Plündert der Staat die Deutsche Rentenversicherung und greift damit unrechtmäßig auf Beitragsgelder zu, die eigentlich die Renten sichern sollen? Diese Frage wirft ein Artikel der WirtschaftsWoche vom Dienstag auf, denn er ist mit „Wie der Staat die Rentenversicherung ausplündert“ überschrieben. Die Frage mag zunächst verwundern, wird sie doch häufig in die entgegengesetzte Richtung interpretiert: Der Bund müsse die gesetzliche Rente mit Milliardenzuschüssen stützen. Doch wieder sind der Streitpunkt die sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Leistungen also, die überhaupt nicht in den Aufgabenbereich der Rentenversicherung fallen, ihr aber im Laufe vieler Jahre aufgebürdet wurden.

Anzeige

In der aktuellen Debatte um eine Rentenreform spielen die versicherungsfremden Leistungen bisher keine Rolle. Sie sollen nicht reformiert werden, die Bundesregierung will am Status Quo festhalten. Und das, obwohl die geltenden Regeln seit Jahren in der Schusslinie von Kritikern sind. Denn der Staat kann nicht genau beziffern, was diese Leistungen konkret kosten - er kann nicht einmal genau benennen, was darunter fällt. Sie werden jährlich mit Pauschalzahlungen des Bundes abgegolten. Doch genau das ist der Haken an der Geschichte, wie der Bundesrechnungshof Ende letzten Jahres kritisierte. Denn im Zweifel finanzieren die künftigen Rentnerinnen und Rentner mit ihren Beiträgen Leistungen, für die sie gar nicht aufkommen müssen. Andere, die nicht über die gesetzliche Rente für das Alter vorsorgen, wären fein raus.

FDP stellt versicherungsfremde Leistungen auf den Prüfstand

Die FDP wagt nun den Vorstoß, auch die gängige Praxis bei den versicherungsfremden Leistungen infrage zu stellen. „„Es kann nicht sein, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben durch das Kollektiv der Beitragszahler gestemmt werden müssen“, sagt Anja Schulz, Rentenexpertin der FDP-Bundestagsfraktion, der WirtschaftsWoche.

Konkret geht es bei den versicherungsfremden Leistungen um solche Zahlungen, hinter denen sich gesamtgesellschaftliche Aufgaben verbergen, oft durchaus wichtig - etwa, die Kindererziehungszeiten von Eltern zu honorieren oder Altersarmut zu verhindern. Was diese kosten, hängt schlicht von der Definition ab: Es einen engen Begriff, der 1995 vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger etabliert wurde. Und einen weiten Begriff vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2004. Hier sind Leistungen eingerechnet, die bei dem engen Begriff fehlen: Teile der Hinterbliebenenrenten oder Renten in den neuen Bundesländern, mit denen erworbene Ansprüche aus DDR-Zeiten eingerechnet werden. Und es gibt viel dazwischen. Die Frage ist schlicht, wie und was man als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ definiert.

Entsprechend hoch ist auch die Spanne, welche Kosten als versicherungsfremde Leistungen ausgewiesen werden: Die WirtschaftsWoche verweist darauf, dass die Deutsche Rentenversicherung für 2020 die Ausgaben hierfür auf 63 Milliarden bis 112 Milliarden Euro beziffert hat. Der Haken: Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) äußert sich nicht zur Höhe der versicherungsfremden Leistungen. Die Bundeszuschüsse für diese Ausgaben liegen nun innerhalb dieser Bandbreite zwischen enger und erweiterter Abgrenzung, berichtet der Bundesrechnungshof. Im Jahr 2020 betrugen sie zum Beispiel 75,3 Milliarden Euro.

Nun ist es für die gesetzlich Rentenversicherten nicht ganz unbedeutend, wie hoch die versicherungsfremden Leistungen ausfallen. Der Grund, wie bereits erwähnt: Im Zweifel müssen sie mit ihren gezahlten Rentenbeiträgen für Dinge zahlen, an denen sich auch andere, nicht gesetzlich rentenversicherte Erwerbstätige beteiligen müssten. Im Jahr 2020 hätte der Fehlbetrag, den der Bund hätte ausgleichen müssen, rund 37 Milliarden Euro betragen. Die WirtschaftsWoche verweist auf die sogenannte Teufel-Tabelle, wonach sich der nicht ausgeglichene Betrag in den Jahren 1957 bis 2022 auf 988,7 Milliarden Euro summiert. Dabei geht es nicht allein um die zu leistenden Zahlungen, sondern auch um den enormen Verwaltungsaufwand, der der Deutschen Rentenversicherung zusätzlich mit diesen Aufgaben aufgebürdet wird.

Bisher haben sich die Bundesregierungen gegen eine mögliche Reform der versicherungsfremden Leistungen gestemmt: und damit auch gegen mehr Transparenz. Wiederholt haben sich Anfragen im Bundestag den versicherungsfremden Leistungen gewidmet, berichtet der Bundesrechnungshof. Doch das zuständige Bundesarbeitsministerium habe genaue Aussagen hierzu verweigert. „Das BMAS hat erläutert, dass in den gesetzlichen Regelungen keine Koppelung der Bundeszuschüsse an eine Höhe der versicherungsfremden Leistungen angelegt sei. Insoweit sei es nicht weiterführend, die versicherungsfremden Leistungen auszuweisen“, schreibt der Bundesrechnungshof in einem kritischen Bericht. Die Argumentation dahinter ist fast schon spitzfindig und wirft die Frage nach der Henne und dem Ei auf. Denn stark vereinfacht argumentiert die Bundesregierung: Da die Leistungen nicht klar definiert seien, sei es auch nicht möglich, die Ausgaben dafür detailliert aufzulisten.

Umgehung der Schuldenbremse?

In diesem Zusammenhang schlägt die FDP-Politikerin Schulz vor, den Begriff „Bundeszuschuss“ zur Rentenversicherung abzuändern, berichtet die „WirtschaftsWoche“. Es handele sich vielmehr um eine Erstattung und diese sei nicht einmal vollständig. Eine neue Sicht, die auch die Rentendebatte beeinflussen könnte? Noch immer hält sich das -möglicherweise- Vorurteil, dass der Staat die Rentenkasse mit Milliardenzuschüssen päppeln muss, ohne hierfür eine Gegenleistung zu erhalten.

Ein weiteres Argument spreche aus Sicht der FDP-Politikerin für eine Reform: Die versicherungsfremden Leistungen seien schlicht eine Methode, die Schuldenbremse zu umgehen. Eigentlich müssten die exakten Ausgaben hierfür im Bundeshaushalt auftauchen. „Es widerspricht meinem Verständnis der Schuldenbremse, wenn Kosten in die Sozialversicherungen verlagert werden“, sagt sie dem Blatt.

Anzeige

Ziel sei es aber nicht, diese Leistungen per se zu kürzen, sondern sie vollständig aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. „Natürlich dürfen wir unsere gesellschaftlichen Ziele, wie beispielsweise die Anerkennung von Kindererziehungsleistungen nicht vernachlässigen. Allerdings sind dies finanzielle Lasten, die durch die Gemeinschaft der Steuerzahler und nicht der Rentenbeitragszahler getragen werden sollten“, sagt sie der „WirtschaftsWoche“.