Die Allianz gibt sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz - und kann dabei durchaus Erfolge vorweisen. Laut einer Auswertung des Kampagnen-Netzwerks „Insure Our Future“ sind die Münchener führend beim klimafreundlichen Underwriting der weltweit größten Versicherer: beim Ausschluss von Kohle erreicht die Allianz sogar satte neun von zehn Punkte. Anders sieht es hingegen beim Ausschluss von Öl und Gas aus. Hier kann der Versicherer im Score nur 2.9 von zehn Punkten erreichen. Ausschlüsse im Underwriting von Öl und Gas seien branchenweit noch wenig etabliert, begründet das Kampagnennetzwerk das schlechte Abschneiden fast aller Versicherer in diesem Bereich.

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Doch nun bekommt das Image als Vorzeige-Versicherer erneut Risse. Nach Recherchen des Netzwerks CORRECTIV versichert die Allianz ein belgisches Unternehmen mit, das auch russisches Gas über Pipelines und LNG-Terminals nach Europa liefert. Nicht als einziger Versicherer: auch gegen die Axa werden entsprechende Vorwürfe erhoben. In der Regel werden derart teure Risiken von Konsortien versichert. Dabei geht es nicht allein um die klimaschädliche Bilanz der Gastransporte. Der Vorwurf lautet auch: Mit diesen Lieferungen wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mitfinanziert. CORRECTIV beruft sich hierbei auf interne Dokumente, die gemeinsam mit der französischen NGO Reclaim Finance ausgewertet wurden.

Versicherungsschutz noch nach Ausbruch des Krieges

Konkret geht es um das belgische Unternehmen Fluxys, welches das Geschäft mit Flüssigerdgas betreibt: unter anderem LNG-Terminals im belgischen Zeebrugge und im französischen Dunkirk. Nach Recherchen von ARD Monitor landen hier noch regelmäßig eisbrechende Tanker, die Gas aus dem russischen Yamal nach Europa transportieren: eine Insel-Region in Sibirien, bekannt für den Reichtum an Bodenschätzen und extreme Kälte. Monitor hat hierfür die Bewegungsprofile russischer Tanker ausgewertet. Die gasliefernden Unternehmen befinden sich laut den Recherchen in Besitz russischer Oligarchen, die dem Kreml nahestehen. Nach Schätzungen von Fachleuten wird jährlich Gas im Wert von zwölf Milliarden Euro von Russland nach Europa verschifft. Geld, das auch die Kriegskasse Russlands füllt.

Noch im Juli 2023, mehr als ein Jahr nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, habe die Allianz mit anderen Versicherern eine allgemeine Unternehmensversicherung für Fluxys gegen "Terrorismus und Politische Gewalt" abgeschlossen, so berichtet CORRECTIV mit Berufung auf die eingesehenen Dokumente. Neben der Allianz ist auch die französische Versicherung AXA beteiligt. Diese Versicherungen leisten Zahlungen, wenn Anlagen von Fluxys, wie LNG-Terminals oder Pipelines, zum Beispiel durch Kriegshandlungen oder Sabotage beschädigt werden. Brisant: Ohne diesen Versicherungsschutz könnte kein Gas von Russland nach Europa transportiert werden.

Russische Gaslieferungen nicht von EU-Sanktionen betroffen

Verboten ist das allerdings nicht. Als die EU ihr jüngstes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen hat, waren Gaslieferungen hier ausdrücklich ausgenommen - begründet mit der "angespannten Versorgungslage“, so berichtet ARD Monitor. Auch die Bundesregierung habe nicht auf eine Sanktionierung russischer Gaslieferungen gedrängt. Die Bundesregierung könne ebensowenig ausschließen, dass immer noch russisches Gas über europäische Nachbarländer nach Deutschland komme - zumindest in kleineren Mengen. Es sind vor allem Staaten wie Ungarn, die noch stark von russischen Energielieferungen abhängig sind und darauf bestanden haben, dass russisches Öl und Gas nicht unter die EU-Sanktionen fällt.

Entsprechend positioniert sich auch die Allianz. "Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen der Kundenvertraulichkeit keine Aussagen treffen können zu unseren vertraglichen Versicherungsbeziehungen, gleich ob diese bestehen oder nicht", positioniert sich eine Sprecherin gegenüber Versicherungsbote. Man setze im Versicherungsgeschäft „alle Sanktionen, die von der EU oder den USA gegen Russland in Kraft gesetzt worden seien, vollumfänglich um“.

Generell habe sich die Allianz bereits 2022 aus dem russischen Markt zurückgezogen und Beteiligungen am russischen Versicherungsgeschäft verkauft, positioniert sich die Sprecherin weiter. Die Allianz versichere auch keine Spezialrisiken und Unternehmen mehr in Russland. Das lässt sich insofern bestätigen, weil es sich hier um den Schutz für ein belgisches Unternehmen handelt - das eben russisches Gas nach Europa liefert. "Die Allianz hält den unprovozierten Angriff Russlands auf die Ukraine für einen illegitimen Akt, eine humanitäre Tragödie und eine Beleidigung der Werte aller Menschen, die an offene und freie Gesellschaften glauben", heißt es in dem Statement.

Flüssiggas - und Fragen der Versorgungssicherheit

Doch russisches Gas fließt weiterhin reichlich nach Europa und in die EU. Gemäß einer Datenanalyse der Nichtregierungsorganisation Urgewald wurden zwischen dem 24. Februar 2022 und März 2024 insgesamt 121 Frachter von Yamal nach Zeebrugge und 37 nach Dunkirk eingesetzt, um Gas zu transportieren. In diesem Zeitraum konnten allein von Yamal mehr als 11 Millionen Tonnen Flüssiggas in die EU transportiert werden. Zusätzlich wurden knapp eine Million Tonnen Flüssiggas vom russischen LNG-Terminal Vysotsk nach Zeebrugge und Dunkirk geliefert.

Urgewald kritisiert, dass die Allianz nach wie vor fossile Infrastruktur wie LNG-Terminals oder Gas-Pipelines versichere: unter anderem Infrastruktur in den USA. Erdgas werde hierbei als Brückentechnologie bezeichnet, was aber irreführend sei. Es bestehe hauptsächlich aus Methan: Dieses sei um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2. Bei der Aufbereitung von Flüssiggas entweiche Methan häufig in die Luft. Immerhin wird der Allianz von den Umweltaktivisten positiv angerechnet, dass sie die Versicherung neuer Öl- und Gasfelder ausgeschlossen habe.

Doch Flüssiggas wird auch eingesetzt, um unabhängig von russischen Gaslieferungen zu werden. Nur kommt es nun von anderswo. Unter anderem wurden von der Ampel-Regierung vier LNG-Terminals in Niedersachsen und Schleswig-Holstein unterstützt, um Flüssiggas aus den USA und Kanada zu liefern. Ein weiteres Terminal vor Rügen sorgt für massive Kritik durch den Naturschutzbund Deutschland (NABU). Hierfür sollen Pipelines durch Meeresschutzgebiete gebaut werden. Investoren in die Touristik und Anwohner fürchten zudem, dass die Attraktivität als Touristik-Standort leidet: Der Tourismus ist in der Region wichtigster Arbeitgeber. Werden diese Technologien nicht versichert, so argumentieren Befürworter, drohen Engpässe bei der Energieversorgung.

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Auf das Thema Versorgungssicherheit beruft sich auch die Allianz. "Zur Sicherstellung des derzeitigen Energiebedarfs und der Versorgungssicherheit in Europa, vor allem mit Blick auf die entfallenden Gasimporte von Russland, nimmt Flüssiggas eine wichtige Rolle ein. Eine vollständige Beschränkung von Flüssiggas als Energiequelle ist nach derzeitigem Stand daher weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch sinnvoll", argumentiert die Allianz-Sprecherin hinsichtlich der Frage, weshalb die Münchener weiterhin LNG-Infrastruktur versichern.