BGH: Kunden haben kein Widerrufsrecht bei Honorarvereinbarung zwischen Tür und Angel
Werden Honorarverträge quasi an der Haustür vereinbart, gilt nicht das Widerrufsrecht für Haustürgeschäfte von 14 Tagen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Urteil entschieden und damit die Urteile der Vorinstanzen gekippt. Demnach bestehe keine EU-rechtliche Verpflichtung, die ein Widerrufsrecht für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge über eine Versicherungsvermittlung vorsehe (Urteil vom 4. April 2024, I ZR 137/23).
- BGH: Kunden haben kein Widerrufsrecht bei Honorarvereinbarung zwischen Tür und Angel
- Bereichsausnahme gilt auch für Vermittlerverträge
Wenn jemand an der Haustür einen Staubsauger oder eine Handcreme kauft oder ein Zeitschriften-Abo abschließt, weil der Vertreter besonders eindringlich auf die jeweilige Person eingeredet hat, so kann dieses Produkt auch wieder zurückgegeben werden. Es besteht ein 14-tägiges Widerrufsrecht für Haustürgeschäfte, auch als „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge“ bekannt. Die rechtliche Grundlage dafür ist die EU-Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU), die in Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) umgesetzt ist, insbesondere in den §§ 312g und 355 BGB.
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Wenn jedoch eine Person zwischen Tür und Angel einen Honorarberatervertrag für eine Versicherungsberatung abschließt, gilt dieser Schutz bei Haustürgeschäften nicht. Dies ist selbst dann der Fall, wenn ein Honorar über mehrere tausend Euro vereinbart wurde und sich die Person schlecht beraten fühlt. Das hat der BGH in einem aktuellen Urteil bestätigt und damit erneut die Frage aufgeworfen, wie es um den Verbraucherschutz bei der Honorarberatung für Versicherungen und Finanzen bestellt ist. Es scheint, als ob hier eine gesetzliche Lücke besteht, die schwarzen Schafen der Branche wortwörtlich Tür und Angel öffnet.
PKV-Honorarvereinbarung im Laden
Geklagt hatte im verhandelten Rechtsstreit eine Frau, die ihren Beitrag in der privaten Krankenversicherung reduzieren wollte. Im Februar 2018 unterschrieb sie in ihrem Ladenlokal einen als „Honorarvereinbarung“ deklarierten Vertrag mit einem Versicherungsmakler. Der Auftrag sah vor, ihre "Krankenversicherung (…) nach Möglichkeit günstiger zu gestalten“. Als Honorar vereinbart wurden 80 Prozent der Jahresersparnis plus Mehrwertsteuer, wobei auch ein günstigerer Selbstbehalt innerhalb des Vertrages eingerechnet werden sollte. Der neue Tarif sollte ein ähnliches Leistungsniveau bieten wie der alte.
Einige Monate später wechselte die Frau mit Hilfe ihres Versicherungsmaklers den PKV-Tarif und wählte ein anderes Angebot beim selben Versicherer. Der Grundbeitrag reduzierte sich von monatlich 428,87 Euro auf 337,77 Euro, auch der Selbstbehalt sank von 1.800 Euro auf 1.200 Euro. Zusätzlich empfahl der Makler, Zusatzleistungen zu vereinbaren: Für einen Monatsbeitrag von 96 Euro werden innerhalb eines Kalenderjahres Krankheitskosten bis 1.000 Euro erstattet. Für weitere 18 Euro Monatsbeitrag wurde ein Zuschuss für Zahnbehandlungskosten vereinbart. Aus diesen Angaben lässt sich nicht schließen, dass die Frau falsch oder schlecht beraten wurde – hierfür wäre es jedoch auch notwendig, den Leistungskatalog des neuen Tarifes zu kennen.
Tatsächlich ging es im Streit nicht um die Qualität der Beratung, sondern um die Honorarvereinbarung. Die Frau widerrief den Vertrag wenige Tage, nachdem sie die Rechnung erhalten hatte. Sie behauptete, der Makler habe intransparente Klauseln bei der Honorarberechnung verwendet, indem er auch Ersparnisse bei den Selbstbehalten zu seinen Gunsten einbezog. Zudem stritten sie darüber, ob er beim Beratungsgespräch bereits ihr Bestandsbetreuer war und ob die dafür gezahlte Provision auch die Beratung über eine Vertragsänderung abdeckte. Dies lässt darauf schließen, dass der Makler den ursprünglichen PKV-Vertrag bereits vermittelt hatte und eine entsprechende Bestandsprovision erhielt, auch wenn der Urteilstext hierbei vage bleibt.
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Der Makler hatte für sein Honorar rund 2.000 Euro an Honorar gefordert. Er legte zur Begründung seines Anspruchs AGB 5.2.1 seiner Geschäftsbedingungen vor, wonach sich die Jahresersparnis "alleine aus der Differenz der monatlichen Beitragsprämien zum Zeitpunkt der policierten Vertragsumstellung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Selbstbehalte" berechnet.
Bereichsausnahme gilt auch für Vermittlerverträge
Das Berufungsgericht hatte noch geurteilt, dass die Frau nicht zahlen muss, und den Widerruf für wirksam gehalten. Auch wurde die entsprechende Vertragsklausel des Maklers in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für intransparent gehalten und damit für unwirksam. Laut diesen Bedingungen solle die Differenz der Jahresselbstbehalte von der Differenz der Beitragsprämien "abgezogen" werden, was zu einem negativen Betrag führe; in krassem Gegensatz dazu habe der beklagte Makler die beiden Differenzen aber bei seiner Vergütungsberechnung addiert und damit gezeigt, dass er die Allgemeinen Geschäftsbedingungen entgegen ihrem Wortlaut zu seinem Vorteil auslege.
Bereichsausnahme vom Widerrufsrecht gilt auch für derartige Vermittlerverträge
Der Bundesgerichtshof traf eine gegensätzliche Entscheidung. Die Richter in Karlsruhe hoben die Urteile der Vorinstanzen auf und wiesen den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurück. Sie stützten ihre Entscheidung auf die sogenannte Bereichsausnahme im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 312 Abs. 6 BGB). Diese Regelung betrifft spezielle Verträge, bei denen das allgemeine Verbraucherschutzrecht, insbesondere das Widerrufsrecht, nicht gilt.
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Die Bereichsausnahme soll sicherstellen, dass in Fällen, in denen der Verbraucherschutz durch andere Maßnahmen ausreichend gewährleistet ist oder ein Widerrufsrecht logistisch oder wirtschaftlich unpraktikabel wäre, dieses Recht nicht zur Anwendung kommt. Dies dient der Effizienz und Praktikabilität im Geschäftsverkehr.
Der BGH betonte, dass diese Bereichsausnahme auch für Vermittlerverträge im Bereich der Versicherungsvermittlung gilt, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden. Daher sind die üblichen Widerrufsrechte gemäß § 312g BGB in diesem Fall nicht anwendbar. Es besteht keine europarechtliche Verpflichtung, ein Widerrufsrecht für solche Verträge vorzusehen.
Gemäß der EU-Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen müssen die Mitgliedstaaten lediglich ein Widerrufsrecht für Versicherungsvermittlungsverträge im Fernabsatz gewährleisten, was in Deutschland durch das Versicherungsvertragsgesetz umgesetzt ist. Das Widerrufsrecht für Versicherungsverträge bleibt somit auf Abschlüsse über Internet, Post und Telefon beschränkt. Für Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, besteht keine solche Verpflichtung.
Mehr Rechtsklarheit für Beratungsgespräche bei Kundenbesuchen
Dieses Urteil hat bedeutende Auswirkungen auf die Praxis der Versicherungsvermittlung. Versicherungsvermittler und Honorarberater können nun sicherer davon ausgehen, dass Vermittlungsverträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, nicht mehr widerrufen werden können. Das erhöht die Planungssicherheit für Vermittler und ihre Geschäftsmodelle erheblich, da viele Beratungs- und Vermittlungsgespräche außerhalb von Büros stattfinden, oft direkt beim Kunden zu Hause. Hätte der BGH anders entschieden, wäre es möglich gewesen, dass Vermittler und Berater solche Gespräche stark einschränken müssten, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden.
Für Verbraucher bedeutet dies, dass sie bei solchen Abschlüssen besonders genau prüfen sollten, welche Verpflichtungen sie eingehen, da ein nachträglicher Widerruf nicht mehr möglich ist. Eine gründliche Beratung und klare Vertragsdokumentation durch die Vermittler wird daher im Kundeninteresse umso wichtiger. Gleichzeitig wirft das Urteil Fragen zum Verbraucherschutz bei Honorarberatungen auf: Während Versicherungsverträge gemäß § 8 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) binnen 14 Tagen widerrufen werden können, gilt dies für parallel abgeschlossene Honorarvereinbarungen nicht. Kunden müssen also das Honorar zahlen, selbst wenn sie sich kurzfristig vom Versicherungsvertrag zurückziehen.
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Ein weiterer Punkt, den der BGH ansprach, war die Transparenz der Vertragsbedingungen. Die vom Beklagten verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zur Berechnung der Jahresersparnis wurden als intransparent eingestuft. Der BGH betonte, dass AGB klar und verständlich formuliert sein müssen. Dies betreffe insbesondere die Berechnung der Vergütung, die aus der Differenz der monatlichen Prämien vor und nach der Vertragsumstellung sowie der Differenz der Jahresselbstbehalte ermittelt wird. Hier hat die klagende Frau also zumindest gute Chancen, weniger Honorar bezahlen zu müssen. Der Fall wird nun erneut vom Landgericht Traunstein verhandelt, wobei die Hinweise des BGH zu berücksichtigen sind.
- BGH: Kunden haben kein Widerrufsrecht bei Honorarvereinbarung zwischen Tür und Angel
- Bereichsausnahme gilt auch für Vermittlerverträge