Wohngebäudeversicherung: Gemeinsam Risiken gerecht tragbar machen
Der Klimawandel lässt die Risiken in der Wohngebäudeversicherung steigen. Dieser Sachlage wird man nur gerecht, wenn man vielschichtige Lösungen verfolgt, meint Dr. Matthias Land, Vorsitzender des Ausschusses Schadenversicherung der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV). Im Gastbeitrag plädiert Dr. Land für einen kollektiven und proaktiven Ansatz.
Der Klimawandel und seine Auswirkungen sind längst keine Prognosen mehr, sondern gehören zu den dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit. Insbesondere im Bereich der Wohngebäudeversicherung (VGV) beobachten wir eine alarmierende Zunahme von Schadenereignissen, die auf Naturgefahren wie Überschwemmungen, Stürme und Hagel zurückzuführen sind. Diese Entwicklungen stellen sowohl Hausbesitzer als auch Versicherungsunternehmen vor immense Herausforderungen. Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) erwartet, dass der Schadenaufwand durch diese klimainduzierten Risiken weiterhin erheblich ansteigen wird. Die Bewältigung dieser klimabedingten Risikoveränderungen erfordert gemeinsame Anstrengungen von Hauseigentümern, Versicherungsunternehmen, Gesellschaft und Politik. Ohne vorbeugende Maßnahmen scheint eine rein versicherungstechnische Lösung aus aktuarieller Sicht unvollständig. Die Einrichtung einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP) könnte ein sinnvoller Ansatz zur Finanzierung der größten kumulierten Risiken sein.
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Risikogerechte Prämien sorgen für Fairness
Bei der Absicherung der eigenen Lebensgrundlage hilft das Konzept der Versicherung, denn es beruht auf dem Prinzip der gegenseitigen Risikotragung. Das Versicherungskollektiv bündelt seine Ressourcen, um Schäden für diejenigen zu decken, die Verluste erleiden, und gleicht so individuelle Risiken durch kollektive Mittel aus. Dieses System beruht auf dem Gedanken, dass nicht alle gleichzeitig oder überhaupt einen Schaden erleiden, so dass das Kollektiv diejenigen unterstützen kann, die getroffen werden. Entscheidend ist, dass sich dieser gemeinschaftliche Unterstützungsmechanismus nicht in ein Sozialversicherungssystem verwandelt, das systematische Umverteilungen vornimmt, die nicht vom Auftreten zufälliger Schadensereignisse abhängen, sondern vielmehr bereits vor dem Eintritt des Schadens vorhersehbar sind.
Um Fairness und Nachhaltigkeit zu wahren, sollten die Versicherungsprämien die spezifischen Risiken jeder Immobilie widerspiegeln und nicht vereinheitlicht werden. Einheitliche Prämien würden dazu führen, dass Gebäude mit geringerem Risiko die Versicherungsprämien von Gebäuden mit höherem Risiko subventionieren, was jenseits der Sozialversicherungssysteme im Sinne des Versicherungskollektivs weder wünschenswert noch notwendig wäre. Auch für Immobilien in Hochrisikogebieten, beispielsweise in überschwemmungsgefährdeten Regionen, sollten deshalb höhere Prämien gezahlt werden, die dem erhöhten Risiko Rechnung tragen. Diese risikobasierte Prämiendifferenzierung stellt sicher, dass diejenigen, die mehr zu erwarteten Schäden beitragen, auch mehr in das Versicherungskollektiv einbringen.
Aktuarielles Fachwissen schützt das Kollektiv
Aktuarinnen und Aktuare spielen eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung fairer und effizienter Versicherungssysteme. Sie sind in der Lage, zwischen zufälligen und systematischen Risiken zu unterscheiden, so dass sie die Prämien so zuweisen können, dass sie das Risiko jeder Immobilie widerspiegeln. Diese Unterscheidung basiert auf verschiedenen Faktoren wie Region, Standort, Bauart, Alter und Renovierungszustand sowie Größe der Immobilie. Indem sie die Prämien auf bestimmte Risiken zuschneiden, tragen Aktuarinnen und Aktuare dazu bei, das Gleichgewicht innerhalb der Versicherungskollektiv aufrechtzuerhalten. So stellen wir sicher, dass das System fair und finanziell tragfähig ist.
Elementarrisiken betreffen oft viele gleichzeitig
Elementarrisiken, wie z. B. Naturkatastrophen, sind in hohem Maße kumullastig. Das bedeutet, dass sie, wenn sie eintreten, weitreichende und beträchtliche Schäden verursachen können, von denen viele Versicherungsnehmende gleichzeitig betroffen sind. Die Bewältigung dieser Risiken erfordert beträchtliche Kapitalressourcen, um sicherzustellen, dass die Versicherungsunternehmen Verluste in großem Umfang decken können. Der private Sektor allein könnte die erforderlichen Kapazitäten unter den risikoverschärfenden Rahmenbedingungen des Klimawandels möglicherweise schon bald nicht mehr bereitstellen. Dies gilt umso mehr, wenn der Versicherungsschutz erheblich ausgeweitet wird, etwa durch die Einführung einer obligatorischen Elementarversicherung. Hierfür bedarf es zusätzlicher gesellschaftlicher Maßnahmen, einschließlich öffentlicher Unterstützung und Intervention.
Gesellschaftliche Präventionsmaßnahmen sind erforderlich
Ein wirksamer Umgang mit den zunehmenden Elementarrisiken erfordert ein proaktives Vorgehen der Gesellschaft, insbesondere der Regierungen auf regionaler und kommunaler Ebene. Es sind mehrere Schlüsselmaßnahmen erforderlich:
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- Neubauten in Hochrisikogebieten regulieren: Die Einschränkung der Bebauung in überschwemmungsgefährdeten und anderen Hochrisikogebieten ist unerlässlich, um künftige Schäden zu verhindern und die Überlastung des Versicherungskollektivs zu verringern.
- Schutzmaßnahmen ausbauen: Investitionen in Infrastruktur wie Deiche, Hochwassersperren und Entwässerungssysteme können die Auswirkungen von Naturkatastrophen abmildern und Gemeinden schützen.
- Individuelle Schutzmaßnahmen fördern: Die Ermutigung von Versicherungsnehmenden, selbst Maßnahmen zu ergreifen, wie z. B. ihre Häuser starkregensicher zu machen, Sturmschutzvorrichtungen zu installieren und eine ordnungsgemäße Entwässerung aufrechtzuerhalten, kann das Schadensrisiko erheblich verringern.
- Kapitalmaßnahmen festlegen: Die Umsetzung finanzieller Strategien, wie z. B. die Einrichtung einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP), kann das notwendige Kapital für eine wirksame Bewältigung großer Risiken bereitstellen. Eine PPP ermöglicht die Teilung von Risiken und Ressourcen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, wodurch die Gesamtkapazität zur Reaktion auf Katastrophen verbessert wird.
Fazit:
Zur Bewältigung der steigenden Risiken in der Wohngebäudeversicherung aufgrund des Klimawandels ist ein vielschichtiger Ansatz notwendig. Dazu gehören differenzierte Risikoprämien, präventive gesellschaftliche Maßnahmen und möglicherweise eine öffentlich-private Partnerschaft zur Bewältigung großer kumulierter Risiken. Da der Klimawandel unsere Umwelt weiter prägt, ist ein kollektiver und proaktiver Ansatz für den Schutz unserer Häuser und die Nachhaltigkeit unserer Versicherungssysteme unerlässlich – und zwar auf dem aktuellen Stand der aktuariellen Wissenschaft mit versicherungsmathematisch hochwertigen Methoden fair für das Kollektiv verteilt.