Schadenreservequoten sind beliebte Kennzahlen in der Versicherungsbranche. Geben sie doch an, ob ausreichend Mittel vorhanden sind, um eingehende Schadenansprüche zu decken – sie sind ein wichtiger Indikator dafür, ob ein Versicherer solide und nachhaltig wirtschaftet. Und doch kann es wichtig sein, auch weitere Kennzahlen zu beachten, um die Aussagefähigkeit von Schadenreservequoten richtig einzuordnen. Das zeigt eine aktuelle Teilauswertung der Experten von Assekurata zur Kfz-Haftpflichtversicherung.

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Was wurde gemacht

In der Teilauswertung wurden verschiedene Kennzahlen für die Kfz-Haftpflichtversicherer analysiert. Hierbei stellten die Experten einen wichtigen Effekt fest, den sie sodann den "Sockeleffekt" tauften. Ebenso wurden weitere Sondereffekte festgestellt, die ebenfalls auf die Höhe der Schadenreserven Einfluss haben. Folgende Kennzahlen waren für die Teilstudie besonders wichtig:

  • Schadenreservequote: Verhältnis der Schadenrückstellungen zu den verdienten Bruttoprämien in Prozent. Die Schadenreservequote zeigt, wie gut ein Versicherer Rückstellungen für zukünftige Schadensfälle im Verhältnis zu seinen Einnahmen bildet. Wichtig ist: in die Schadenreservequote fließen auch bereits feststehende Beträge ein, die zukünftig zu zahlen sind – insbesondere Ausgaben für Personalschäden können sehr langwierige Zahlungen nach sich ziehen. Für die Auswertung hat sich Assekurata die Quoten von 2022 angesehen.
  • Schadenreserven pro Vertrag: Höhe der Rückstellungen, aufgeteilt auf die Anzahl der bestehenden Verträge. Diese Kennzahl hilft, die Risikobelastung pro Vertrag zu bewerten. Schadenreserven pro Vertrag werden nicht in Prozent, sondern in Euro angegeben. Auch hier legte Assekurata wieder die Zahlen von 2022 zugrunde.
  • Verdiente Bruttoprämien: Gesamteinnahmen eines Versicherers nach Abzug der Rückstellungen für nicht verdiente Prämien. Denn Buchungen eines Geschäftsjahrs beinhalten auch Prämien, die dem folgenden Geschäftsjahr oder den folgenden Geschäftsjahren zuzurechnen sind. Verdiente Bruttoprämien geben jedoch wirklich nur jenen Teil der Prämien an, der innerhalb eines Geschäftsjahrs auch verdient wurde. Wichtig: "Bruttoprämien" berücksichtigen (anders als Nettoprämien) noch nicht die Kosten für die Rückversicherung.
  • Zuwachsrate: Misst die Veränderung der verdienten Bruttoprämien oder der Vertragszahl eines Versicherers über einen bestimmten Zeitabschnitt. Um zu beurteilen, wie stark ein Versicherer wuchs oder schrumpfte, hat Assekurata den Zehnjahres-Schnitt des Zeitraums 2013 bis 2022 gebildet.

Kennzahlen am Kfz-Haftpflichtmarkt zeigen starke Unterschiede

Die erste Beobachtung der Experten von Assekurata: am Markt gibt es eine breite Streuung der Kennzahlen, diese können zum Teil sogar innerhalb eines Konzerns bei verschiedenen Unternehmenstöchtern beobachtet werden:

  • Die niedrigste Schadenreservequote der Kfz-Haftpflichtbranche 2022 wies zum Beispiel die Rhion aus mit nur 77,60 Prozent. Die zweitniedrigste Reservequote lag bei 94,10 Prozent für Volkswagen Auto. Die zweithöchste Schadenreservequote hingegen wies die DEVK VVaG aus mit 356,10 Prozent, die höchste Schadenreservequote lag sogar bei 483,75 Prozent für die Ergo Direkt. Der Branchenschnitt dieser Kennzahl über alle Versicherer hinweg lag bei 221,48 Prozent.
  • Die niedrigsten Schadenreserven pro Vertrag musste ebenfalls die Rhion ausweisen mit 115,58 Euro; die zweitniedrigsten Schadenreserven pro Vertrag in der Kfz-Haftpflicht lagen bei 214,02 Euro für die Barmenia Allgemeine. Ein auffallender Kontrast hierzu bilden die Schadenreserven pro Vertrag bei der Ergo Direkt (1.261,34 Euro) und der Kravag Logistik (sogar 1.302,26 Euro). Der Branchenschnitt liegt hier bei 549,24 Euro Schadenreserve je Kfz-Haftpflichtvertrag.
  • Auch die durchschnittlich Zuwachsrate bei den verdienten Beiträgen über zehn Jahre hinweg zeigt eine breite Streuung: die höchste Zuwachsrate für die Jahre 2013 bis 2022 liegt bei der Condor Allgemeine (mit durchschnittlich 19,28 Prozent), die zweithöchste Zuwachsrate bei der Allianz GCS (mit durchschnittlich 13,68 Prozent). Die zweitniedrigste Zuwachsrate liegt bei der GVV-Direkt mit einem negativen Jahreswert von durchschnittlich 3,18 Prozent. Für die Nürnberger Beamten Allgemeine errechneten die Experten von Assekurata sogar einen negativen Zuwachs von durchschnittlich 5,92 Prozent – um diesen Wert gingen hier verdiente Prämien jährlich im Zeitraum 2013 bis 2022 zurück.

Was bei Deutung der Zahlen beachtet werden muss: der Sockeleffekt

Man kann die Teilstudie der Experten aus Köln als Plädoyer lesen, Kennzahlen nicht losgelöst von einem Gesamtkontext zu ranken, sondern auch Wechseleffekte und weitere Kennzahlen zur Bewertung einer bestimmten Kennzahl heranzuziehen. Das zeigt sich besonders deutlich anhand eines Effekts, den die Experten als "Sockeleffekt" bezeichnen. Dieser besagt Folgendes: Versicherer mit hohem Wachstum haben tendenziell niedrigere Reservequoten.

Der Effekt wird deutlich, wenn man bedenkt, dass auch hohe bereits feststehende Schäden in die Berechnung der Schadenreservequoten einfließen – besonders langwierige Lasten stellen hier zum Beispiel Kfz-Haftpflichtleistungen für dauerhafte Personenschäden da. Ältere Bestände sind somit automatisch mehr belastet als junge Bestände, führen aber auch zu einem höheren Schadenpolster.

Der Effekt wird zum Beispiel anschaulich an den Kennzahlen der Ergo Direkt. Die Ergo Direkt hat in 2022 die höchste Schadenreservequote der Branche: 483,75 Prozent. Zugleich hat die Ergo Direkt die zweithöchsten Schadenreserven je Vertrag: 1.261,34 Euro. Schlechter sieht es allerdings bei der Zuwachsrate der verdienten Bruttobeiträge aus: hier liegt die Ergo Direkt an achtletzter Stelle der Branche, hat im Jahr durchschnittlich ein negatives Wachstum von 1,51 Prozent (Beiräge nehmen folglich pro Jahr um durchschnittlich 1,51 Prozent ab). Assekurata erklärt hierzu: „Sowohl die Schadenreserve pro Vertrag als auch die Schadenreservequote liegen (bei der Ergo Direkt) weit über dem Marktdurchschnitt. Dies lässt sich auf die Historie des Unternehmens zurückführen. In den 2010er Jahren verlor die Gesellschaft einen Großteil ihrer Beitragseinnahmen, sodass die Schadenreserven größtenteils für Verträge gebildet wurden, die 2022 gar nicht mehr im Bestand sind. Dies ist eine Erklärung für die hohe Reserveausstattung.“

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Auch die HUK-Töchter verdeutlichen den Sockeleffekt

Der Sockeleffekt wird auch anschaulich, wenn man die Kfz-Haftpflichttöchter des Marktführers betrachtet. So hat die HUK-Coburg VVaG die besten Schadenreservequote: 277,12 Prozent, womit sie 55,64 Prozentpunkte über dem Marktschnitt liegt. Jedoch: zugleich hat die HUK-Coburg VVaG das schlechteste Wachstum, nämlich durchschnittlich 1,69 Prozent im Jahr. Damit liegt sie 1,08 Prozentpunkte unter Marktschnitt. Die zweitbeste Schadenreservequote der Oberfranken hat die HUK-Coburg Allgemeine: 224,30 Prozent in 2022 (und damit immer noch knapp über dem Marktschnitt). Hier liegt das Wachstum aber höher: bei 5,87 Prozent. Das höchste Wachstum, zugleich aber die schlechteste Schadenreservequote hat der Direktversicherer der HUK: die HUK24 weist eine Schadenreservequote von 154,47 Prozent aus (und liegt damit 67,01 Prozentpunkte unter dem Marktschnitt); zugleich aber hat die HUK24 das beste Wachstum der HUK-Töchter vorzuweisen: 8,48 Prozent (und damit 5,71 Prozentpunkte über dem Marktschnitt).

Weitere Sondereffekte, die beachtet werden müssen

Doch auch weitere Sondereffekte müssen bei der Deutung von Kennzahlen wie der Schadenreservequote oder von Schadenreserven pro Vertrag beachtet werden. Dies trifft zum einen auf das Geschäftsmodell von Konzernen und Konzerntöchtern zu. Der Einfluss des Geschäftsmodells auf Kennzahlen ist aus der Lebensversicherung bekannt – bei Solvenzquoten macht es einen Unterschied, ob man ein breites Produktportfolio abdeckt oder einen Schwerpunkt nur auf Risikogeschäft hat (Versicherungsbote berichtete). Ein ähnlicher Effekt lässt sich bei Kennzahlen zu Schadenreserven in der Kfz-Versicherung zeigen.

Der Einfluss des Geschäftsmodells auf Kennzahlen der Kravag-Töchter

Anschaulich wird der Effekt, wenn man Töchter eines Konzerns mit unterschiedlichem Geschäftsschwerpunkt vergleicht. So hat die Kravag-Allgemeine in 2022 durchschnittliche Schadenreserven in Höhe von 381,55 Euro je Vertrag. Der Wert liegt 167,69 Euro unter dem Branchenschnitt in 2022. Ganz anders aber die Schadenreserven pro Vertrag bei der Kravag-Logistik. Denn hier kann man pro Vertrag Schadenreserven von hohen 1.302,26 Euro ausweisen – so viel wie kein anderes Unternehmen der Branche.

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Der Unterschied freilich erklärt sich, wenn man die Geschäftsmodelle der Kravag-Töchter vergleicht. Denn während die Kravag-Allgemeine sich an die privaten Kfz-Kunden wendet, hat die Kravag-Logistik ihren Schwerpunkt im Bereich Logistik, Transport und Spedition. In diesem Bereich sind natürlich besonders hohe Schadenreserven je Vertrag notwendig. Schaut man nun aber auf die Schadenreservequote 2022, gleichen sich die Kennzahlen wieder an: die Schadenreservequote der Kravag-Allgemeine liegt bei 157,59 Prozent in 2022; die Schadenreservequote der Kravag-Logistik ist mit 174,60 Prozent nur unwesentlich höher.

Hohe Volatilität bei kleinen Beständen

Zu beachten ist auch, dass kleine Bestände zu einer hohen Volatilität bei Kennzahlen führen – und demnach zu Ausreißern bei den Werten. Als Beispiel kann die Rhion genannt werden – in 2022 war die Rhion Versicherung der viertkleinste Kfz-Haftpflichtversicherer. Freilich bedeutet dieser kleine Bestand auch Geschäftsrisiken, wie die Abgabe bestimmter Geschäftsbereiche in 2024 durch Rhion zeigt (Versicherungsbote berichtete). Aber auch positive Ausreißer bei Kennzahlen nach oben können durch den kleinen Bestand bedingt sein – als Beispiel nennt Assekurata die Kennzahlen der Condor Allgemeine. Hier führt ein vergleichsweise kleiner Bestand zu hohen Wachstumsraten, wenn neue Verträge in relativ höherer Zahl und damit neue Beiträge dazu kommen. So weist die Condor Allgemeine die beste Zuwachsrate sowohl bei Beiträgen aus (hohe 19,28 Prozent) als auch bei Verträgen (hier sogar 19,53 Prozent). Anders, als der Sockeleffekt nahelegen würde, sind hier aber auch die Schadenreservequote (mit 243,74 Prozent) und sind Schadenreserven pro Vertrag (mit 606,74 Euro) überdurchschnittlich. Eine beobachtete Tendenz bei Kennzahlen wie der Sockeleffekt kann demnach vieles, aber nicht alles erklären. Die Pressemitteilung von Assekurata ist auf der Webseite der Kölner Experten verfügbar.

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