In der gesetzlichen Krankenversicherung klaffen große Finanzlöcher: Darauf reagieren nun zwei Krankenkassen, indem sie den Zusatzbeitrag im laufenden Jahr anheben. Besonders deutlich greift die KKH zu. Ab August zahlen die Kundinnen und Kunden zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent einen Zusatzbeitrag von 3,28 Prozent, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berichtet. Bereits zum Jahresanfang hatte die Krankenkasse mit rund 1,6 Millionen Versicherten ihren Zusatzbeitrag von 1,5 auf 1,98 Prozent angehoben.

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Nach diesem Update müssen die Versicherten der KKH einen Gesamtbeitragssatz von 17,88 Prozent ihres Bruttolohns an die Krankenkasse zahlen. Bei einem Bruttolohn von 3.000 Euro ergibt sich ein allgemeiner Beitrag von 438 Euro (14,6 Prozent des Bruttolohns) sowie ein Zusatzbeitrag von 98,40 Euro, was einen Gesamtbeitrag von 536,40 Euro zur Folge hat. Dieser Betrag wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt, wobei der Arbeitgeber in der Regel die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes (7,3 Prozent) und die Hälfte des Zusatzbeitrags übernimmt.

KKH beklagt "unerwartet hohe Kostensteigerungen"

Die KKH begründet den Beitragssprung mit 'unerwartet hohen Kostensteigerungen', insbesondere im Krankenhaus- und Arzneimittelsegment. Jedoch steht sie damit nicht allein, denn auch andere Krankenkassen sehen sich mit rasant steigenden Ausgaben konfrontiert. Im ersten Quartal 2024 stiegen die Ausgaben je Versicherten um 7,1 Prozent; für das Gesamtjahr wird ein Anstieg um 6,5 Prozent erwartet. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zufolge verzeichneten die gesetzlichen Krankenkassen in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 ein Minus von 776 Millionen Euro.

Bereits der GKV-Spitzenverband warnte, dass der Zusatzbeitrag im Durchschnitt um 0,5 bis 0,6 Prozentpunkte angehoben werden müsse, um die steigenden Kosten zu decken. Die GKV-Arzneimittelausgaben stiegen allein im ersten Quartal 2024 um 9,3 Prozent auf 13,8 Milliarden Euro, wie eine Auswertung des Statistikdienstleisters IQVIA zeigt. Im Vorjahr lagen sie bei rund 50,3 Milliarden Euro. Auch die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen erhöhten sich 2023 von 88, 11 Milliarden auf 93,5 Milliarden Euro. Gründe hierfür sind neben der Alterung der Gesellschaft vor allem höhere Personalkosten in den Kliniken und das Auslaufen von Rabattverträgen bei Arzneimitteln.

Auch IKK classic hebt Zusatzbeitrag an

Die explodierenden Kosten tragen dazu bei, dass eine weitere Krankenkasse ihren Zusatzbeitrag raufsetzen muss. Der Verwaltungsrat der IKK Classic beschloss bereits am 04. Juli die Erhöhung des Zusatzbeitragssatzes um 0,49 Prozentpunkte auf 2,19 Prozent. Deutschlands größte Innungskrankenkasse, die besonders dem Handwerk verbunden ist, versichert rund zwei Drittel der insgesamt 5,2 Millionen IKK-Versicherten. Über den Beitragsanstieg berichteten dpa und das „Ärzteblatt“.

Der Vorstandsvorsitzende der IKK classic, Frank Hippler, sieht die Hauptursache für das enorme Defizit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) darin, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die aus Steuermitteln zu finanzieren sind, zu einem großen Teil den Beitragszahlern der GKV aufgebürdet werden. Dabei blickt er vor allem auf Bürgergeldempfänger. Die GKV erhielte aus Steuermitteln pro Bürgergeldbezieher rund 120 Euro. „Das ist bei weitem nicht kosten­deckend“, ergänzt Helmut Dittke, Vorsitzender des IKK-Verwaltungsrates. Werde ein Privatversicherter arbeitslos, „zahlt der Staat der Versicherung dafür bis zu 420 Euro monatlich“, so der Kassenfunktionär. Eine vorausschauende und für stabile Beiträge notwendige Finanzplanung werde so erschwert.

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Auffallend: Mit der KKH und der IKK classic sind zwei Krankenkassen betroffen, die einen umfassenden Leistungskatalog anbieten und entsprechend in Rankings gut abschneiden. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind etwa 95 Prozent der Leistungen gesetzlich vorgeschrieben und damit für alle Krankenkassen identisch. Darüber hinaus haben die Anbieter jedoch Spielraum. Die KKH bietet ihren Mitgliedern unter anderem eine erweiterte Zahnvorsorge und die Übernahme der Kosten für bestimmte Gesundheitskurse an. Auch wurden die Leistungen für Jugendliche in den letzten Jahren ausgeweitet. Die IKK classic punktet mit zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen und Familienangeboten. Die jetzigen Prämienerhöhungen könnten folglich ein Indiz dafür sein, dass der Handlungsspielraum der Kassen durch die angespannte Kostenlage zunehmend eingeschränkt wird.