Das Bundesverfassungsgericht wird bald darüber urteilen, ob die Bafög-Sätze in Deutschland zu niedrig sind, um den Grundbedarf zu decken. Das Verwaltungsgericht Berlin hält dies für gegeben. In einem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht übten die Berliner Richter scharfe Kritik an der derzeitigen Bafög-Praxis. Die Grundbedarfs-Sätze seien zu niedrig, die Berechnung intransparent und das Existenzminimum nicht gewährleistet, so lautet das Fazit des Beschlusses (VG Berlin, Beschluss vom 05.06.2024 - VG 18 K 342/22).

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Es ist bereits die zweite Vorlage zu diesem Thema, wie der Beck Verlag berichtet. Bereits 2016 hatte eine Medizinstudentin geklagt, dass ihre Ausbildungsförderung zu niedrig sei. Ihre Klage wurde vom Verwaltungsgericht Berlin zurückgestellt, da beim BVerwG unter dem Aktenzeichen 5 C 11.18 ein Parallelverfahren anhängig war. Seit Mai 2021 liegt der Fall dort, ohne dass sich etwas getan hat.

Nun klagte erneut eine Medizinstudentin auf höhere Bafög-Sätze, bezogen auf das Jahr 2021. Sie und ihre Anwälte argumentieren, dass der Bafög-Satz deutlich unter dem Bedarfssatz liege, auf den Bürgergeld-Empfänger (damals noch ALG II) Anspruch hätten. Damit werde das Existenzminimum nicht gesichert, da Hartz IV am notwendigen Lebensminimum orientiert sei. Der Gesetzgeber verstoße gegen seine Pflicht, gleiche Bildungschancen zu gewährleisten und allen Qualifizierten eine Hochschulausbildung zu ermöglichen.

Bafög-Bedarfssatz ist "evident zu niedrig"

Das Verwaltungsgericht folgte weitgehend dieser Argumentation. Im Vergleich zur Regelbedarfsstufe 1 bei Hartz IV (bzw. ab 2023 Bürgergeld) sei der gewährleistete Bafög-Grundbedarf mit 427 Euro „evident zu niedrig“, da Hartz-IV-Bezieher damals Anspruch auf höhere Bezüge (446 Euro monatlich) hatten. Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt der Richter. Auch der Unterkunftsbedarf falle mit 325 Euro zu niedrig aus. Im Sommersemester 2021 hatten demnach bereits mehr als die Hälfte der Studierenden monatliche Mietausgaben von über 351 Euro, teils sogar deutlich darüber. Fast ein Fünftel zahlte den Angaben zufolge zwischen 400 und 500 Euro Miete, ein weiteres Fünftel mehr als 500 Euro.

Grundsätzlich störte sich das Verwaltungsgericht daran, wie der Unterkunftsbedarf errechnet wird. Es dürfe demnach nicht ein Gesamtdurchschnitt der Unterkunftskosten im gesamten Bundesgebiet gebildet werden. Stattdessen sei ein Durchschnittswert der Unterkunftskosten am jeweiligen Studienort der anspruchsberechtigten Person oder "jedenfalls an vergleichbaren Studienorten“ angebracht. Das Verwaltungsgericht hob hervor, dass sich die Unterkunftskosten an verschiedenen Hochschulorten um bis zu 230 Euro unterscheiden. Während im sächsischen Freiberg, wo eine Technische Universität angesiedelt ist, ein Zimmer 266 Euro koste, seien es in München durchschnittlich 595 Euro. Der Gesetzgeber dürfe zwar pauschalisieren, aber regionale Unterschiede nicht komplett ignorieren.

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Die Kritik des Verwaltungsgerichts geht noch weiter, denn nach dessen Ansicht errechnet der Gesetzgeber den Bafög-Satz fehlerhaft und begeht dabei schwerwiegende methodische Fehler. Folgendes bemängelte das Gericht:

  • Als Referenzgruppe werde fehlerhaft auch solche Studierendenhaushalte einbezogen, die lediglich über ein Einkommen in Höhe der Bafög-Leistungen verfügen.
  • Mögliche Nebenverdienste und Kindergeld der Studierenden dürften nicht berücksichtigt werden, um den Bafög-Satz zu senken.
  • Es werde keine Differenzierung zwischen den Kosten für den Lebensunterhalt und den Kosten für die Ausbildung sowie zwischen den Kosten für die Unterkunft und den Heizkosten vorgenommen.
  • Es werde nicht beachtet, dass die Bedarfssätze zeitnah an sich ändernde wirtschaftliche Verhältnisse, wie die hohe Inflation, angepasst werden müssen.