Versicherungsbote: Während der Pandemie weigerten sich viele Betriebsunterbrechungsversicherungen, Leistungen zu erbringen. Wirkt sich diese Erfahrung im Gewerbemarkt noch aus?

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Achim Finke: Die Erfahrungen haben bei vielen Managern das Risikobewusstsein für solche Risiken gestärkt. Dazu gehören nicht nur Covid, sondern auch Dinge wie der niedrige Wasserstand des Rheins, der immense Schäden in den Lieferketten auslöste oder sonstige Naturkatastrophen. In einer Insurance Due Diligence muss zwingend ein solches Thema der Unterbrechung durch eine sachschadenunabhängige Betriebsunterbrechung beleuchtet werden. (Non-Damage Business Interruption, kurz NDBI)

Leider gibt es kaum Versicherer, die eine “Non-Damage Interruption“-Police anbieten. Meist nur in großen Industriepolicen.

In Frankreich oder Großbritannien ging man ganz anders mit dem Problem der Betriebsschließungsversicherung um. Was hätte Deutschland von seinen europäischen Nachbarn lernen können?

In den Ländern ist man sehr pro Verbraucher eingestellt, auch von Seiten der Gerichte und der Behörden. Auch hat man zum Beispiel in Frankreich den Baustein Naturgefahren mit in der Betriebsschließungspolice, den man hier in der Form nicht kennt. In Deutschland war die Betriebsschließung immer nur auf ein im Betrieb stattfindendes Ereignis abgestellt. Dass hier einmal die Politik Schließungen anordnet, ohne Vorfall im Betrieb, darauf war kein Versicherer vorbereitet. Man hat dann versucht, die vielen unterschiedlichen Bedingungswerke zugunsten der Kunden auszulegen, was aber nicht immer gelang. Auch die Haftzeit war in der Regel auf 31 Tage begrenzt, was auch nicht zum Geschehen passte.
Die Politik hätte hier klare Regelungen und uneingeschränkte Unterstützung geben müssen.

Ihr Unternehmen ist in Düsseldorf beheimatet; das Ahrtal nicht allzu weit entfernt. Wie blicken Sie heute auf die katastrophalen Ereignisse von damals?

Der Vorfall im Ahrtal war und bleibt eine Katastrophe von immensem Ausmaß. Man muss deutlich sagen, dass hier in erster Linie die Politik total versagt hat. Auch die Ursachenforschung brachte fatale Fehler zu Tage. Man hat Baugenehmigungen in Gebieten erteilt, die eigentlich schon immer Überschwemmungsgebiete waren. Man hat auch bautechnisch versäumt, solche Ereignisse im Vorfeld in Betracht zu ziehen und Maßnahmen zu ergreifen. Vieles hätte sicherlich verhindert werden können.
Was mich fassungslos gemacht hatte, ist die Tatsache, dass viele keine Elementarschadenversicherung hatten, obwohl diese abschließbar gewesen wäre. Jemand, der an einem Fluss wohnt und der auch anhand alter Pegelmarkierungen sehen kann, wie stark ein solcher über die Ufer treten kann, der sollte doch dieses Risiko absichern. Eine Ersparnis von ein paar Euro steht schließlich in keinem Verhältnis zum Risiko.

Wie hat sich die Wahrnehmung von Naturkatastrophenrisiken seit den Ereignissen im Ahrtal geändert, insbesondere in Bezug auf die Versicherungsdeckung und Risikoprävention?

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Ein Ereignis wie diese Katastrophe macht zunächst viele Menschen nachdenklich und bewegt diese, ihren Versicherungsschutz zu überprüfen und zu überdenken. Wir bekamen viele Anrufe, ob denn solche Ereignisse versichert seien. Aber je weiter Menschen räumlich entfernt sind und je mehr Zeit verstreicht, desto eher fallen doch viele in das alte Schema zurück: Das wird mir schon nicht passieren. Leider meinen immer noch sehr viele, dass sie nie betroffen sein könnten. Abgeleitet daraus, dass ihnen in den letzten 30 Jahren nichts passiert ist. Ich erlebe das leider immer wieder. Um ein paar Euro zu sparen, wird auf wichtige Absicherungen verzichtet. Auch bei großen Gewerbebetrieben, die überhaupt keine Finanznot haben. Hier fehlt es leider immer wieder am Risikobewusstsein von Verantwortlichen.

"Ich halte nichts von einer Pflichtversicherung"

Wie sinnvoll ist eine Elementarschaden-Pflichtversicherung, wenn sie nicht von geänderten Bauvorschriften und Präventionsmaßnahmen begleitet wird?

Ich halte persönlich nichts von einer solchen Pflichtversicherung, besonders dann nicht, wenn der Staat so etwas steuern und managen will. An den Hilfeleistungen für das Ahrtal hat man gesehen und sieht immer noch, wie unfähig unsere Politik in solchen Dingen ist. Eine Pflichtversicherung würde nur Sinn ergeben, wenn diese von der Versicherungswirtschaft gesteuert wird. Also ähnlich der Kfz-Haftpflichtversicherung. Von Seiten der Politik müssten dazu dann Mindestanforderungen an die Bedingungen und Summen vorgegeben werden, die von jedem einzuhalten sind.
Was Bauvorschriften und Prävention angeht, so habe ich meine Zweifel, dass so etwas überhaupt umgesetzt werden kann. Beim Neubau sicher, aber was ist mit alten Gebäuden? Diese elementarfest zu machen, würde immense Summen verschlingen. Und wer soll das bezahlen? Heutzutage können doch schon sehr viele nicht mehr eine ordentliche, normale Instandhaltung finanzieren. Der Aufwand würde die meisten total überfordern. Und dazu kämen noch die Maßnahmen, um Fehler der Vergangenheit zu beseitigen. Bodenversiegelungen, kanalisierte Bachläufe, Überlaufzonen für Bäche und Flüsse, Warnsysteme usw. – dieses wäre sicher ein Jahrhundertprojekt.

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Wie stehen Sie zum ‚Wiederaufbau an gleicher Stelle‘?

Der Wiederaufbau an gleicher Stelle ist eigentlich Quatsch und sollte in keinem Bedingungswerk mehr auftauchen. Es ist ja so, dass in den meisten Fällen der Besitzer an der gleichen Stelle wieder aufbauen will. Besonders bei Wohnhäusern ist das der Fall. In den Fällen, wo es zum Beispiel aufgrund von behördlichen Beschränkungen nicht mehr möglich ist, kann der Versicherungsnehmer auch an anderer Stelle aufbauen. Hier muss man allerdings aufpassen, ob das Bedingungswerk dieses zulässt und auch die evtl. höheren Kosten abgedeckt sind. In modernen Bedingungen ist sowas kein Problem. Generell sollte man aber die alte Klausel für unwirksam erklären.

Massiv steigende Energiekosten, instabile Lieferketten, Inflation, Fachkräftemangel: Die Multikrise hat insbesondere den deutschen Mittelstand fest im Griff. Wie würden Sie das Geschäftsumfeld für Gewerbemakler derzeit beschreiben?

Das Geschäftsfeld ist eigentlich sehr gut.
Wenn man davon ausgeht, dass geschätzt weit mehr als 50% der Gewerbepolicen nicht zum Risiko passen (ich stelle leider noch höhere Zahlen fest), dann haben alle noch sehr viel zu tun. Viele Betriebe haben ihre Versicherungen seit Jahrzehnten nicht überprüft, dazu kommen geänderte Betriebsrisiken und immer mehr vertragliche Risiken, an die man früher nie gedacht hat. Ein weiterer, von vielen unterschätzter Bereich ist die Kontrolle der Obliegenheiten aus Policen. Jeder Unternehmenslenker tut gut daran, ein Risikomanagement zu betreiben, um zum einen den Versicherungsschutz zu erhalten und zum anderen nicht auch in die persönliche Haftung zu geraten.
Gewerbemakler haben hier sehr viel Arbeit in den kommenden Jahren, aber müssen sich auch auf die neuen Herausforderungen einstellen.

Was muss sich aus Ihrer Sicht dringend ändern?

Sehr viel. Wir haben mehrere Hauptbereiche:

  • Nachwuchs und Mitarbeiter: Nachwuchs und Fachkräfte zu bekommen, ist momentan eine echte Herausforderung für jeden. Die Branche überaltert und junge Leute sind nur schwer für diesen Bereich zu gewinnen.
  • Aus- und Weiterbildung: Hier wäre auch die Politik gefordert. Meines Erachtens sollten die Anforderungen an die Weiterbildung verschärft werden. Die 15 Pflichtstunden sind meiner Meinung nach nur eine minimale Basis. Hier müsste fachspezifisch viel mehr verlangt werden. Ein Rettungssanitäter kann ja auch nicht einfach ein Chirurg werden, dazwischen sind schon einige Qualifikationen notwendig.
  • Entbürokratisierung: Was man den Maklern mittlerweile an Bürokratie auferlegt, ist einfach zu viel. Hier gehören viele Dinge wieder abgeschafft.
  • Risikobereitschaft der Versicherer: Es kann nicht sein, dass Versicherer sich in vielen Bereichen einfach zurückziehen und es keine Absicherungsmöglichkeiten mehr gibt.
    Hier sind auch Rückversicherer gefragt, die ja einen erheblichen Anteil an der Situation haben, wenn bestimmte Risiken zunehmend nicht mehr versicherbar sind.
  • Zusammenrücken der Makler-Lobby: Makler sind leider nur unzureichend organisiert. Es gibt viele kleine Verbände, die aber kaum Gewicht haben, in der Politik schon gar nicht. Hier fehlt eindeutig eine starke Lobby.

"Wir bemerken fehlende Fachkräfte"

Auch Versicherer spüren die Krise und einige reagierten bereits mit Bestandssanierungen. Betroffen waren insbesondere Entsorgungsunternehmen, Kunststoffwerke und die Holzindustrie. Zudem solche Betriebe, die weniger als 500 Millionen Euro Umsatz im Jahr schreiben. Setzt sich dieses Verhalten am Markt weiter fort?

Ja leider. Versicherer haben seit längerem begonnen, ihre Bestände zu sanieren. Was ja grundsätzlich ok ist, aber die Art, wie es gemacht wurde, war schon fragwürdig. Alles, was ein höheres Risiko darstellte, bekam entweder extreme Auflagen oder wurde gekündigt. Und dieser Trend setzt sich ganz klar fort. Ich hätte mehr Feingefühl und Unterstützung von den Versicherern erwartet. Nur ein kleines Beispiel: Ein seit 90 Jahren schadenfreier Betrieb bekommt Besuch vom Versicherer und dieser stellt eine Lagerhöhe von 8 Metern fest. 50 cm über der “magischen“ Grenze von 7,5 Metern. Der Versicherer verlangt nun den Einbau einer Sprinkleranlage, die rund 2,5 Mio. kosten würde, aber technisch aufgrund von Bauweise und Statik gar nicht einfach eingebaut werden kann. Verhandlungen über andere Lösungen scheitern. Der Versicherer ist einfach stur und spricht die Kündigung aus. Ein anderer Versicherer konnte auf die Anlage verzichten, wenn man die Lagerhöhe auf 7,5 Meter begrenzt, was der Kunde dann auch getan hat. Hier sieht man deutlich, wie absurd und inkompetent manche Versicherer agieren.

Wie können Gewerbemakler bei solchen ‚Bestandssanierungen‘ hilfreich für ihre Mandanten wirksam werden?

Der Makler kann hier einiges tun: Er kann mit Versicherern versuchen, einen für alle Seiten gangbaren Weg zu finden. Im Grunde geht es darum, das Risiko so zu managen, dass es versicherbar bleibt oder wird.
Makler müssen sich zu Risikomanagern weiterentwickeln. Nur Versicherungsschutz zu besorgen, ist schon lange vorbei.

Spüren Sie als Vermittler, dass bei Versicherern Fachkräfte fehlen? Können Sie Beispiele nennen?

Und ob. Besonders bei großen Kompositversicherern bemerken wir fehlende Fachkräfte. Man kommt kaum noch zu Underwritern durch. Und auch von den Gesellschaften höre ich, dass solche Leute fehlen und man keine bekommt. Wir bekommen mit, dass sich der Krankenstand auch stark erhöht und die Mitarbeiter vollkommen überlastet sind. Rückstände von vielen Wochen sind keine Seltenheit. Das ist auch ein Grund, warum KI und Digitale Prozesse nach vorne getrieben werden. Wenn keine Fachleute mehr da sind, müssen Tarife und Prozesse so gestaltet sein, dass es durch die EDV verarbeitet werden kann. Die Individualität bleibt dabei aber auf der Strecke.
Bearbeitungszeiten werden immer länger. Immer weniger müssen immer mehr machen – das zeigt sich an Rückständen.
Ein Versicherer holt z.B. ehemalige Mitarbeiter, die in Rente sind, mit einem Bus ab und bringt diese in die Verwaltung, damit die etwas unterstützen können.

Kürzlich stellte das AfW-Vermittlerbarometer fest, dass Nachhaltigkeit von den Kunden kaum nachgefragt wird. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Nachhaltigkeit ist für die meisten ein sehr abstrakter Begriff, der aus dem Anlagebereich kommt. Kaum jemand kann erklären, was genau damit verbunden ist. Und im Sachversicherungsbereich wird es sowas sehr abstrakt. Die Kunden interessiert, wie die Police gestaltet ist, Bedingungen, Kosten. Die Thematik Nachhaltigkeit wird von vielen in die ‚woke‘-Schublade gesteckt und mit grüner Gesinnung gleichgesetzt. Hier werden Versicherer wohl noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen.

Wie beeinflusst die digitale Transformation den Gewerbemarkt und welche neuen Chancen und Risiken ergeben sich daraus für Versicherer und Gewerbemakler?

Man versucht natürlich, auch im Gewerbemarkt digitale Prozesse abzubilden. Versicherer entwickeln Tarife, die bestimmte gewerbliche Risiken abdecken und von der Angebotsanfrage bis zur Policierung digital verarbeitet werden. Aber Individualisierung bleibt dabei auf der Strecke. Ich sehe hier durchaus Chancen, dass Teilbereiche sehr strukturiert und logisch abgebildet werden können. Es kann aber nur eine Unterstützung sein. Die Risiken sehe ich darin, dass gerade im Gewerbebereich der Anwender sich zu sehr darauf verlässt – und dadurch Risiken nicht erkannt werden und Bereiche unversichert bleiben.
In der Zusammenarbeit mit Versicherern sehe ich die größten Chancen; aber auch die größten Schwierigkeiten.

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Die Fragen stellte Michael Fiedler

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