Versicherungsbote: Eine Folge der Corona-Pandemie sind neue Arbeitsformen. Besonders beliebt sollen sogenannte Workations sein: ein Schachtelwort aus den Begriffen „Work“ und „Vacation“. Gemeint ist, dass man seine Arbeit quasi an einen Urlaubsort verlegt. Nehmen Sie diesen Trend auch wahr?

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Philipp Belau: Diesen Trend nehmen wir durchaus wahr - zunächst bei uns im Unternehmen. Wir müssen solche Angebote unterbreiten, damit wir überhaupt eine Chance haben, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Im Team unserer Unternehmensberatung ist es der ‚Driver‘ schlechthin! Gerade junge, engagierte Mitarbeiter möchten ortsunabhängig arbeiten; und vielleicht auch mal vom Ausland aus. Das ist inzwischen eine Standardanforderung.

Worin unterscheidet sich Workation von traditionelleren Arbeitsformen?

Das ist eine spannende Frage. Aus Arbeitgebersicht unterliegt man prinzipiell den gleichen Anforderungen wie bei einer Entsendung auch. Das betrifft Sozialversicherungs-, Arbeits- und Aufenthaltsrecht. Auch die häufig gestellten Fragen sind sehr ähnlich: Was ist mit Feiertagen, die zum Beispiel in Frankreich oder Spanien abweichen? Braucht man ein Arbeitsvisum?

Der größte Unterschied zwischen Entsendung und Workation ist, dass bei der Entsendung der Arbeitgeber den Arbeitsort bestimmt und bei der Workation der Arbeitnehmer.

Bestehen beim Versicherungsschutz Unterschiede zu einer ‚normalen‘ Dienstreise?

Bei einer Workation gibt es einen privaten und einen dienstlichen Teil. Und diese Trennung bringt arbeits- und versicherungsrechtliche Herausforderungen mit sich. Insbesondere, wenn man einen Tag arbeitet, einen Tag am Pool liegt, wieder einen Tag arbeitet und wieder einen Tag am Pool liegt. Das ist - salopp gesagt - ein GAU für den Versicherungsschutz. Denn die meisten Businesstravel-Versicherungen, die man tageweise bucht, schließen den privaten Aufenthalt aus.

Umgekehrt schließen alle privaten Versicherungen standardgemäß den Business-Aufenthalt aus. Damit sind Diskussionen vorprogrammiert.

Die Frage ist: Was passiert, wenn sich der Business Travel Versicherer mit dem Reiseversicherer streitet? Wer haftet wann? Wie ist mit den Übergängen zwischen Arbeit und Freizeit umzugehen? Hat der Versicherte gerade gearbeitet oder einen privaten Ausflug unternommen? In den traditionellen Arbeitsformen ist das einfacher zu trennen.

Müssen solche Fragen von Gerichten geklärt werden oder ist das eine Geschichte, die man in Versicherungsbedingungen mit aufnehmen und genau definieren muss?

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Beides ist letzten Endes der Fall. Deutsche Versicherer haben nicht unbedingt den Ruf, besonders agil zu sein und schnell auf Trends zu reagieren. Es gibt also nur ganz wenige Anbieter, die eine Workation-Versicherung anbieten, bei der die privat- und arbeitsrechtliche Trennung keine Rolle spielt.

"Es gibt einen Bedarf!"

Welche Rolle spielt die Aufenthaltsdauer bzw. der Ort, an dem die Workation geleistet wird?

Wir sprechen von vier Rechtsgebieten, die auch bei „normalen“ Entsendungen gelten: Arbeits-, Aufenthalts-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Da geht es unter anderem um die 183-Tage-Regel, die Funktion und den Ort - um beispielsweise den Bereich des Steuerrechts zu nennen.

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Arbeitsrechtlich betrachtet, sind Visa-Anforderungen ebenso zu beachten wie Fragen der Staatsangehörigkeit. Als EU-Bürger kann ich mich relativ frei in der EU bewegen. Problematisch kann es werden, wenn Arbeitnehmer, die nicht aus EU-Staaten kommen, aber zum Beispiel bei einem deutschen Unternehmen arbeiten, wie ihre deutschen Kollegen eine Workation machen wollen. Dann muss geschaut werden, welches Visum diese benötigen: Das bringt wieder einen hohen zeitlichen Vorlauf und administrativen Aufwand mit sich.

Viele Unternehmen nutzen auch Workation-Kataloge, in denen Länder gelistet sind, von denen man weiß, dass sie schnell und unkompliziert ein Visum ausstellen. Mauritius beispielsweise hat schon relativ früh ein Workation-Visum eingeführt, weil man darin eine Möglichkeit sieht, den Tourismus zu fördern.

Gibt es Berufsgruppen, die sich stärker als andere nach solchen Angeboten sehnen?

Unter den Berufsgruppen sind zunächst alle prädestiniert, die ihre Arbeit - in Form eines Laptops - unter den Arm nehmen können. Das betrifft vor allem diejenigen, die bereits heute in Deutschland selbständig und ortsunabhängig tätig sind. Denken Sie an digitale Nomaden, von denen viele im IT-Bereich arbeiten. Wenn man einem Programmierer heute sagt, du musst jetzt bitte vier oder fünf Tage die Woche im Büro sein, stößt das nicht gerade auf Zustimmung.

Und natürlich gibt es einen Bedarf für Zielgruppen, die jünger und ungebundener sind. Kinder könnten Workation erschweren oder herausfordernder machen. Kurz gesagt: Ohne Kinder und mit Laptop reist es sich leichter.

Auf Workations werden Unterkunft und Arbeitsräume oft gemietet. Wie wirkt sich das auf den Versicherungsbedarf aus?

Grundlegend ist immer klar zu definieren, dass es eine klassische arbeitnehmer-gesteuerte Workation ist. Wenn die Angestellte eine Woche auf Teneriffa verbringen möchte und sich dort ein Hotel oder eine Finca mit Freundinnen mietet, ist das eine arbeitnehmerseitig initiierte Angelegenheit, die jedoch immer der Zustimmung des Arbeitgebers bedarf.

Natürlich gibt es Besonderheiten, die schon aus haftungsrechtlichen Gründen im Vorfeld geklärt werden sollten. Deshalb sollte im Vorfeld einer Workation in Guidelines investiert werden. In einer solchen Richtlinie kann man etwa festhalten, dass der Arbeitgeber keine Kosten für die Workation übernimmt und wie lange diese maximal dauern darf.

Wichtig ist auch, dass man als Arbeitgeber nicht das Risiko durch Aufträge und Anweisungen erhöht. Wird beispielsweise während einer Workation oder Entsendung noch Vertrieb vor Ort gemacht, vergrößert sich das sogenannte Betriebsstättenrisiko enorm, bei dem Unternehmen ungewollt in die Steuerpflicht kommen können.

Hinzu kommt der gesamte Bereich des Datenschutzes und der Cybersicherheit. Auch hier sollten die Arbeitgeber darauf achten, dass die Risiken minimiert werden. Gerade im Hinblick auf Datendiebstahl oder Spionage kann ich mir vorstellen, dass eine entsprechende Versicherung auf Unternehmensseite sinnvoll sein kann.

Besondere Risiken einer Workation

Gibt es Versicherungen rund um die Workation, die noch notwendig sind oder vielleicht perspektivisch wichtig werden können?

Die Arbeitgeberpflichten liegen genauso vor, wie das auch im Homeoffice der Fall ist. Das heißt aus Arbeitgebersicht, dass der mögliche Ausfall von Hardware, Software usw. versichert sein sollte.

Alles andere hängt davon ab, wo die Workation stattfinden soll. Für eine zweiwöchige Workation auf Mallorca - also im EU-Raum - ist eine Business-Travel-Versicherung sinnvoll. Wird in Drittstaaten gearbeitet und geurlaubt, kann eine internationale Krankenversicherung sinnvoll sein. Grundsätzlich gelten bei einer Workation in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht dieselben Regeln wie bei einer Entsendung. Das heißt, dass bei Einhaltung der Rechtsvorschriften die deutsche Sozialversicherung auch im Ausland gilt. Ein Versicherungsschutz etwa in Form einer internationalen Krankenversicherung kann vor allem in Drittstaaten und in Risikogebieten sehr sinnvoll sein.

Bei Risikostaaten sollten jedoch Arbeitgeber eine Risikoabwägung vornehmen: Soll der Arbeitnehmer seine Workation wirklich im Irak oder Iran durchführen? Kann sichergestellt werden, dass dort tatsächlich gearbeitet werden kann? Wenn ja, muss ich für bestimmte Situationen Zusatzversicherungen abschließen, die dann zum Beispiel Evakuierung oder ähnliche Risikovorsorge beinhalten.

Dubai ist zum Beispiel ein beliebtes Land für eine Workation und der Staat fördert dieses Arbeitsmodell speziell im Tourismussektor. Da haben wir auch schon bei Entsendungen gesagt, dass es sinnvoll sein kann, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Alternativ muss man dafür Sorge tragen, dass der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das tut. Ein Beispiel, mit dem wir schon konfrontiert wurden, war ein Autounfall unter Alkoholeinfluss. Das kann dann gravierende Folgen wie Freiheitsentzug haben. Eine Rechtsschutzversicherung mit einem Verkehrsrechtsschutz fürs Ausland ist hier sinnvoll.

Könnte hier ein Kombiprodukt für Unternehmen helfen, in dem diverse Versicherungen wie Rechtsschutz und Cyber inkludiert sind?

Es ist mit Sicherheit sinnvoll, gebündelte Produkte in Betracht zu ziehen. Diese gibt es jedoch derzeit nicht, weil der Markt nicht auf diese Kurzfristigkeit ausgelegt ist. Alles ist auf die Entsendung ausgerichtet. Ich bekomme sehr gut eine Rechtsschutzversicherung für meine Entsendung, die mindestens ein oder zwei Monate dauert. Aber für zwei Wochen ist es so, dass oft der Privatrechtsschutz EU- oder weltweit greift – aber die beruflichen Aufenthalte ausschließt.

Umgekehrt haben wir bei der Absicherung der Arbeitnehmer über das Unternehmen möglicherweise einen Ausschluss für das Ausland. Hier besteht wohl eher die Notwendigkeit, bestehende Versicherungslösungen in den Bedingungen zu aktualisieren.

Die klassischen Firmenversicherungen sind in den letzten Jahren grenzwertig erweitert worden für das Thema Homeoffice. Das war der letzte Schrei vor zwei, drei Jahren, dass dieser Schutz überhaupt mit dabei ist. Für das Thema Workation oder Arbeiten im Ausland fehlt ein Einschluss völlig.

"Es darf keinen Medienbruch geben!"

Beim Thema Krankenversicherung weiß man, dass man beispielsweise den Rücktransport privat absichern sollte. Doch bei Workation ist das nicht so einfach?

Wenn man sich im Rahmen einer Workation im Ausland aufhält und an einem offiziell gemeldeten Arbeitstag schwer erkrankt - und möglicherweise ausgeflogen werden muss - , dann greift die klassische private Reisekrankenversicherung nicht. Das muss man schlichtweg wissen, denn bei der Erstattung würde der Versicherer dann fragen: Was haben Sie eigentlich auf Mauritius oder auf Mallorca gemacht? Wenn man dann angibt, ich war arbeiten, dann greift der Schutz nicht. Dann muss im Zweifel das Unternehmen zahlen.

Um festzustellen, dass der Versicherte beruflich im Ausland tätig war, reicht eine Steuererklärung oder ein Steuerabruf. Gibt man dort Tage an, an denen man im Homeoffice war - also quasi Arbeitstage - kann das schneller auffliegen, als man denkt. Der Versicherer wird sich dann auf Leistungsfreiheit berufen. Es gibt dazu zwar noch keine Gerichtsentscheidung und mir ist auch noch kein Präzedenzfall bekannt, aber es ist nur eine Frage der Zeit.

Welche Rolle spielt die digitale Schadenbearbeitung für die Zielgruppe?

Ganz klar: Es muss digital sein. Es darf keinen Medienbruch geben. Die Schadenbearbeitung muss digital und schnell funktionieren. Das erwartet der Kunde zu Recht.

Dieses Bedürfnis muss man natürlich auch auf hohem Niveau bedienen können, zum Beispiel mit einer guten App-Lösung. Das Spannende an unserer Zielgruppe ist aus unserer Erfahrung, dass sie trotzdem den persönlichen Austausch sehr schätzt, wenn es ernst wird. Man muss einen schnellen digitalen Prozess für den Standard haben, aber trotzdem für Sonderfälle persönlich zur Verfügung stehen.

Das Wichtigste ist, dass die Kosten schnell erstattet werden. Das wird erwartet. Hier haben wir eine neue Lösung eingeführt, um Prozesse in der Belegerfassung signifikant zu beschleunigen. Dazu haben wir mit einem KI-Startup namens Futurised und mit Lufthansa Industry Solutions zusammengearbeitet. Futurised ist ein Startup, das auf Banken und Versicherungen spezialisiert ist und von Carsten Maschmeyer als Investorvunterstützt wird, der ja in der Branche kein Unbekannter ist. Innerhalb von drei Monaten haben wir es geschafft, diese KI bei uns in der digitalen Schadenbearbeitung erfolgreich einzusetzen.

Damit sind wir nun in der Lage, Belege aus dem Ausland mit Hilfe einer KI schnell einzulesen, entsprechend ins Deutsche zu übersetzen und zu verarbeiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Swahili, Chinesisch oder Arabisch handelt. Wir sorgen somit dafür, dass der Prozess der Kostenerstattung noch schneller funktioniert.

Auf dem internationalen Krankenversicherungsmarkt sind die Herausforderungen noch mal höher. Wir müssen digitaler sein, weil unsere Kunden eben örtlich ungebunden sind. Wir setzen hier nicht auf den deutschen Standard. Wenn wir aber eine Rechnung von einem Schamanen aus Papua Neuguinea bekommen und diese handgeschrieben ist, dann ist das eine besondere Herausforderung, mit der wir irgendwie umgehen müssen. Hier schaffen wir es mittlerweile, diese schneller und einfacher zu verarbeiten – und müssen nicht nach 27 Übersetzungen fragen oder selber drei Stunden übersetzen. Das sind Workflows, die dem Kunden enorm zugute kommen.

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Das Gespräch führte Björn Bergfeld

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