Die deutschen Lebensversicherer bewegen sich derzeit in einem spannenden Marktumfeld, in dem sie teils von Entwicklungen profitieren, aber auch reagieren müssen und mit einigen Problemen konfrontiert werden. So lässt sich grob das Ergebnis des aktuellen Marktausblicks von Assekurata zusammenfassen. Dabei bereiten sich die Lebensversicherer auch bereits auf den steigenden Höchstrechnungszins vor, der am 1. Januar 2025 erstmals seit 30 Jahren wieder angehoben wird. Er steigt dann von 0,25 Prozent auf 1,00 Prozent. Der Höchstrechnungszins ist stark vereinfachend der maximale Zinssatz, den Versicherer bei der Berechnung der garantierten Leistungen in Lebensversicherungsverträgen verwenden dürfen. Deshalb wurde in der Branche bereits spekuliert, ob es ein Comeback von Garantieprodukten geben könnte und in welchem Umfang.

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Comeback der festverzinslichen Anlagen?

Für den aktuellen Marktausblick hat Assekurata wieder Asset Manager von Lebensversicherern befragt. Ein Ergebnis: von den vergleichsweise hohen Marktzinsen profitieren die Versicherer bei der Geldanlage. Zwar hat die Europäische Zentralbank (EZB) auf die nur noch langsam steigende Inflation reagiert und den Leitzins Anfang Juni um 0,25 Prozentpunkte gesenkt. Aber noch immer liegt er mit 4,25 Prozent auf einem sehr hohen Niveau. Das führt zu einem Comeback festverzinslicher Anlagen wie zum Beispiel Anleihen. In Niedrigzinszeiten brachten diese kaum etwas ein und waren zu einem Problem für die Branche geworden: Die Abkehr von Garantieprodukten hatte auch den Zweck, das Geld renditeträchtiger am Aktienmarkt anlegen zu können. Nun plant aber mehr als die Hälfte der befragten Lebensversicherer, den Anteil festverzinslicher Wertpapiere im Portfolio zu erhöhen, während nur etwa jedes zehnte Unternehmen auch die Aktienquote raufsetzen will.

Daneben favorisieren einige Manager auch alternative Anlagen in Private Equity und Infrastruktur: also zum Beispiel das Investment in nicht börsennotierte Unternehmen wie Start-ups und entsprechend spezialisierte Fonds. Durch das verstärkte Investment in festverzinsliche Anlagen „versuchen die Gesellschaften, ihre Bilanz zu stärken und den Zinsertrag in ihren Anlageportfolios zu erhöhen, nachdem dieser über viele Jahre Niedrigzins deutlich nach unten gegangen ist“, erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata (siehe Grafik).

Befragung unter Asset Managern von Lebensversicherern, April/Mai 2024, n=13Assekurata

Davon profitieren auch die Versicherten. Mit dem aktuellen Zinsniveau können die Anbieter in der Neuanlage höhere Zinsen erzielen, als für die Bedienung der Bestandsgarantien notwendig ist. „Hierdurch hat sich die Ertragssituation deutlich entspannt“, sagt Heermann. Zudem haben die Lebensversicherer begonnen, die sogenannte Zinszusatzreserve (ZZR) abzubauen – ein gesetzlich vorgeschriebener Kapitalstock, der langfristige Garantiezusagen in Zeiten niedriger Zinsen absichern sollte. Die Rückflüsse daraus stehen grundsätzlich den Kundinnen und Kunden zu. Ende 2021 betrug die Zinszusatzreserve noch 96 Milliarden Euro, am Bilanzstichtag 2023 waren es noch 88 Milliarden Euro.

Doch die Überschussbeteiligungen steigen nur langsam. Im Neugeschäft gewähren die Lebensversicherer für klassische private Rentenversicherungen nunmehr eine laufende Verzinsung von durchschnittlich 2,46 Prozent (Vorjahr: 2,26 %), so hat Assekurata errechnet. Dass die Überschussbeteiligungen nicht unmittelbarer auf den gestiegenen Marktzins und die rückfließenden ZZR-Mittel reagieren, liegt zum einen an dem langfristigen Geschäfts- und Anlagemodell der Lebensversicherer. Sie sind sogar gesetzlich verpflichtet, einen hohen Anteil lang laufender Geldanlagen in ihrem Portfolio zu halten - zumindest, wenn sie Garantien zusagen.

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Stille Lasten nehmen ab

Und es gibt ein weiteres Problem: die sogenannten stillen Lasten. Diese vorübergehenden Verluste entstehen, wenn der aktuelle Marktwert der Kapitalanlagen unter deren Buchwert fällt. Da neu abgeschlossene Anleihen und Wertpapiere durch die gestiegenen Zinsen mehr Ertrag bieten, verlieren die gehaltenen Anlagen der Lebensversicherer zunächst an Wert. Auf den ersten Blick ist das unproblematisch, da die Anlagen einen festen Endwert haben. Hält der Versicherer sie bis zum Ablaufdatum, wird der Wertverlust nicht realisiert. Allerdings beeinträchtigt dies die finanzielle Stabilität der Anbieter. Benötigt ein Versicherer frisches Kapital und muss daher Anlagen vorzeitig verkaufen, entsteht ein tatsächlicher Verlust. Deshalb beobachten Branchenexperten die stillen Lasten mit Sorge.

Verkauf von Anleihen mit Wertverlusten

Die stillen Lasten waren gegenüber dem Vorjahr rückläufig, was eine positive Nachricht ist. Sie lagen zum Jahresende 2023 branchenweit bei 75 Milliarden Euro - nachdem sie 2022 sogar auf 105 Milliarden Euro gestiegen waren. „Bei den stillen Lasten handelt es sich um unrealisierte Verluste auf den Zinsanlagen“, erklärt Assekurata-Bereichsleiter Heermann. „Zwar müssen die Versicherer diese nach den handelsbilanziellen Regeln nicht realisieren oder abschreiben, dennoch stellen sie eine Bürde für die Bemühungen dar, den höheren Marktzins am Kapitalmarkt zu vereinnahmen.“

Die Anbieter versuchen daher, durch den teilweisen Verkauf von Anleihen die stillen Lasten in ihren Büchern zu reduzieren, berichtet Assekurata weiter. Dabei zeigt sich das Problem: Beim Verkauf realisieren sich nun die Verluste, die zunächst nur auf dem Papier vorhanden waren. Das belastet das Versichertenkollektiv. Denn der Verkauf mit Wertverlusten schmälert die Nettoverzinsung, die im Bilanzjahr 2023 mit 2,30 Prozent weiterhin unter den Umlaufrenditen am Kapitalmarkt lag.

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Erneut schwächelndes Neugeschäft - und positiver Ausblick

Laut Assekurata wird die Dynamik der Umschichtungen in der Kapitalanlage auch durch das geringe Neugeschäft gebremst. Das Geschäftsjahr 2023 war durch einen Rückgang des Prämienbestands der Branche um vier Prozent auf 89 Milliarden Euro gekennzeichnet, was hauptsächlich auf die weiterhin rückläufigen Einmalbeiträge zurückzuführen ist, die unter den erschwerten Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu den Konditionen der Banken leiden. Für 2024 erwartet Assekurata einen weiteren Rückgang des Bestands auf 87,5 Milliarden Euro.

Doch der Ausblick ist vorsichtig optimistisch. „Langfristig dürfte das Branchenwachstum aber von der verbesserten Ertragslage, höheren Überschussbeteiligungen sowie steigenden Realeinkommen und einem zunehmendem Vorsorgebedarf in der Bevölkerung profitieren“, prognostiziert Lars Heermann. Das deckt sich auch mit dem aktuellen ifo-Geschäftsklimaindex. Bei dem Stimmungsbarometer der Branche waren es überproportional die Lebensversicherer, die ihre Geschäftserwartungen für die kommenden sechs Monate positiv bewerteten und eine Verbesserung ihrer Geschäftsentwicklung prognostizierten.

Neuer Höchstrechnungszins - Comeback von Riester?

Neue Argumente für den Abschluss einer Lebensversicherung könnte auch der gesetzliche Höchstrechnungszins liefern, der ab Januar 2025 von 0,25 Prozent auf 1,00 Prozent ansteigt. „Dies ist die erste Erhöhung des Höchstrechnungszinses seit 30 Jahren und somit eine völlig ungewohnte Situation für die Lebensversicherer, die zwischenzeitlich immer nur auf Absenkungen reagieren mussten“, stellt Lars Heermann heraus. „Dadurch gewinnen Lebensversicherer mehr Spielraum bei der Kalkulation, da sich durch den erhöhten Rechnungszins die erforderliche Deckungsrückstellung für garantierte Leistungen verringert.“

In der Konsequenz führe dies dazu, dass Lebensversicherer bei gegebener Garantie die chancenreiche Allokation in den Produkten steigern oder höhere garantierte Leistungen in der Anspar- und Rentenphase einkalkulieren können. Dadurch steige die Attraktivität und die Wahlmöglichkeit für die Kunden.

Zudem dürften einige Anbieter auch Riester-Verträge wieder anbieten, die zum aktuellen Höchstrechnungszins kaum eine Rolle mehr spielen, da sie gesetzlich eine vollständige Bruttobeitragsgarantie erfordern, blickt Assekurata voraus. Viele Versicherer hatten sich in Niedrigzins-Zeiten aus dem Riestergeschäft zurückgezogen, da sie selbst Probleme hatten, die Beitragsgarantie zu bedienen. Die Bruttobeitragsgarantie bei Riester-Renten bedeutet, dass der Versicherer dem Sparer zusichert, dass mindestens die eingezahlten Beiträge und erhaltenen staatlichen Zulagen zum Beginn der Auszahlungsphase garantiert verfügbar sind.

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Mit Blick auf Riester bleibt aber abzuwarten, ob und wie die Bundesregierung die staatlich geförderte Altersvorsorge reformiert und ob die Riester-Rente hierbei noch eine Rolle spielen wird. Nachdem die Bundesregierung eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung von Reformideen beauftragt hat ("Fokusgruppe private Altersvorsorge"), liegt das Reformvorhaben derzeit brach. Während die Fokusgruppe ein Festhalten an Riester empfiehlt, haben sich die ebenfalls einflussreichen Wirtschaftsweisen alternativ für einen staatlich organisierten Aktienfonds als Standardprodukt für die private Altersvorsorge ausgesprochen.

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