Kann eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden dazu beitragen, dass sich mehr Hausbesitzer gegen Hochwasser und andere Naturgefahren absichern? Noch immer haben viele keinen Schutz. „Obwohl sich extreme Wetterereignisse häufen, sind immer noch 8,3 Millionen Gebäude nicht gegen Starkregen und Hochwasser versichert“, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Anja Käfer-Rohrbach, am Montag.

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Die Versicherungsbranche ist gegen eine Pflichtversicherung, auch weil sie befürchtet, dass dann mehr in Hochwasser-Regionen gebaut und Prävention vernachlässigt werde. Dem entgegen fordern die meisten Bundesländer vehement von der Bundesregierung, dass eine solche Pflicht kommt - auch, weil sie nach Hochwasser-Ereignissen oft Milliarden an Hilfen zahlen müssen.

Nun hat sich die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) in einem Pressegespräch zu einer Elementarschaden-Pflicht positioniert. Dabei ging es auch im die Frage, wie der Elementarschadenschutz zukünftig ausgestaltet sein könnte. Maximilian Happacher, Vorsitzender der DAV, erklärte dabei, dass eine erhoffte Prämienabsenkung durch eine Pflichtversicherung unwahrscheinlich sei. „Das liegt am besonderen Kumulcharakter von Elementarschäden“, so der Aktuar.

Aktuare drängen auf risikogerechte Kalkulation

Tendenziell äußert sich der Verband der Versicherungsmathematiker eher skeptisch zu einer Elementarversicherungs-Pflicht. Eine solche sei für den Verband „nicht vorrangig“, führt Happacher aus. „Wie schon oft ausgeführt, handelt es sich dabei um eine vornehmlich politische Frage. Uns geht es um die relevanten Themen, die darüber entscheiden, ob solche Schäden zukünftig noch versicherbar bleiben“. Hier schwingt hörbar die Sorge mit, dass Naturgefahren in Zeiten teurerer und häufigerer Schäden künftig nicht mehr flächendeckend versichert werden können.

Um die Versicherbarkeit von Elementarschäden zu gewährleisten, definiert Happacher einen „Dreiklang an Maßnahmen“:

  1. Risikogerechter Kalkulation
  2. Prävention
  3. Kumulschutz

Die risikogerechte Kalkulation einer Prämie sei eine Grundvoraussetzung, um adäquat, fair und verursachergerecht zu agieren, argumentiert der Verband. Mut anderen Worten: Wer seine Immobilie in einer Hochwasser-Risikozone hat, muss eine deutlich höhere Prämie zahlen als Hausbesitzer in Regionen mit geringem Risiko. Happacher: „Andernfalls würden alle bestraft, die ein geringeres Risiko aufweisen. Das führt mitunter zu einer unausgewogenen Risikoverteilung im Versichertenkollektiv, weil natürlich Menschen, die sonst deutlich mehr für ihre Versicherung zu zahlen hätten, eher animiert würden, einen Vertrag abzuschließen, während andere abgeschreckt sind. Das treibt letztlich die Prämien in die Höhe“.

Aber gerade dieses Ungleichgewicht der Prämien ist einer der Gründe, warum über eine Versicherungspflicht nachgedacht wird. Denn wenn es in einer Region zu entsprechenden Ereignissen kommt, sehen sich Immobilienbesitzer mit sehr hohen Prämien konfrontiert - wenn sie überhaupt Schutz erhalten. Carina Götzen, Aktuarin bei der Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss und ebenfalls DAV-Mitglied, berichtet dazu in einem Interview mit dem Versicherungsboten: „Die meisten Versicherer zeichnen Risiken in den ZÜRS-Zonen 1 bis 3, während Gebäude in der ZÜRS-Zone 4 entweder mindestens einer Anfragepflicht unterliegen oder überhaupt keinen Versicherungsschutz erhalten. Dies gilt bereits für einige Gebäude in der ZÜRS-Zone 3. Die Prämien belaufen sich oft auf deutlich über 2.000 Euro pro Jahr und können in der ZÜRS-Zone 4 sogar über 3.000 Euro liegen“.

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Der DAV folgt in diesem Punkt eng den Argumenten der Versicherungswirtschaft, die eine risikoadäquate Prämienkalkulation als unerlässlich betrachtet. Befürworter einer einheitlichen oder gedeckelten Prämie argumentieren jedoch, dass die Streuung von Risiken ein Hauptziel der Versicherungspflicht ist: Hausbesitzer in gering gefährdeten Gebieten zahlen etwas mehr, um die Versicherbarkeit von Häusern in gefährdeten Gebieten zu gewährleisten. Denn das höhere Risiko ist nicht immer das Ergebnis von Sorglosigkeit oder Selbstverschulden, sondern kann bereits durch die Lage der Immobilie in Küstennähe oder in einer flussreichen Region entstehen.

Fehlanreize einer Versicherungspflicht

DAV-Vorstand Happacher nennt einen weiteren Grund, warum der Aktuarverband gegen eine Einheitsprämie ist: Er warnt vor 'massiven Fehlanreizen', da Hausbesitzer möglicherweise auf Prävention verzichten, wenn sie wissen, dass Schäden ersetzt werden. Dadurch könnten höhere Schäden entstehen, die auf die Prämien des gesamten Kollektivs abgewälzt werden.

Eine Lösung, die Happacher nicht nennt, könnte sein, dass die Versicherer Präventionsanforderungen in die Versicherungsbedingungen aufnehmen, sodass die volle Auszahlung der Versicherungssumme von bestimmten Präventionsmaßnahmen abhängig ist. Im Zweifel hängt es von der konkreten Ausgestaltung der Versicherungspflicht ab, ob und welche Obliegenheiten die Versicherer formulieren können - hier wäre also auch der Gesetzgeber gefragt, entsprechende Vorkehrungen ausreichend zu würdigen.

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Mehr staatliche Prävention angemahnt

Aber das Vertrauen in den Staat bzw. seine Organe -Bundesländer und Kommunen- ist bei den Aktuaren mit Blick auf den Katastrophenschutz nicht so stark ausgeprägt. Zwar wird das nicht direkt kommuniziert, klingt aber im Text durch. Denn der DAV drängt auf deutlich mehr Prävention und strengere Regeln. Nicht von ungefähr: So wurden zum Beispiel nach der verheerenden Katastrophe im Ahrtal 2021, die vielen Menschen das Leben kostete und Existenzen zerstört hat, zahlreiche Versäumnisse bekannt. Warnungen wurden ignoriert, das Alarmsystem, um die Bevölkerung zu warnen, funktionierte nicht, Baugruben waren nicht ausreichend gesichert, die Einsatzkräfte nicht ausreichend ausgestattet - und Gebäude standen an Stellen, an denen sie vielleicht gar nicht hätten gebaut werden dürfen. Das zeigte unter anderem ein Gutachten im Auftrag der Zurich.

So fordert die DAV eine "verstärkte Präventionsarbeit auf kommunaler, landes-, bundes- und internationaler Ebene": Dies sei ein Hauptanliegen des Verbandes. Die Prävention von privaten und gewerblichen Hausbesitzern solle hierbei mit geeigneten Maßnahmen gefördert werden. "Ernsthafte Prävention kann die Prämien für private Gebäude signifikant absenken – teilweise bis auf die Hälfte. Für gewerbliche und industrielle Risiken an exponierten Flusslagen können sogar noch höhere Einsparungen erzielt werden“, so Happacher.

Eine Grundvoraussetzung sei aber, dass der Staat selbst bei der Prävention nachbessere. Das betreffe zum Beispiel den Deichbau, aber auch die strengere Regulierung der Ausweisung von Bauland. „Noch viel wichtiger als regionale fokussierte Einzelmaßnahmen ist es jedoch, dass z.B. Hochwasserschutz auf höherer Ebene orchestriert wird. Flüsse fließen oft durch mehrere Bundesländer und Nationen. Daher fängt Hochwasserschutz auch schon in Zuständigkeitsgebieten an, die von den Folgen nicht unbedingt betroffen sein müssen. Trotzdem ist es wichtig, dass hier etwas unternommen wird“, sagt der DAV-Vorstand.

Kumulrisiko: keine sinkenden Prämien?

Dass die Prämien breitflächig durch eine Versicherungspflicht sinken, weil das Hochwasser-Risiko auf mehr Schultern verteilt wird, erwartet Happacher nicht. Und das liegt nicht allein an den möglichen Fehlanreizen, sondern daran, dass hier Risikovorsorge für ein sogenanntes Kumulrisiko getroffen wird. Kumul leitet sich vom lateinischen Begriff „kumulus“ ab, was soviel wie „Anhäufung“ bedeutet. Und damit ist bereits der Charakter solcher Schäden benannt: Sie treten zur gleichen Zeit vielfach und weit verbreitet auf, sodass auch die Versicherer zeitgleich sehr viele Schäden ersetzen müssen. Ab einer bestimmten Größe entziehen sich Kumulrisiken sogar der Versicherbarkeit: Für internationale Schlagzeilen sorgte zum Beispiel, dass nach wiederkehrenden Hurrikans an der US-Küste der USA dort Häuser nicht mehr versicherbar sind und Versicherern sogar die Pleite droht, weil die enorme Summe gleichzeitig auftretender Schäden ihre Finanzkraft sprengt.

Dieses Kumulrisiko wird bei der Debatte um eine Elementarpflicht oft nicht mit beachtet - die DAV warnt nun vor den Risiken. „In Deutschland haben wir mit Donau, Elbe, Ems, Oder, Rhein und Weser insgesamt sechs große Stromsysteme, die durch Kanäle verbunden sind. Hinzu kommen die Küstengebiete. Wenn ein oder zwei Flüsse von Hochwasser betroffen sind, dann sind eine ganze Menge Schäden entlang dieser Systeme erwartbar. Daher ist es so wichtig, dass Elementarschadenversicherungen durch Rückversicherer abgedeckt sind. Diese agieren nämlich weltweit. Sie können auf die Art regionale Risiken sehr effizient ausgleichen“, sagt Max Happacher. Ein staatlicher Rückversicherer sei zwar auch denkbar, aber angesichts der besseren Spezialisierung und Ausrichtung der privaten Rückversicherwirtschaft eher eine Backup-Lösung zweiter Wahl.

Das hohe Kumulrisiko führe letztendlich dazu, dass die Prämien auch dann nicht sinken, wenn deutlich mehr Hausbesitzer abgesichert sind - und folglich Beitrag zahlen. „Es gibt vereinzelt die Behauptung, eine Pflichtversicherung führe zu geringeren Prämien, weil dann die Zunahme der Versichertenzahl das Gesamtkollektiv entlaste. Das ist nicht erwartbar, weil dieser Mechanismus im Falle von Elementarschadenversicherungen nicht in dem Maße greift, wie mancher es sich erhofft. Denn bei Hochwasser sind eben in der Regel alle Häuser in einer Region, die eine bestimmte Gefahrenklasse aufweisen, gleichermaßen gefährdet", erklärt Happacher.

Man könne sich das gut vor Augen führen: "Wenn an einem Flussufer jedes Haus überflutet wird, macht es letztlich für die Einzelprämie keinen Unterschied, ob nun alle Häuser, jedes zweite oder jedes dritte Haus davon versichert ist. Das Verhältnis von betroffenen und nicht betroffenen Häusern bleibt vergleichbar", so Happacher.

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