Krankenkassen-Chef fordert "Zeitenwende" wegen explodierender Kosten & Beiträge
Andreas Storm, Vorstandschef der DAK Gesundheit, fordert eine „Zeitenwende“ in der Gesundheitspolitik. Die Probleme seien zu groß, als dass man sie ohne grundsätzliche Änderungen ignorieren könne. Er kritisiert, dass viele Kosten den gesetzlich Krankenversicherten aufgebürdet werden, obwohl sie aus Steuergeldern finanziert werden müssten.
Erneut warnt ein Krankenkassen-Funktionär vor stark steigenden Beiträgen und ausbleibenden Reformen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Andreas Storm, der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands drittgrößter Krankenkasse DAK-Gesundheit, fordert demnach eine „Zeitenwende“, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Analog zu der Erkenntnis, dass sich die Bundesrepublik zukünftig besser verteidigen können muss, sei ein ähnliches Denken und Handeln wie in der Sicherheitspolitik auch bei Gesundheit und Pflege erforderlich.
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Storm habe demnach auf die Alterung der Gesellschaft und dem medizinischen Fortschritt als Hauptgründe verwiesen, berichtet dpa, weshalb ein Handeln notwendig sei. In 15 bis 20 Jahren werde der demographische Wandel seinen Höhepunkt erreichen, was eine riesige Belastung für die Kranken- und Pflegeversicherung bedeute, auch der medizinische Fortschritt führe zu einem anhaltenden Finanzierungsdruck. Zur Erinnerung: Hochbetagte haben statistisch ein höheres Risiko, pflegebedürftig zu sein, und verursachen höhere Gesundheitskosten.
Höhere Gesundheitskosten durch alternde Bevölkerung
Storm nannte hierzu keine konkreten Zahlen, aber die liefert unter anderem das Statistische Bundesamt Wiesbaden. Laut einer Analyse des Bundesamts steigen die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben mit zunehmendem Alter deutlich an. Für Menschen im Alter von 85 Jahren und älter lagen die durchschnittlichen Gesundheitsausgaben 2018 bei etwa 10.400 Euro pro Kopf und Jahr, während sie für die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen nur bei etwa 1.100 Euro lagen. Und 80 Prozent der Pflegebedürftigen waren nach dem Bericht „Pflege in Deutschland“ 65 Jahre und älter und etwa 37 Prozent waren 85 Jahre und älter.
Auch die Pflegequote (Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung in derselben Altersgruppe) ist in höheren Altersgruppen deutlich höher. Beispielsweise liegt die Pflegequote bei Menschen ab 90 Jahren bei etwa 70 Prozent, während sie in der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen bei etwa vier Prozent liegt, so zeigen Auswertungen von Destatis.
Sowohl die gesetzliche Kranken- als auch Pflegeversicherung seien dramatisch unterfinanziert, kritisiert Storm laut dem Bericht. Allein der demographische Trend und der technische Fortschritt würden dazu führen, dass der Krankenversicherungs-Beitrag stark angehoben werden müsse. „Das liegt in einer Dimension von einem Viertel Beitragssatzpunkt pro Jahr. Bis zum Jahr 2035 würde allein durch diesen Faktor der Beitragssatz für die GKV um ungefähr zweieinhalb Punkte steigen müssen“, wird er von dpa zitiert.
Zahlt der Staat für bestimmte Leistungen zu wenig?
Storm kritisiert, dass der Staat viele Leistungen, die er aus Steuermitteln bezahlen müssten, den gesetzlich Krankenversicherten aufbürdet. Das betreffe etwa die Zahlungen des Bundes für Bürgergeldempfänger: „Sie deckt nur gut ein Drittel der tatsächlichen Kosten ab“. Hierbei gehe es um einen Fehlbetrag von mehr als neun Milliarden Euro im Jahr, was einem halben Prozentpunkt beim Krankenkassenbeitrag entspreche.
Hinzu komme die unterschiedliche Behandlung von gesetzlich und privat Versicherten beim Bürgergeld, was laut Storm ein „sozialpolitischer Skandal erster Ordnung“ sei. Ein Bürgergeldempfänger, der privat krankenversichert ist, werde in den Basistarif seiner Versicherung eingestuft. „In diesem Fall zahlt der Staat das Dreieinhalbfache dessen, was er für einen gesetzlich Versicherten an die GKV überweist. Das führt zu einem erheblichen Gerechtigkeitsproblem“, erläutert der Kassenfunktionär.
Der Bundeszuschuss zur Abdeckung versicherungsfremder Leistungen sei -anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung- nicht dynamisiert und liege heute unter den Zahlungen von 2010, gab der Krankenkassen-Chef zu bedenken. Die Zuschüsse wachsen folglich nicht mit den steigenden Ausgaben.
Auch die Kosten für die anstehende Gesundheitsreform werden nach Ansicht des Kassenfunktionärs überproportional den gesetzlich Versicherten aufgebürdet. Storm wies laut dpa darauf hin, dass der Transformationsfonds, mit dem die Kliniklandschaft ab 2025 umgebaut werden soll, zur Hälfte aus Geldern der Krankenkassen gefüllt werden soll: Dies sei eine Zweckentfremdung von Beitragsgeldern. Immerhin 50 Milliarden Euro sind für die Klinikreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgesehen.
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Desweiteren sollen auch die geplanten zusätzlichen Studienplätze für Medizinstudenten über Kassenbeiträge finanziert werden. Dem entgegen sei eine Beteiligung der privaten Krankenversicherung weder bei den Studienplätzen noch beim Transformationsfonds für die Krankenhäuser vorgesehen.