Die Gefahr der Arbeitnehmerstellung eigentlicher freier Handelsvertreter
Der Vorwurf der Scheinselbständigkeit bei Handelsvertretern entwickelt sich zunehmend zu einem Problem. Unternehmen und Auftragnehmer laufen Gefahr hoher Nachzahlungen. Sie müssen daher sicherstellen, dass die Bedingungen der Selbstständigkeit tatsächlich erfüllt sind.
In der modernen Arbeitswelt gibt es eine Vielzahl von Vertragsmodellen, die Unternehmen und ihre Mitarbeiter nutzen können, um eine Zusammenarbeit zu gestalten. Eines dieser Modelle ist der Einsatz von Handelsvertretern gemäß § 84 HGB. Diese Handelsvertreter arbeiten in der Regel auf Provisionsbasis und gelten als selbstständig. Allerdings birgt dieses Modell die Gefahr, dass diese vermeintlich freien Handelsvertreter tatsächlich als Arbeitnehmer eingestuft werden könnten.
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„Dies führt zum Begriff der Scheinselbständigkeit. Scheinselbständigkeit bezeichnet eine Situation, in der eine Person offiziell als selbstständiger Unternehmer auftritt, tatsächlich aber die Merkmale eines Arbeitnehmers erfüllt. Die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung ist oft schwierig und hängt von verschiedenen Kriterien ab“, sagt Dr. Tim Banerjee, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei für Vertriebs- und Finanzdienstleistungsrecht Banerjee & Kollegen aus Mönchengladbach.
Zu diesen Kriterien gehören unter anderem die Weisungsgebundenheit, die Eingliederung in den Betrieb und unternehmerisches Risiko. Ein wesentlicher Aspekt ist, ob der vermeintlich Selbstständige in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden ist und dessen Weisungen unterliegt. Selbstständige arbeiten in der Regel eigenverantwortlich und haben keine feste Integration in die betriebliche Organisation des Auftraggebers. Selbstständige tragen ihr eigenes wirtschaftliches Risiko, während Arbeitnehmer durch das Unternehmen abgesichert sind.
Ein anschauliches Beispiel für die Problematik der Scheinselbständigkeit liefert das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. März 2021 (Aktenzeichen S 18 BA 93/17). In diesem Verfahren wurde ein Handelsvertreter der Deutschen Bank als Arbeitnehmer eingestuft. Die Deutsche Bank beschäftigt Finanzberater, die laut Vertrag als Handelsvertreter gemäß § 84 HGB tätig sind und ausschließlich von Provisionen leben. „Das Sozialgericht hatte zu entscheiden, ob die Kriterien erfüllt sind, diesen Finanzberater als Arbeitnehmer einzustufen. Entscheidend war, inwieweit der Mitarbeiter in die Struktur der Deutschen Bank eingebunden war. Der Berater war in eine Hierarchie eingebunden, die vom Regionalleiter über den Gebietsleiter und den Leiter der Finanzagentur bis hin zum selbstständigen Finanzberater reichte. Das Gericht sah hierin eine Weisungsgebundenheit, die die Arbeitnehmereigenschaft begründete“, kommentiert Dr. Tim Banerjee.
Zudem stellte das Gericht fest, dass sich die Finanzberater einen eigenen Standort außerhalb der Finanzagentur hätten genehmigen lassen müssen, inklusive der Ausstattung und Ausgestaltung der Räumlichkeiten. Diese Vorgabe wurde als weiteres Indiz für die Weisungsgebundenheit und somit für die Arbeitnehmereigenschaft bewertet. Das Urteil fasst dies wie folgt zusammen: „Vorgaben des Regionalleiters werden sodann durch den jeweiligen Gebietsleiter an seine Agenturleiter weitergegeben, die dies dann wiederum in ihren Agenturen an die dort angesiedelten Vermittler weitergeben.“
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Das Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht (Az. L 8 BA 36/21) ist noch nicht entschieden. Sollte sich diese Entscheidung bestätigen, wäre die Deutsche Bank für diesen Mitarbeiter zur Zahlung von Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen beitragspflichtig. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt verdeutlicht die Risiken, die mit der Scheinselbständigkeit verbunden sind. Unternehmen müssen bei der Beschäftigung von vermeintlich freien Handelsvertretern sicherstellen, dass die Bedingungen der Selbstständigkeit tatsächlich erfüllt sind. „Andernfalls laufen sie Gefahr, für diese Mitarbeiter als Arbeitgeber eingestuft zu werden, was erhebliche finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann. Und auch Handelsvertreter müssen in diesen Fällen mit enormen Nachzahlungen rechnen. Es ist daher ratsam, dass sowohl Unternehmen als auch Handelsvertreter sich umfassend über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren und gegebenenfalls rechtlichen Rat einholen, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten und die Risiken der Scheinselbständigkeit zu vermeiden“, betont der Experte für Finanzdienstleistungs- und Handelsvertreterrecht.