In der Versicherungswirtschaft haben sich Arbeitnehmervertreter viele Mitspracherechte erkämpft. Das ist besonders in Zeiten radikaler Konzernumbauten wichtig, da es die Mitarbeiter vor betriebsbedingten oder gar willkürlichen Kündigungen schützt. Doch manchmal können diese Auseinandersetzungen auch extreme Formen annehmen, wie die aktuellen Zustände bei Deutschlands größtem Versicherer, der Allianz, zeigen. Ein aktueller Bericht von „Focus Online“ deutet darauf hin, dass sich der Betriebsrat der Allianz Re und der Konzernvorstand in einem erbitterten Kleinkrieg befinden.

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Die Spannungen zwischen den Arbeitnehmervertretern des Rückversicherers und dem Konzernvorstand sind nicht neu. Bereits im April 2023 scheiterte eine einstweilige Verfügung des Betriebsrats gegen Konzernchef Oliver Bäte vor dem Arbeitsgericht München. Anlass war der Versuch des Betriebsrats, strengere Regeln fürs Homeoffice zu verhindern. Während der Corona-Pandemie hatten bis zu 90 Prozent der Beschäftigten von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, freiwillig im Homeoffice zu arbeiten. Nun sollten sie wieder häufiger ins Büro zurückkehren, wenn auch mit weiterhin großzügigen Regelungen. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ äußerte die Vorsitzende Richterin damals den Verdacht, dass es bei dem Streit um mehr gehe als nur um die Homeoffice-Regelung. Es werde verbittert über Kleinigkeiten gestritten. Eine Machtprobe? Versuche, einen Kompromiss zu finden, scheiterten – beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld.

97 Prozesse vor Arbeitsgerichten

Ein aktueller Artikel von focus.de beleuchtet nun das Ausmaß des Streits. Demnach sind aktuell 97 Prozesse vor Arbeitsgerichten anhängig, in denen sich Arbeitnehmervertreter und Arbeitgeber bei der Allianz gegenüberstehen. Die Prozesskosten sollen sich bereits auf einen einstelligen Millionenbetrag summieren.

Der Artikel zitiert Franziska Lorenz, die Personalchefin beim Allianz-Rückversicherer, die feststellt: „Anders als in anderen Gesellschaften der Allianz-Gruppe werden bei der Allianz Reinsurance zahlreiche Fragestellungen vor Einigungsstellen oder Gerichten diskutiert, und es sind derzeit eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren anhängig. Die ganz überwiegende Mehrheit davon wurde vom Betriebsrat der Allianz Re angestrengt.“ Der eine oder andere Top-Manager oder Betriebsrat im von Oliver Bäte geführten Konzern mache derzeit fast nichts anderes als vor Gericht die Argumente auszutauschen, heißt es in dem Artikel.

Die Konzernmutter Allianz SE wollte sich zu den laufenden Streitigkeiten nicht äußern, berichtet focus.de. Allerdings zitiert der Bericht die Betriebsratsvorsitzende Beate Höffken, die betont, man sei „zu konstruktiven Verhandlungen mit allen Beteiligten bereit“, um die Interessen der Mitarbeitenden der Allianz SE Holding bestmöglich zu vertreten.

Oft gehe es um komplexe Konflikte, heißt es weiter im Bericht, und nicht immer werde dabei mit fairen Mitteln gekämpft. So habe der Betriebsrat der Allianz Re Flugblätter verteilt, die Zitate von Oliver Bäte und Vorständin Renate Wagner enthielten und suggerierten, dass Männer und Frauen im Konzern unterschiedlich bezahlt würden. Allerdings seien diese Zitate aus dem Zusammenhang gerissen worden. Die Allianz ließ die Verbreitung der Flugblätter juristisch unterbinden, und zwei einstweilige Verfügungen des Betriebsrats gegen das Verbot scheiterten.

Bei den Auseinandersetzungen gehe es auch um Machtfragen. Wiederholt gebe es Überlegungen, die Allianz SE und Allianz Re betrieblich zusammenzulegen. Dies könnte bedeuten, dass der Betriebsrat der Allianz Re seine Eigenständigkeit sowie Macht und Mitspracherecht verlieren würde.