Es war eine der verheerendsten Naturkatastrophen in der Geschichte der Bundesrepublik: Als Sturmtief Bernd im Juli 2021 Flüsse in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen über die Ufer treten ließ und in eine alles zerstörende Wasserlawine verwandelten, verloren allein in der Ahr-Region 135 Menschen ihr Leben, ganze Existenzen wurden zerstört. Auch für die Versicherungswirtschaft gestaltete sich das Szenario als herausfordernd. In möglichst kurzer Zeit musste eine enorm hohe Zahl an versicherten Schäden reguliert werden, die gleichzeitig auftraten: und das trotz zerstörter Infrastruktur, Handwerkermangel in den betroffenen Regionen sowie von Menschen, die oft auch wichtige Verträge und Unterlagen verloren hatten.

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Wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am Donnerstag berichtet, geht die Schadenregulierung der Versicherer in die Abschlussphase. „Mit rund 7,5 Milliarden Euro sind inzwischen gut 90 Prozent der Schadensumme ausgezahlt“, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV. Alle gemeldeten Hausratschäden seien erstattet und die entsprechenden Rückstellungen aufgelöst worden.

Doch auch drei Jahre nach der Katastrophe ist jeder zehnte Schaden noch nicht abschließend reguliert, wie der Versichererverband weiter mitteilt. Für die knapp zehn Prozent der noch nicht ausgezahlten Schadensumme hätten die Versicherer Rückstellungen von knapp einer Milliarde Euro gebildet. „Alle Versicherten haben bereits Geld bekommen. Die Rückstellungen sichern die Restarbeiten der Schäden ab, bei denen die Schadensumme noch nicht vollständig ausgezahlt wurde“, sagt Käfer-Rohrbach. Erst wenn die letzten Arbeiten abgeschlossen seien, könnten auch die letzten Rückstellungen aufgelöst werden.

206.000 Schadensmeldungen nach Sturmtief „Bernd“

Welch schwieriger Aufgabe sich die privaten Versicherer gegenüber sahen, zeigt die schiere Zahl der gemeldeten Schäden nach Sturmtief "Bernd". In 206.000 Fällen mussten die Versicherer leisten – oft handelte es sich um Großschäden, die einem Totalschaden an Haus und Eigentum gleichkamen. Mit Gesamtkosten von 8,75 Milliarden Euro war dies die bislang folgenschwerste Naturkatastrophe für die private Versicherungswirtschaft in Deutschland.

Doch das Jahr 2021 hatte noch mehr in petto: Hagel und Starkregen verursachten auch in anderen Regionen erhebliche Schäden, zum Beispiel in Bayern, der trockene Sommer begünstigte Brände. Insgesamt summierten sich die Kosten auf historische 15,9 Milliarden Euro – das teuerste Naturgefahrenjahr für die deutschen Versicherer.

Die Auswirkungen waren besonders für Wohngebäudeversicherer gravierend. Die Provinzial, die viele Häuser in der Ahr-Region versicherte, verzeichnete zum Jahresende 2021 eine Combined Ratio von 201,25 Prozent. Das bedeutet, dass für jeden eingenommenen Euro an Prämie mehr als zwei Euro für Schäden und Verwaltung ausgegeben werden mussten. Nahezu alle der 50 größten Wohngebäudeversicherer in Deutschland verzeichneten versicherungstechnische Verluste.

Als drohendes Szenario zeichnet sich eine Situation ab, die an die Herausforderungen in den Hurrikan-Regionen der USA erinnert. An der Atlantik- und Pazifikküste finden viele Hausbesitzer aufgrund der häufigen Schäden kaum noch Versicherer, die bereit sind, ihr Hab und Gut abzusichern. In manchen Gebieten ist die Versicherungsdichte entsprechend niedrig. Ein Beispiel: Nach Einschätzung des Insurance Information Institutes (III) New York genießen nur 13 Prozent der Immobilienbesitzer in Florida Schutz gegen Überschwemmungen.

In Deutschland ist die Lage noch nicht so dramatisch; die meisten Gebäude sind nach wie vor gegen Naturgefahren versicherbar. Dennoch kam nach den gewaltigen Katastrophen 2021 vereinzelt die Frage auf, ob und unter welchen Bedingungen diese in Zeiten zunehmender Naturereignisse weiterhin versicherbar sein werden. Hier drängt der GDV auf mehr Prävention. „Die stetige Zunahme von Wetterextremen verdeutlicht uns, wie wichtig es ist, die Menschen und ihren Lebensraum präventiv vor Naturgefahren zu schützen“, sagt Anja Käfer-Rohrbach. „Es ist höchste Zeit, verbindliche Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung zu ergreifen. Ein politisches Zögern können wir uns nicht mehr erlauben.” Unter anderem stört sich die Versicherungsbranche daran, dass auch in Hochwasser-Regionen noch jährlich tausende Häuser gebaut werden. Insgesamt liegen in Deutschland rund 270.000 Wohngebäude in hochgefährdeten Überschwemmungsgebieten, warnen die Versicherer.

Oft Wiederaufbau an derselben (bedrohten) Stelle

Infolge der Ahrtal-Katastrophe wurden auch Vorwürfe gegen die Versicherungsbranche laut. Ein Vorwurf lautete, dass einige Versicherer die Regulierung schwerer Schäden hinauszögerten und versuchten, die Betroffenen mit niedrigen Auszahlungsangeboten abzuspeisen, somit die Notlage der Flutopfer auszunutzen. Dies berichteten mehrere Medien, darunter die „Süddeutsche Zeitung“, im Jahr 2022. Sie beriefen sich auf Verbraucheranwälte, die Flutgeschädigte vor Gericht vertraten. Noch zum Jahresanfang 2024 klagten Betroffene laut ARD Tagesschau, dass ihnen Versicherer bei der Regulierung Steine in den Weg legen würden. Doch auch die Verbraucheranwälte räumten ein, dass es sich um einzelne Anbieter handle, das Gros der Versicherer aber daran interessiert sei, Schäden schnell und umfassend zu erstatten.

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Ein weiteres Problem betrifft die Bedingungen in vielen Versicherungsverträgen, die vorsehen, dass ein Haus an derselben Stelle wieder aufgebaut werden muss. In Gebieten, in denen erneut verheerende Hochwasser zu erwarten sind, kann dies die falsche Entscheidung sein. Begünstigt so die Versicherungswirtschaft mit ihren Vertragsklauseln selbst, dass Häuser in Überschwemmungsgebieten entstehen? Tatsächlich seien auch im Ahrtal viele Häuser wieder an genau dem Standort neu errichtet worden, wo sie sich vor der Katastrophe befunden haben, so berichten regionale Medien.