Wie stark beeinflussen die Ergebnisse in den einzelnen Dimensionen die Marktstellung und Wettbewerbsfähigkeit der Versicherer?

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Jörg Forthmann: Die Reputation wird in fünf Dimensionen gebildet: Arbeitgeber, Management, wirtschaftliche Stärke, Produkte & Services sowie Nachhaltigkeit. Der Gesamteindruck erzeugt die Reputation in den Köpfen der Zielgruppen. Deshalb brauchen Versicherungen in allen fünf Dimensionen eine grundsätzlich positive Wahrnehmung. Schlechte Bewertungen und Skandale in einer Reputationsdimension trüben die Gesamtreputation ein. Gleichwohl sollten Assekuranzunternehmen klug Schwerpunkte in ihrem Reputationsprofil setzen und eine Unique Selling Proposition (USP) aufbauen, also eine unverwechselbare Marktstellung, die die Versicherung vom Wettbewerb positiv abhebt.

Haben Sie festgestellt, dass Versicherer, die in einer Dimension stark abschneiden, in anderen ebenfalls überdurchschnittlich performen, oder gibt es Fälle, in denen die Ergebnisse stark divergieren?

Die Wahrnehmung in den fünf Reputationsdimensionen korreliert stark. Das hängt damit zusammen, dass zum Beispiel ein Kunde, der eine Versicherung mit ihren Produkten & Services positiv wahrnimmt, gleichzeitig vermutet, dass die Versicherung wohl auch wirtschaftlich stark ist. Das ist allerdings ein zweischneidiges Schwert: Das gilt sowohl im Positiven als auch im Negativen, wobei eine Negativwahrnehmung etwa 10- bis 20-mal so viel Gewicht hat wie eine positive Wahrnehmung. Also: Vorsicht vor schlechter Berichterstattung!

Basierend auf den aktuellen Ergebnissen, welche Trends sehen Sie für die zukünftige Entwicklung in den verschiedenen Bereichen?

Für Versicherungsunternehmen sind die Dimensionen Produkt & Services sowie die wirtschaftliche Stärke die wichtigsten Reputationsdimensionen, weil sie für die Kunden sehr wichtig sind. Daneben wächst die Bedeutung der Nachhaltigkeit, allerdings eher für eine Minderheit – auch wenn das gerne anders vermutet wird. Mittel- und langfristig wird ganz sicher die Arbeitgeber-Reputation sehr bedeutsam, die aktuell sträflich vernachlässigt wird. Denn schon im nächsten Aufschwung kann es bereits heißen: Wer die Mitarbeiter nicht hat, kann keine Versicherung verkaufen.

Welche Bereiche könnten für Versicherer künftig entscheidend sein?

Versicherungen werden technologisch stark aufrüsten, um bei hereinbrechendem Fachkräftemangel bei gleichzeitigem Effizienzdruck am Markt bestehen zu können. Das hat erst einmal wenig mit Reputation zu tun. Doch die neuen Technologien verändern Produkte, Prozesse und Services – und damit die Außenwirkung der Versicherung, insbesondere im Kontakt mit Neu- und Bestandskunden. Wer es hier nicht schafft, nicht nur Akzeptanz zu schaffen, sondern spürbaren Mehrwert aufzubauen, wird an Marktanteilen verlieren. Mahnendes Beispiel sind hier Telefon-Hotlines, bei denen die Kunden genötigt werden, mit ihrer Telefontastatur auf eine ganze Reihe von Fragen zu antworten – bevor ihnen endlich geholfen wird. Derartige Technologieerfahrungen sind reputationsschädigend und werden es in der Zukunft noch viel mehr. Ich warte auf die erste Versicherung, die Technologie offensiv nutzt, um Reputationsvorteile aufzubauen.

Inwieweit spiegeln die Bewertungen in der Kategorie "Produkt & Service" die tatsächliche Kundenzufriedenheit wider, und wie wurden qualitative Unterschiede zwischen den Versicherern in dieser Dimension ausgemacht?

Um die Reputationsdimension „Produkt & Service“ zu bewerten, wurden alle Aussagen zu den Versicherungen in diesem Bereich gesammelt. Also über Qualität, Preis-Leistung, Fairness, Kulanz, Zufriedenheit, Betreuung usw. Die Kundenzufriedenheit ist also ein Teil dieser Reputationsdimension – wenngleich ein sehr wichtiger. Die Qualität wird über die Tonalität der Aussagen gemessen, ob sie sich also positiv, neutral oder negativ äußern. Durch die Auswertung aller Aussagen zu einer Versicherung in Nachrichten- und sozialen Medien ergibt sich ein sehr detailliertes Leistungsprofil im Benchmark mit dem Wettbewerb.

Die wirtschaftliche Performance ist ein wichtiger Indikator für die langfristige Stabilität eines Versicherers. Wie erklären Sie die Schwankungen in der Wahrnehmung der Wirtschaftlichkeit und welche Faktoren haben diese maßgeblich beeinflusst?

Die Ursachen für die wahrgenommene wirtschaftliche Performance von Versicherungen sind sehr unterschiedlich. Zuerst ist es die eigene Leistung, insbesondere im Anlagemanagement und in der Tarifkalkulation. Darüber hinaus gibt es jedoch noch eine Vielzahl weiterer Ursachen, die extern sind wie die Zinsentwicklung, die Entwicklung der Aktienmärkte, regulatorische Vorschriften oder politische Einflüsse. Insofern dürfte als Dicke-Daumen-Regel gelten, dass im Schnitt aller Versicherungen etwa ein Drittel der Wahrnehmung in der wirtschaftlichen Performance auf eigene Aktivitäten zurückgeht und zwei Drittel extern sind. Das ist für das Reputationsmanagement betrüblich, denn so wird eine Versicherung schnell zum Getriebenen der allgemeinen öffentlichen Diskussion. Deshalb sollten Versicherungen Wert darauf legen, ihre eigene Wahrnehmung möglichst stark mit eigenen Themen voranzutreiben.

Nachhaltigkeit ist ein zunehmend wichtiges Thema. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie bei den Versicherern beobachtet, die zu den hohen oder niedrigen Bewertungen in dieser Dimension führten?

Nachhaltigkeit kann für Versicherungen sehr unterschiedliche Ausprägungen haben. In Form von nachhaltigen Produkten, nachhaltigen Finanzanlagen, nachhaltigem Wirken im Unternehmen oder aber Nachhaltigkeit im Sinne von gesellschaftlichem Engagement. Bei Produkten, Finanzanlagen und im eigenen Wirken ist die Nachhaltigkeit auf dem Weg, ein Hygienefaktor zu werden, also eine Selbstverständlichkeit. Wenn eine Assekuranz Versicherungsgelder in schmutzige Industrien oder in Unternehmen mit Kinderarbeit investiert, erlebt sie eine Reputationskrise. Tut sie es nicht, hat es fast keine positive Auswirkung - weil eine selbstverständliche Erwartung erfüllt wird. Interessanter ist das gesellschaftliche Engagement. Hier liegt der Schlüssel für die „Licence to operate“ also für die Zustimmung der Gesellschaft, dass eine Versicherung Gewinne machen darf. Profit wird gesellschaftlich akzeptiert, wenn die Gesellschaft im Gegenzug etwas dafür erhält. Wer diese gesellschaftliche Gegenleistung nicht erbringt, verliert die gesellschaftliche Akzeptanz – und büßt Geschäft ein. Diese Entwicklung wird in der nächsten Zeit zunehmen, insbesondere weil sich andere soziale Träger wie Staat und Kirche immer weiter zurückziehen. Schon heute wird den Unternehmen von den Menschen die größte Fähigkeit zugesprochen, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Dieser positive Glaube an Unternehmen schlägt demnächst in die Erwartung um, das bitte auch zu tun.

Wie gut können Versicherer langfristig von ihren Investitionen in Nachhaltigkeit profitieren, und spiegelt sich dies bereits in den Reputationswerten wider?

Investitionen in Nachhaltigkeit werden eine notwendige Voraussetzung, um Finanz- und Versicherungsprodukte verkaufen zu können. Allerdings wird es nur wenigen Versicherungen gelingen, daraus eine Marktposition zu entwickeln, die ein durch Nachhaltigkeit getriebenes Geschäft ermöglicht.

Die Management-Performance beeinflusst stark die Gesamtwahrnehmung. Wie korrelieren die Managementbewertungen mit den finanziellen Erfolgen der Versicherer, und welche Managementpraktiken wurden besonders positiv oder negativ bewertet?

Die Management-Performance lebt von der Personifizierung des Unternehmens durch sein Topmanagement. Damit ist es eine außerordentlich spannende Reputationsdimension, die durch die Fähigkeit einzelner Führungskräfte wesentlich geprägt wird, sympathisch, empathisch, kompetent, führungsstark und mit klarer Orientierung das Unternehmen zu leiten. Gleichzeitig ist die Management-Reputation eine Bringschuld von Vorständen. Ihr Unternehmen sollte von der Reputation des Topmanagements profitieren – und nicht das Unternehmen die Reputation des Topmanagements alimentieren.

Wie beeinflussen Managementwechsel kurzfristig und langfristig die Wahrnehmung in der Management-Dimension?

Managementwechsel sind Momente großer Aufmerksamkeit für Versicherungen – und Kristallisationspunkte für Diskussion, ob es der „Alte“ wirklich gut gemacht hat und ob der „Neue“ wirklich liefert. Gut gemacht ist ein Managementwechsel kommunikativ weit im Voraus geplant und durchorchestriert – um einen möglichst positiven Eindruck des neuen Managements aufzubauen. Ist diese positive Wahrnehmung erst einmal geschaffen, kann sie in der Krise durchaus helfen, weil ein Managementproblem dann häufig als „Ausrutscher“ gesehen wird. Gelingt es unterdessen nicht, eine sehr gute Managementreputation aufzubauen, wird der neuen Führungskraft jede Kleinigkeit negativ angelastet. Vor diesem Hintergrund sollte man meinen, dass neue Vorstandsvorsitzende ihren Start generalstabsmäßig kommunikativ planen – das ist eine Ausnahme.

In der Kategorie "Arbeitgeber" gibt es deutliche Unterschiede. Welche Faktoren haben die Wahrnehmung der Arbeitgeberqualität am stärksten beeinflusst?

Die Arbeitgeberwahrnehmung von Versicherungen wird aktuell stark durch Stimmen von derzeitigen und ehemaligen Mitarbeitenden geprägt. Damit sind Assekuranzgesellschaften tendenziell Getriebene in der Arbeitgeber-Reputation – was bedauerlich ist. Allerdings ist es auch herausfordernd, als guter Arbeitgeber positiv in der Breite sichtbar zu werden. Dies bedarf einer klugen Arbeitgeberpositionierung, die aus dem klassischen Rahmen herausfällt – und Mut erfordert. Den sehen wir bislang recht selten.

Studie: Die vollständigen Ergebnisse "Das große Reputationsranking von Deutschlands Versicherungen 2024" sind in kostenpflichtigen, individuell aufbereiteten Studienberichten erhältlich. Die Reputationswerte werden detailliert vorgestellt, ebenso, wie die Sichtbarkeit, Tonalität und Medienquellen der einzelnen Unternehmen. Die Studienergebnisse sind durchgehend kommentiert. Für jeden Auftraggeber werden ein individuelles Summary und abgestimmte Handlungsempfehlungen erstellt. Eine Präsentation der Ergebnisse ist inbegriffen.