sein scheint und in naher Zukunft mit Zinssenkungen zu rechnen ist, sind wir zuversichtlich, dass auch unsere Einmalbeitragsprodukte wieder attraktiver werden. Darüber hinaus liegt unser Schwerpunkt auf dem Geschäft gegen laufende Beiträge, und hier verzeichnen wir seit Jahren einen kontinuierlichen Zuwachs. Somit halten wir an unserem strategischen Kurs fest.

Das Neugeschäft hat sich uneinheitlich entwickelt, mit einem Anstieg beim laufenden Beitrag und einem Rückgang bei Einmalbeiträgen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung im Hinblick auf die langfristige Finanzstabilität der ALH-Gruppe?

Unsere Finanzstabilität ist von dem aktuellen Rückgang bei Einmalbeiträgen nicht beeinträchtigt. Dass wir aktuell und auch in der absehbaren Zukunft nachhaltig finanzstark aufgestellt sind, bescheinigen uns Ratingagenturen wie S&P, Fitch und Assekurata regelmäßig. Der Ausblick von S&P Global Ratings für die Alte Leipziger Lebensversicherung hat sich im November 2023 sogar von „stabil“ auf „positiv“ verbessert. Darüber hinaus ist unser Geschäft gegen laufende Beiträge eine solide und in den letzten Jahren kontinuierlich wachsende Basis, auf die wir auch in Zukunft verlässlich bauen können.

Die Stornoquote nach laufendem Beitrag ist gestiegen. Was sind die Hauptgründe für diese Zunahme, und welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Kundenbindung zu verbessern und die Stornoquote zu reduzieren?

Unsere Stornoquote nach laufenden Beiträgen wird immer wieder von Veränderungen bei großen bAV-Verträgen beeinflusst. Hier kommen häufiger Sondereffekte zum Tragen, zum Beispiel bei Beitragsfreistellungen bzw. der Wiederaufnahme von Beitragszahlungen. So wurde unsere Stornoquote 2022 durch die Wiederaufnahme der Beitragszahlung eines Großkunden positiv beeinflusst. Wir sehen demnach aktuell keine außergewöhnlichen Veränderungen in der Entwicklung unserer Stornoquote.

Die Kapitalanlagen sind gewachsen, aber die Nettoverzinsung liegt bei 2,17 %. Wie planen Sie, die Performance der Kapitalanlagen angesichts der volatilen Finanzmärkte zu verbessern?

Wir haben unsere Nettoverzinsung 2023 gegenüber dem Vorjahr dank eines höheren laufenden Ergebnisses unserer Kapitalanlagen leicht verbessert. Dass unsere Nettoverzinsung seit 2022 niedriger ausfällt als in den Vorjahren, liegt daran, dass die Zinszusatzreserve inzwischen sinkt und keine außerordentlichen Erträge mehr zu ihrer Finanzierung erforderlich sind.
2016 haben wir uns vorgenommen, die Portfolioallokation bei der Alte Leipziger zu verändern und haben die Quote festverzinslicher Anlagen von damals 90 Prozent auf inzwischen rund 80 Prozent gesenkt. Die freiwerdenden Mittel flossen in Infrastrukturinvestments, Aktien, Private Equity und Immobilien. Natürlich lag damals das Zinsniveau bei einem Prozent. Heute befindet sich die Neuanlageverzinsung sicherer, liquider festverzinslicher Anlagen wieder in der Größenordnung von 3,5 Prozent, weit oberhalb des durchschnittlichen Garantiezinses.
Darauf reagieren wir, weichen aber nicht erheblich von unserer damaligen Zielallokation ab. Im Jahr 2022 haben wir bei klassischem Fixed Income bereits einen Wert von unter 80 Prozent erreicht. Bei alternativen Anlagen (in erster Linie Investitionen in Infrastruktur) liegen wir aktuell bei neun Prozent. Wir können sehr erstrebenswerte Renditen in diesem Bereich erwirtschaften, deshalb wollen wir ihn noch weiter ausbauen.

Die Gesamtleistungen an die Versicherungsnehmer sind um 21,9 % gestiegen. Wie beeinflusst dieser Anstieg die Profitabilität, und wie planen Sie, die Kosten zu kontrollieren?

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Dass die Gesamtleistungen an die Versicherungsnehmer um 21,9 % gestiegen sind, ist im Wesentlichen auf Veränderungen der Positionen „Aufwendungen für Versicherungsfälle“ und „Zuwachs der Leistungsverpflichtungen“ zurückzuführen. Bei den Versicherungsfällen gehen Abgänge aus dem Kapitalisierungsgeschäft ein, der Zuwachs der Leistungsverpflichtungen ist auf einen Anstieg der konventionellen und fondsgebundenen Deckungsrückstellung zurückzuführen und reflektiert einen wachsenden Bestand. Es gibt keinen direkten Einfluss auf die Profitabilität oder die Kostensituation der Gesellschaft.

Sinkendes Einmalbeitragsgeschäft belastet Verwaltungskosten

Die Verwaltungs- und Abschlusskostenquoten sind gestiegen. Was sind die Haupttreiber dieser Erhöhungen, und welche Schritte unternehmen Sie, um die Effizienz zu steigern und die Kosten zu senken?

Die höhere Verwaltungskostenquote begründet sich vor allem in planmäßig gestiegenen Investitionen in den Bereichen Regulatorik, Digitalisierung und Prozesse sowie in Infrastruktur.
Auch der Anstieg der Abschlusskostenquote gegenüber 2022 war zu erwarten, da beispielsweise höhere Veranstaltungskosten aufgrund der Inflation und Nachholeffekten der Corona-Pandemie angefallen sind. Zudem haben wir auch hier 2023 mehr investiert als im Vorjahr, insbesondere zur Weiterentwicklung unseres Vertriebs. Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Kostenkonditionen unserer Produkte zu optimieren. Neben den beschriebenen höheren Investitionen fließt in die Verwaltungskostenquote auch der gesunkene Einmalbeitrag belastend mit ein.

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Die Zuführung zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung ist gestiegen. Wie planen Sie, diese Rückstellungen zukünftig für die Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer zu nutzen?

Der Anstieg der Zuführung zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung resultiert aus dem gestiegenen Rohüberschuss (+29 % ggü. Vorjahr). Die Rückstellung für Beitragsrückerstattung steht vollständig für die zukünftige Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer zur Verfügung. Für 2024 hat die Alte Leipziger Leben die Überschussbeteiligung angehoben. Zur zukünftigen Entwicklung der Überschussbeteiligung machen wir grundsätzlich keine Angaben.

Wie bewerten Sie die aktuelle Solvabilitätsquote im Kontext der finanziellen Stabilität der ALH-Gruppe, und welche Maßnahmen ergreifen Sie, um diese Quote zu erhalten oder zu verbessern?

Die Solvabilitätsquote der Alte Leipziger Lebensversicherung liegt 2023 bei 347 % ohne Anwendung von Übergangsmaßnahmen. Damit dürften wir im Markt erneut stark positioniert sein. Eine solide Kapitalausstattung und eine starke Solvabilität sind für uns wichtige Faktoren, um auch in herausfordernden Marktlagen zu bestehen. Zudem ist unsere starke finanzielle Basis, beispielsweise durch eine kontinuierliche Stärkung des Eigenkapitals, eine entscheidende Voraussetzung für das Vertrauen unserer Kunden und Geschäftspartner. Darüber hinaus streben wir fortlaufend nach hoher Qualität und einem exzellenten Preis-Leistungsverhältnis bei unseren Produkten und Services, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Technologien, welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrer Strategie zur Steigerung der Effizienz und Verbesserung der Kundenerfahrung?

Sie spielt eine zentrale Rolle. Digitalisierung ist für alle Sparten eines der bestimmenden Themen – nicht nur mit Blick auf die Kundenerfahrung, sondern auch für unsere Zusammenarbeit mit Vermittlern. Insbesondere die Verbesserung unserer Schnittstellenfähigkeit an Drittsysteme spielt da eine entscheidende Rolle: Indem wir mit unseren Plattformen an Systeme von Maklern andocken, erhalten diese einen direkten Zugriff auf kundenbezogene Daten und Verträge.
Auch mit KI beschäftigen wir uns intensiv und setzen sie bereits in einzelnen Anwendungsfällen ein, z. B. im Inputmanagement. Durch KI können wir nicht nur das Kundenerlebnis verbessern, sondern auch den Fachkräftemangel abfedern, indem wir unsere Mitarbeiter bei Routinearbeiten entlasten, sodass sie sich auf werthaltige Aufgaben konzentrieren können.

Wie integriert die ALH-Gruppe Nachhaltigkeits- und ESG-Kriterien in ihre Geschäfts- und Kapitalanlagestrategien, und welche konkreten Ziele verfolgen Sie in diesem Bereich?

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Wir haben uns im Rahmen unserer konzernweiten Nachhaltigkeitsstrategie zahlreiche Ziele gesetzt, die sich in fünf Handlungsfelder gliedern: Verantwortungsvolle Unternehmensführung, Kapitalanlage, Produkte und Leistungen, Personal und Soziales sowie Betrieblicher Umweltschutz. Mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie wollen wir einen Beitrag zu den folgenden vier Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leisten: Keine Armut, Gesundheit und Wohlergehen, Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum sowie Maßnahmen zum Umweltschutz.
Ein wichtiges Ziel in unserem Handlungsfeld Betrieblicher Umweltschutz ist es, die Klimaneutralität der eigengenutzten Geschäftsgebäude und Geschäftsprozesse bis Ende 2025 zu erreichen.
Im Bereich Kapitalanlage haben wir das übergeordnete Ziel, unser Investmentportfolio bis Ende 2050 klimaneutral zu gestalten. Zentrale Meilensteine sind dabei für uns,
den CO2-Fußabdruck von Aktien und Unternehmens-Anleihen bis 2025 um 25 Prozent gegenüber Ende 2021 reduzieren und
den CO2-Fußabdruck von Wohn-Immobilien im Direktbestand bis Ende 2025 um 20 Prozent gegenüber Ende 2020 verringern. Unsere Nachhaltigkeitsziele kommunizieren wir transparent auf unserer Nachhaltigkeits-Website und im Nachhaltigkeitsbericht.

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