Im Juli konnten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck endlich auf einen Haushaltsentwurf einigen. Zuvor hatte es monatelang so ausgesehen, als würde die Ampelkoalition daran zerbrechen – so gegensätzlich waren die Vorstellungen der Koalitionspartner. Während die FDP auf Sparmaßnahmen und die Einhaltung der „Schwarzen Null“ bestand, wollten SPD und Grüne den Investitionsschub vorantreiben. Umso überraschender war die Einigkeit, mit der die drei das Ergebnis auf der Pressekonferenz präsentierten.

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Doch der Frieden könnte nur von kurzer Dauer sein: Christian Lindner hat vergangene Woche angekündigt, den Entwurf erneut nachverhandeln zu wollen. Anlass dafür sind zwei Gutachten, die seiner Auffassung nach verfassungsrechtliche Risiken im Haushalt aufzeigen. Die Meinungen der Regierungsparteien darüber gehen auseinander, doch Lindner hat bereits klare Vorstellungen, wo er den Rotstift ansetzen möchte: Sozialausgaben und Renten sollen genauer überprüft und gekürzt werden. Der Haushalt könne "durch Maßnahmen zur Stärkung der Treffsicherheit der Sozialausgaben" ins Gleichgewicht gebracht werden, so heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.

Gutachten meldet Zweifel an kreativer Buchführung an

Was ist der Hintergrund? Besonders brisant ist ein Gutachten, das der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium auf Lindners Geheiß vorgelegt hat. Laut „Handelsblatt“ bezweifeln die Experten, dass die geplante Schließung einer Finanzlücke von 17 Milliarden Euro im Haushalt verfassungsmäßig ist. Diese Lücke zu schließen, ist notwendig, um die gesetzlich vorgeschriebene Schuldenbremse einzuhalten – ein Ziel, das Lindner entschlossen verfolgt. Seine Koalitionspartner hingegen plädieren dafür, die Schuldenbremse zu lockern und mehr zu investieren. Der ursprüngliche Konflikt innerhalb der Koalition ist damit wieder entbrannt.

Konkret kritisiert der Beirat zwei Maßnahmen, die zur Schließung des Haushaltslochs beitragen sollen. Erstens sollen Zuschüsse für die Deutsche Bahn und die Autobahn GmbH in Darlehen umgewandelt werden. Das bedeutet, dass diese Gelder künftig als Kredite gewährt werden, die zurückgezahlt werden müssen – eine Rückzahlung, die laut Experten jedoch kaum realistisch erscheint. Damit wäre die Einhaltung der Schuldenbremse ernsthaft gefährdet. Im Falle der Umwandlung von Zuschüssen in Darlehen an die Autobahn GmbH bezweifelt der Beirat, "dass die Darlehensvergabe als finanzielle Transaktion gewertet werden kann“, da die GmbH über keine eigenen Einnahmen verfüge. Dieses Problem soll gelöst werden, indem Teile der Autobahnmaut von der GmbH eigenständig genutzt werden dürfen.

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Ein weiterer Kniff betrifft die Förderbank KfW: Hier sollen Mittel, die ursprünglich zur Bewältigung der Energiekrise vorgesehen waren, aber nicht abgerufen wurden, in den Haushalt zurückfließen und anderweitig eingesetzt werden. Auch diese Praxis weckt Bedenken bei den Gutachtern. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Bundesregierung mit ihren Haushaltsplänen auf die Nase fällt. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im November 2023 Teile des Bundeshaushalts 2021 für verfassungswidrig erklärt. Es entschied, dass die Umwidmung von Corona-Kreditermächtigungen für den Klima- und Transformationsfonds gegen die Schuldenbremse verstieß.

Lindners Vorstoß irritiert Koalitionspartner

Über die Interpretation des Gutachtens, das dem Versicherungsboten derzeit noch nicht vorliegt, herrscht innerhalb der Regierung Uneinigkeit. Sollte den beanstandeten Punkten gefolgt werden, müssten konkret acht bis neun Milliarden Euro anders aufgebracht oder eingespart werden. Die SPD und die Grünen sind jedoch überzeugt, dass die angesprochenen Maßnahmen bei Bahn und Autobahn verfassungsrechtlich haltbar sind, wie „Die Zeit“ berichtet. Dabei berufen sie sich auf die juristische Einschätzung des Gutachters Johannes Hellermann, der an einem zweiten, von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten mitgewirkt hat. Die Kreditaufnahmen bei der Bahn und der Autobahngesellschaft seien laut Hellermann „nicht schuldenbremsenrelevant“, zitiert ihn die Zeitung. Problematisch sei aus seiner Sicht lediglich die Umwidmung der KfW-Gelder.

Der Haushalt für 2025 hat ein Gesamtvolumen von 481 Milliarden Euro, auch wenn mehrere Positionen auf Kante genäht sind. In diesem Kontext erscheinen die umstrittenen neun Milliarden Euro relativ überschaubar. Dass Christian Lindner nun auf eine Nachverhandlung des Bundeshaushalts drängt, sorgt daher für Irritation bei den anderen Regierungsparteien. Der Verdacht liegt nahe, dass Lindner auf diese Weise Reformen durchsetzen möchte, die ihm bisher innerhalb der Koalition nicht gelungen sind – etwa Änderungen beim sogenannten „Rentenpaket II“ und beim Bürgergeld.

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Entsprechend scharf ist die Kritik aus den Reihen von SPD und Grünen. Die ARD Tagesschau zitiert die SPD-Chefin Saskia Esken, die derzeit in Thüringen unterwegs ist, um ihre Partei im Landtagswahlkampf zu unterstützen. In Jena äußerte sie sich zum Vorgehen Lindners: „Das ist rücksichtslos und überschreitet für mich die Grenzen des Erträglichen in einer Koalition.“

Doch wo könnte bei Rente und Bürgergeld überhaupt gespart werden? Die „Frankfurter Rundschau“ weist darauf hin, dass beide Leistungen in ihrer Höhe verfassungsrechtlich geschützt sind und daher nicht einfach gekürzt werden können. Dennoch ist die Rentenversicherung mit 127,3 Milliarden Euro an Zuschüssen der größte Posten im Bundeshaushalt. In diesem Zusammenhang könnten die Rente mit 63 und die Mütterrente zur Diskussion stehen – allerdings ist es unwahrscheinlich, dass solche Maßnahmen mit den Grünen und der SPD durchsetzbar wären.

Zwar möchte auch Bundeskanzler Olaf Scholz Anreize schaffen, damit Menschen länger arbeiten und nicht vorzeitig in den Ruhestand gehen, doch er hat wiederholt betont, dass die SPD ein Ende der Rente mit 63 nicht unterstützen würde. Diese Regelung ermöglicht es Personen, die mindestens 45 Jahre Beitragszeit vorweisen können, vor der Regelaltersgrenze ohne Abschläge in Rente zu gehen. Auch den Vorschlag, das Renteneintrittsalter anzuheben, wies Scholz im Mai als „absurd“ zurück und erklärte, dies sei „nicht der richtige Weg, um einen Haushalt zu sanieren“.

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Die „Rente mit 63“ kostet rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Allerdings ist unklar, wie viel laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch die Abschaffung eingespart werden kann, "da schlichtweg unbekannt ist, wie das Rentenzugangsverhalten ohne diese Neuregelung wäre“, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ aus einer Stellungnahme des Ministeriums. Mit anderen Worten: Viele würden trotzdem in Rente gehen, aber mit Abschlägen. Die Mütterrente kostet etwa 13 Milliarden Euro jährlich, gegen ihre Abschaffung gibt es aber ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken - zudem würde sich die Zahl der Frauen erhöhen, die es mit Altersarmut bezahlen, dass sie Erziehungsaufgaben wahrgenommen haben.

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