Der Begriff „Babyboomer“ löst auf dem Arbeitsmarkt Alarm aus: Rund 13 Millionen Erwerbstätige könnten in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen, warnt das Statistische Bundesamt. Das Problem: Es gibt nicht genug jüngere Beschäftigte, die nachrücken. Diese Entwicklung könnte nicht nur zu einem Fachkräftemangel führen, sondern auch die Renten- und Sozialversicherungssysteme unter Druck setzen. Deshalb wäre es wünschenswert, dass ältere Arbeitnehmer möglichst lange im Beruf bleiben und die richtigen Anreize dafür geschaffen werden.

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Arbeitsbedingungen für Ältere oft nicht optimal

Doch die Realität sieht anders aus, wie der TK-Gesundheitsreport zeigt. Die Studie mit dem Titel „Fachkräftemangel: Was hält die Generation 50+ im Job?“ wurde vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) durchgeführt und befragte über 1.000 Erwerbstätige ab 50 Jahren. Das Ergebnis: Viele Ältere wollen vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden. Fast ein Drittel der älteren Erwerbstätigen ab 50 Jahren (31,3 Prozent) plant demnach, vor dem gesetzlichen Rentenalter in den Ruhestand zu wechseln. Und knapp die Hälfte (46,9 Prozent) möchte zum gesetzlich geplanten Renteneintritt die Erwerbstätigkeit beenden. Die Gründe sind nachvollziehbar: Der Arbeitsmarkt ist nicht auf die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer ausgerichtet.

Konkret fragten die Analysten danach, welche Faktoren dazu beitragen würden, dass die Generation ab 50 länger im Job bleibt. Neben einem höheren Gehalt (66,5 Prozent) nennen die Ü-50-Jährigen vor allem Maßnahmen zur flexibleren Arbeitszeitgestaltung wie "Anpassung der Arbeitszeit an individuelle Bedürfnisse" (73,7 Prozent) und "Unterstützung, den Renteneintritt individuell zu gestalten" (70,3 Prozent). Auch die Möglichkeit zwischen Teil- und Vollzeit wechseln zu können (64 Prozent) und gesundheitsfördernde Maßnahmen (60 Prozent) würden Mitarbeitende motivieren, länger zu arbeiten.

Dabei trägt sogar die finanzielle Situation vieler Erwerbstätiger dazu bei, dass sie doch bis zur Regelaltersgrenze oder darüber hinaus arbeiten. Denn lediglich vier von zehn (42,1 Prozent) der befragten Beschäftigten könnten es sich finanziell leisten, frühzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, 57,9 Prozent können dies nicht. Vor allem Frauen fehlen die notwendigen Rücklagen: Lediglich etwas über ein Drittel (36,6 Prozent) der Frauen sagt, sie könnten sich einen früheren Arbeitsaustritt finanziell leisten. Das zeigt sich auch bei der sogenannten Rente mit 63, die einen vorzeitigen Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren und ohne Abschläge ermöglicht: Nur ein Viertel der Anträge für die Rente mit 63 wird nach Zahlen der Rentenversicherung von Frauen gestellt.

Die Grafik zeigt, wie sich die Verteilung der Beschäftigten, die sich einen Austritt aus dem Erwerbsleben vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter finanziell leisten könnten, nach den Geschlechtern unterschiedet.TK-Gesundheitsreport 2024

Fast jedes zweite Unternehmen verliert ein Viertel der Belegschaft

Parallel dazu wurden auch als 300 Betriebe aus dem ganzen Bundesgebiet befragt, welchen Stellenwert ältere Beschäftigte im Unternehmen haben - und wie sie den Bedürfnissen dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegen kommen. Gut drei Viertel der befragten Personalverantwortlichen sowie Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer (77 Prozent) gaben an, dass die Bindung von älteren Beschäftigten in den nächsten drei Jahren eine große Bedeutung für ihre Unternehmen haben wird. Nicht von ungefähr: Bei 46 Prozent der Unternehmen geht in den nächsten fünf Jahren mehr als ein Viertel der Belegschaft in den Ruhestand.

Die bevorstehende Silberne Abwanderung stellt die Unternehmen vor große Probleme, da mit dem Ruhestand vieler älterer Fachkräfte wertvolles Know-how verloren geht. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts sind fast zehn Millionen Erwerbstätige in Deutschland zwischen 55 und 64 Jahren alt. Sie machen fast ein Viertel der insgesamt 43 Millionen Erwerbstätigen (23 Prozent) aus.

Aber mit Blick auf ältere Beschäftigte zeigen sich die Unternehmen noch unflexibel. Etwas mehr als die Hälfte der befragten Arbeitgeber bietet für Menschen kurz vor dem Renteneintritt bereits flexiblere Arbeitszeiten an (57 Prozent). Ähnlich sieht es bei der Möglichkeit aus, den Übergang in den Ruhestand individuell zu gestalten, was nur 48,8 Prozent der Arbeitgeber ermöglichen. Einig sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur in puncto Teilzeit-Vollzeit-Wechsel und gesundheitsförderlichen Maßnahmen. Dabei sind es auch andere Zwänge, die Menschen zur vorzeitigen Aufgabe ihres Berufes bewegen: Der Wunsch nach einem vorzeitigen Renteneintritt korreliere bei den Befragten mit Pflegebedürftigen in der Familie. Ein Umstand, dem viele Arbeitgeber nicht ausreichend entgegenkommen.

Neben den Arbeitgebern wurden auch die älteren Beschäftigten gefragt, welche Maßnahmen in ihren Unternehmen aktuell angeboten werden, um den Bedürfnissen der Generation 50+ Rechnung zu tragen. Hier zeigte sich eine noch größere Diskrepanz. Dabei wurden folgende Maßnahmen am häufigsten genannt:

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  1. Möglichkeit, zwischen Teilzeit und Vollzeit zu wechseln (39,9 Prozent)
  2. Anpassung der Arbeitszeit an die individuellen Bedürfnisse (35,8 Prozent)
  3. Gesundheitsförderliche Maßnahmen (27,4 Prozent)
  4. Regelmäßige Gespräche bezüglich der beruflichen und persönlichen Perspektiven (20,8 Prozent)
  5. Unterstützung, den Eintritt in den Ruhestand individuell zu gestalten (19,7 Prozent)

Gesundheit für längere Lebensarbeitszeit mitentscheidend

In einem zweiten Teil des Reports wurde geschaut, wie sich die Gesundheit auf die Bereitschaft zu längerem Arbeiten auswirkt. Dafür wurden vom Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (aQua-Institut) die Abrechnungsdaten von mehr als 420.000 bei der TK versicherten Berufstätigen aus den Geburtsjahrgängen 1948 bis 1956 auswertet, die in den Jahren zwischen 2014 bis 2023 ein Alter von 67 Jahren erreichten oder verstorben waren.

"Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Fehlzeiten der Beschäftigten in jüngeren Jahren und dem längeren Arbeiten über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus", erklärt Thomas Grobe vom aQua-Institut. Und weiter: “Von den Beschäftigten, die im Jahr 2012 im Vorfeld des Beobachtungszeitraums keinen einzigen Tag arbeitsunfähig gemeldet waren, waren 14,1 Prozent mit 67 Jahren, also nach ihrem regulären Renteneintritt, immer noch berufstätig. Von den Beschäftigten, die 43 Tage oder mehr krankgeschrieben waren, waren es nur 7,1 Prozent.“

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Im Schnitt arbeiten nach Auswertung der Daten 11,6 Prozent über die Renteneintrittsgrenze hinaus. Diese Ergebnisse verdeutlichen laut TK-Kassenchef Jens Baas, wie wichtig es sei mit der Gesundheitsförderung bereits frühzeitig und über alle Altersgruppen hinweg anzufangen. "Dadurch lassen sich nicht nur kostenintensive Fehlzeiten reduzieren. Je früher Arbeitgeber gesunde Arbeitsbedingungen schaffen, desto länger bleiben die Beschäftigten auch motiviert und leistungsfähig“, so Baas.

Ein weiteres Ergebnis: Ältere sind auch anfälliger für Fehlzeiten. Laut TK-Report waren 2023 bei der TK versicherte Berufstätige ab 50 Jahren durchschnittlich 25,9 Tage krankgeschrieben. 14,5 Prozent fehlten sogar 43 oder mehr Tage krankheitsbedingt am Arbeitsplatz. Zum Vergleich: Bei den Berufstätigen unter 50 Jahren lag die Zahl der Fehltage 2023 bei 16 Tagen pro Kopf. Lediglich 7,7 Prozent der Jüngeren fehlten 43 Tage oder mehr. Der TK-Gesundheitsreport kann auf der Webseite der Techniker Krankenkasse heruntergeladen werden.

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