‚Hochwasserdemenz‘ beschreibt ein Verhaltensmuster, bei dem wiederholt eintretende Extremwetterlagen und deren Folgen relativ schnell vergessen werden, zumindest wenig daraus gelernt wird. Dabei reihen sich die Extremhochwasserzyklen aneinander: Elbhochwasser 2002/2006; Donau-/Elbehochwasser 2013; Rheinland-Pfalz/Nordrhein-Westfalen 2021; aktuell Bayern/Baden Württemberg. Die Schäden sind immens. Bei einem Gesamtschaden des Hochwassers 2021 i.H.v. 40,5 Milliarden Euro entfielen auf Privathaushalte 14, auf Industrie und Gewerbe 2,8 Milliarden Euro.

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Dazu kamen indirekte Schäden durch Produktionsausfälle von 7,1 Milliarden Euro. Die eigentlich notwendigen Verhaltensanpassungen müssten eine Kombination aus staatlicher Planung/Regulierung (Flächenplanung, Bauverbotszonen), staatlicher und privater Vorsorge, die Kostenübernahme von Schäden durch Versicherungen und langfristigem Klimaschutz umfassen. In der derzeit wieder aufgekommenen Diskussion steht eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden im Vordergrund.

Unterstützung erfährt der Vorschlag von mehreren Bundesländern, der SPD und den Grünen, ablehnend sind die FDP und der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Dabei stand 2003 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesjustizministeriums bereits kurz vor dem Abschluss einer entsprechenden Elementarpflichtversicherung. Da jedoch nicht alle 200-Jahresereignisse – Schäden, welche im Mittel alle 200 Jahre auftreten – über die Rückversicherungen abgedeckt werden konnten, und der Bund eine Risikobeteiligung ablehnte, kam es nicht dazu.

Doch warum besteht eine eher unzureichende Versicherungsdichte? Während laut GDV im Bundesdurchschnitt 52 Prozent der Immobilien gegen Elementarschäden versichert sind, sind es in Bayern nur 45 Prozent, hingegen in Baden-Württemberg 94 Prozent. Dort bestand bis Juni 1994 eine Monopolversicherungspflicht, die mit EU-Recht gekippt wurde. Hinzu kommt, dass nur 1,1 bzw. 0,4 Prozent der insgesamt 22,4 Millionen deutschen Adressen in den oberen Hochwassergefährdungsklassen 3 und 4 liegen. Statistisch droht hier eine Überflutung mindestens einmal in 100 Jahren oder sogar alle 10 Jahre. Bezogen auf alle Versicherungsverträge gegen Elementarschäden entfallen jedoch noch weniger auf beide Klassen, nämlich nur 0,9 und 0,24 Prozent.

Ursache sind die risikogestaffelten Prämien, die zwischen 100 Euro (Klasse 1) und 1.000 Euro (Klasse 4) betragen. Teils erhebliche Selbstbehalte mindern den wahrgenommenen Versicherungsnutzen zusätzlich. Extremlagen (Flussufer) sind zudem nicht versicherbar. Dazu kommen Fehleinschätzungen Betroffener hinsichtlich der objektiven Risiken und des tatsächlich vorliegenden Versicherungsschutzes. Selbst bei Risikobewusstsein verhindert die allzu menschliche Aufschiebetendenz die Vertragsentscheidung. Außerdem erzeugt das sog. Dilemma des Samariters bei einmal gewährten staatlichen Sofort- und Wiederaufbauhilfen eine Erwartungshaltung, die insbesondere bei Großschäden mit vielen Betroffenen politisch nicht unbeachtet bleibt. Gerhard Schröders „Gummistiefel-Einsatz“ zur Elbeflut 2002 nur Wochen vor der Bundestagswahl gibt ein Beispiel. Eine private Versicherung scheint dann weniger notwendig und führt bei bereits Versicherten zur Demotivation, die Beiträge ‚umsonst‘ gezahlt haben. Vorsorgeanstrengungen bleiben unbelohnt.

Was spricht also gegen eine Elementarpflichtversicherung? Es wird befürchtet, dass Kommunen und Länder weniger Vorsorge betreiben werden – beginnend mit dem Verbot von Baugenehmigungen in Hochwassergebieten, der Deichinstandhaltung (aktuell!) bis hin zur Anpassung von Kanalisationen und der Errichtung von Überflutungsgebieten. Ähnliches gilt für die private Vorsorge: dem Einbau von Rückstauklappen und Flutsicherungen. Auch würden im Gegensatz zur Kfz-Haftpflichtversicherungen keine Dritten geschützt. Es gilt somit das Eigeninteresse und die freie Entscheidung.

Wie sähe eine Elementarpflichtversicherung aus, die die aufgezeigten Probleme berücksichtigen würde? Sie hätte einen Jedermann-Versicherungsschutz, Anreize zur Prävention, zugleich Prämiengünstigkeit bzw. Erschwinglichkeit, nicht mehr notwendige staatliche Fluthilfen und eine verbleibende Wahlmöglichkeit zur individuellen Ausgestaltung zu gewährleisten. Auf Bundesebene wäre ein Rahmengesetz zu beschließen, das einen Basisschutz gegen Elementarschäden (Feuer, Sturm, Hagel, Hochwasser, Überschwemmung, Schneedruck, Lawinen, Bergsturz, Erdrutsch und Erdfall) bei allgemeiner Versicherungspflicht der Hauseigentümer auf der Grundlage risikobasierter Prämien beinhaltet. Basisschutz heißt bspw. eine Absicherung in Höhe von 70 Prozent des Immobilienwertes. Im Zweifel könnte den Rest ein privater Kredit abdecken, sollte ein Totalschaden vorliegen. Damit wäre der Sozialfall vermieden.

Eine Versicherungspflicht unterscheidet sich von einer monopolartigen Zwangsversicherung durch den verbleibenden Wettbewerb verschiedener Versicherungen, die die marktlichen Anreize eines nachfragegerechten und kostengünstigen Angebotes bei Aufrechterhaltung eines Innovationsdruckes zur Absicherung neuartiger Risiken (Schäden durch Cyber, KI) aufrechterhält. Mithilfe von risikobasierten Prämien bleiben zumindest die privaten Präventionsanreize erhalten. Der Einbau von Maßnahmen zum Hochwasserschutz würde belohnt, wobei die Versicherungen mit ihrer Expertise beratend unterstützen könnten.

Zugleich besteht auch ein gewisser Druck auf staatliche Stellen, entsprechende Bauvorschriften, Bebauungsauflagen, Neubauverbote und einen investiven Hochwasserschutz (Deiche, Polder, Schutztore etc.) vorzunehmen. Um einerseits bestehende (!) Bauten auch in hochgefährdeten Lagen abzusichern, andererseits einkommensschwachen Eigentümern eine für sie tragbare Prämienhöhe zu gewährleisten, muss entweder der Staat ähnlich des Wohngeldes individuelle Unterstützung leisten oder das Kollektiv der Versicherungen muss einen finanziell eher begrenzten Umverteilungsmechanismus vorhalten, der die Subventionen trägt.

Für die sog. 200-Jahresereignisse, die extrem selten, dann aber mit extrem hohen Schäden behaftet sind, müssten Rückversicherungen gefunden werden oder aber der Staat (Steuerzahler) die Risiken tragen. Ebenso wäre hier ein Ausschluss denkbar. Die Kontrolle des Pflichtversicherungsschutzes könnte über die die Grundsteuer erhebende Kommune erfolgen, indem mit dem jährlichen Steuerbescheid ein Versicherungsnachweis angefordert wird. Schließlich könnte ähnlich der Feuerschutzsteuer, durch die u.a. die Freiwilligen Feuerwehren mitfinanziert werden, eine Elementarschutzsteuer für die Ertüchtigung des Technischen Hilfswerks sorgen. ‚Krisendemenz‘ ist durch eine angemessene Rahmenregelung heilbar.

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Über den Autor:
Prof. Dr. Dirk Meyer hat seit 1994 Professor für Volkswirtschaftslehre am Institut für Volkswirtschaftslehre der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg. Dort hat er einen Lehrstuhl für Ordnungsökonomik inne. Seine Forschungsgebiete umfassen die Ordnungs-, Wettbewerbs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Innovationsforschung sowie die Europäische Integration. Prof. Dr. Dirk Meyer ist auch Autor zahlreicher Bücher. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählt u.a.: „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise I – Eine Bestandsaufnahme“ (2. Bd. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2022).