Viele etablierte Unternehmen positionieren sich zurzeit neu im Markt. Entsprechend häufig erwerben sie zum Beispiel Start-ups und Nischenanbieter, um ihre Kompetenz zu erweitern. Oder sie schlucken Mitbewerber, um ihre Marktposition zu stärken.
„Etwa die Hälfte aller Firmenübernahmen scheitern.“ Diese Faustformel gilt seit Jahrzehnten. Bei jeder zweiten Übernahme werden folglich die damit verbundenen Ziele nicht oder nur teilweise erreicht. Deshalb hier einige Tipps, wie die Akquisition und Integration von Unternehmen in eine bestehende Organisation gelingt – also die Ziele erreicht und die erhofften Werte generiert werden.

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1. Die Akquisitionsziele und -strategie definieren

Mit der Übernahme eines Unternehmens sind stets strategische bzw. unternehmerische Ziele verbunden. Zum Beispiel das übernehmende Unternehmen möchte seine Umsätze oder Erträge steigern. Oder es möchte seine Kompetenz in einem gewissen Bereich ausbauen. Oder es möchte sich neue Marktsegmente erschließen. Diese Akquisitionsziele sind aus der Unternehmensstrategie abgeleitet. Deshalb ist eine in sich schlüssige Unternehmensstrategie die Grundlage für jede erfolgreiche Akquisition und Integration von Unternehmen.
Meist lassen sich die in der Unternehmensstrategie formulierten Ziele zumindest theoretisch auf mehreren Wegen erreichen – zum Beispiel durch ein entsprechendes Wachstum des Unternehmens selbst oder durch den Erwerb eines anderen Betriebs. Zeigt die Analyse, dass die Akquisition eines anderen Unternehmens der erfolgversprechendste, weil zum Beispiel schnellste Weg ist, die Unternehmensziele zu erreichen, dann ergeben sich hieraus auch der Nutzen und die Zielwerte der Akquisition.

2. Die potenziellen Übernahmekandidaten ermitteln

Aus der Unternehmensstrategie und den Akquisitionszielen gilt es, die Kriterien abzuleiten, die ein Unternehmen erfüllen muss, damit es ein potenzieller Übernahmekandidat ist. Zum Beispiel: Es verstärkt unsere Kompetenz im Bereich Digitalisierung und Automatisierung sowie Künstliche Intelligenz. Oder es eröffnet uns den Zugang zu neuen Märkten und Kundengruppen. Oder es ermöglicht uns, uns künftig als Systemlieferant im Markt zu profilieren.
Sind mehrere sogenannte Targets, also Unternehmen, die für eine Übernahme in Betracht kommen, identifiziert, gilt es diese anhand der Akquisitionskriterien und -ziele zu bewerten. Danach kann der Deal angestrebt werden, mit dem das Unternehmen am ehesten seine Ziele erreicht.

3. Ein Akquise- und Integrationsteam bilden

Die Akquisition und Integration eines Unternehmens erfordern ein schlagkräftiges M&A- und PMI-Team (also Mergers & Acquisitions- und Post Merger-Integration-Team). In ihm sollten außer M&A- und PMI-Experten auch Führungskräfte der Bereiche vertreten sein, die von der (geplanten) Übernahme am stärksten betroffen sind oder in denen hierdurch viel Mehrarbeit entsteht. Also zum Beispiel der Vertriebsleiter, wenn das Übernahmeziel lautet: Das Unternehmen möchte sich neue Vertriebskanäle und Absatzmärkte erschließen. Oder der Leiter IT, wenn die Harmonisierung der IT-Systeme eine zentrale Herausforderung nach der Übernahme ist.
Im Akquise- und Integrationsteam sollten auch Vertreter des Übernahmekandidaten vertreten sein, denn sie kennen ihr Unternehmen am besten. Das hilft unter anderem mögliche Widerstände in dessen Belegschaft zu minimieren. Dem Team sollten auch Personen angehören, die Erfahrung mit dem Gestalten von Change- und Transformationsprozessen haben. Dies können externe PMI-Experten oder firmeninterne Personal- und Organisationsentwickler sein.

4. Das operative Modell der Integration klären

Damit die Integration gelingt, ist es wichtig zu wissen, wie die beiden Unternehmen künftig zusammenarbeiten sollen. Sollen sie zum Beispiel zu einer Einheit verschmelzen oder auch künftig weitgehend autonom operieren? Die Antwort auf diese Frage hängt von den Übernahmezielen ab. Angenommen das Akquiseziel lautet: Das Unternehmen soll nach der Übernahme kostengünstiger produzieren. Dann empfiehlt es sich meist, das übernommene Unternehmen weitgehend in das übernehmende zu integrieren, um die angestrebten Synergieeffekte zu erzielen. Anders ist es, wenn ein Unternehmen zum Beispiel – wie zurzeit oft – ein Start-up erwirbt, das aufgrund seiner Struktur und Kultur sehr schnell und innovativ beim Entwickeln neuer Problemlösungen ist. Dann ist es meist zielführender, wenn das erworbene Unternehmen auch künftig weitgehend als eigenständige Einheit agiert, damit nicht das zerstört wird, was den Erwerb des Unternehmens gerade so attraktiv macht.
Damit verbunden ist die Frage: Was geschieht mit dem Management des übernommenen Unternehmens? Auch die Antwort hierauf hängt von den Akquisezielen ab. Angenommen ein Unternehmen übernimmt einen Mitbewerber primär, um seinen Marktanteil zu erhöhen. Dann ist es meist ratsam, die Verantwortlichen im Vertrieb mittelfristig auszutauschen. Denn aufgrund der bisherigen Konkurrenzsituation äußerten sich diese bisher gegenüber Kunden und Mitarbeitern oft despektierlich über das akquirierende Unternehmen und seine Leistungen. Entsprechend unglaubwürdig ist es, wenn sie dieses fortan in höchsten Tönen loben.
Anders ist es, wenn ein Unternehmen ein anderes erwirbt, um beispielsweise seine Kompetenz beim Entwickeln digitaler Problemlösungen auszubauen. Dann ist es meist besser, das Management (und die anderen Know-how-Träger) nicht auszutauschen, damit weder Kompetenz noch Erfahrung verloren gehen.

5. Einen Akquise- und Integrationsplan erstellen

Mit dem M&A- und PMI-Team sollte ein Akquise- und Integrationsplan erstellt werden, der auch die Etappenziele für die angedachte Übernahme eines Unternehmens sowie dessen anschließende Integration enthält. Diese Etappenziele sollten mit Key Performance Indicators (KPIs), also Kennzahlen hinterlegt sein, die den Grad der Zielerreichung messbar machen. In dem Plan sollten neben den Fristen, auch die Maßnahmen definiert sein, die es zu ergreifen gilt, um diese Ziele zu erreichen. Außerdem sollten in ihm die Verantwortlichen hierfür benannt sein.

6. Einen Kommunikationsplan erstellen

Der Erfolg von M&A- und PMI-Projekten hängt stark davon ab, inwieweit sich die betroffenen Mitarbeiter mit dem Vorhaben identifizieren und sich für dieses engagieren. Das erfordert eine entsprechende zielorientierte Kommunikation. Sie hilft, überflüssige Widerstände zu vermeiden und erzeugt die nötige Aufbruchsstimmung, also Motivation. Hierfür muss neben dem Timing auch der Inhalt der Kommunikation stimmen.
Deshalb sollte möglichst früh im Akquisitionsprozess ein Kommunikationsplan erstellt werden, der unter anderem am Tag, an dem die Übernahme publik wird, und am Tag, an dem sie Realität wird, die richtigen Akzente setzt. Inhabergeführte Unternehmen haben beim Gestalten dieser Kommunikation mehr Freiräume als börsennotierte Unternehmen, die Veröffentlichungspflichten unterliegen.
Der Kommunikationsplan sollte auch Maßnahmen enthalten, um die Mitarbeiter zeitnah über die Fortschritte im Integrationsprozess zu informieren. Das ist wichtig, weil solche Change-, also Veränderungsprozesse meist langwierig sind. Deshalb entsteht bei den Betroffenen oft das Gefühl „Es bewegt sich nichts“, weshalb ihre Veränderungsenergie erlahmt. Folglich sollten auch kleine Fortschritte und Erfolge regelmäßig kommuniziert und gefeiert werden.

7. Die nötigen Ressourcen bereitstellen

Die praktische Integrationsarbeit erweist sich in der Praxis meist als umfangreicher als im Vorfeld gedacht – zum Beispiel, weil sich beim Harmonisieren der IT-Landschaften und Synchronisieren der Prozesse Detail-Probleme ergeben, die Mehrarbeit erfordern. Deshalb ist es wichtig, die für die Integration erforderliche Zeit und Manpower möglichst realistisch zu planen, um Frust bei den Mitarbeitern zu vermeiden – aber auch damit das Tagesgeschäft weitgehend ungestört weiterläuft und keine unnötigen Irritationen bei Kunden entstehen.

8. Auf Unvorhergesehenes flexibel reagieren

M&A- und PMI-Prozesse sind komplexe Changeprozesse, bei denen man nicht alles vorhersehen und planen kann. Deshalb muss der Akquisitions- und Integrationsplan im Prozessverlauf immer wieder neu justiert werden – zum Beispiel, weil sich Aufgaben als zeitaufwändiger als gedacht erweisen. Deshalb sollte das Akquise- und Integrationsteam bei seinen Treffen regelmäßig checken, inwieweit die Annahmen, die dem Plan zugrunde liegen, sich als zutreffend erwiesen haben. Bei Bedarf sollten die erforderlichen Änderungen bei der Maßnahmenplanung erfolgen – möglichst ohne Schuldzuweisung. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Probleme künftig nicht mehr offen angesprochen werden.

9. Ein wertschöpfendes Anreizsystem etablieren

Häufig setzen Unternehmen in M&A- und PMI-Projekten die falschen Anreize. Dies führt nicht selten dazu, dass die Beteiligten konkurrierende Interessen haben und sich widersprechende Ziele verfolgen. Hieran scheitern viele Akquise- und Integrationsprojekte.
Bei den Leistungsanreizen sollte zum Beispiel der Fokus nicht auf dem Abschluss des Deals liegen. Er sollte vielmehr darauf liegen, dass der PMI-Prozess gelingt und die Ziele der Akquisition – wie zum Beispiel eine schnellere Entwicklung marktreifer Produkte oder eine Erhöhung des Marktanteils – erreicht werden. Denn nur dann werden die erhofften Werte generiert.

10. Aus dem Projekt für die Zukunft lernen

Bei jedem M&A- und PMI-Projekt gibt es Punkte, bei dem die Verantwortlichen im Rückblick sagen: „Das hätten wir anders eventuell besser bzw. effektiver machen können“. Entsprechend wichtig ist es, solche Change- und Transformationsprojekte rückblickend zu evaluieren, um daraus für die Zukunft zu lernen. Denn in der von rascher Veränderung geprägten VUKA-Welt stehen Unternehmen immer häufiger vor der Herausforderung, sich neu im Markt zu positionieren und neue Kompetenzen aufzubauen. Deshalb werden sie auch künftig sich immer wieder von gewissen Geschäftsfeldern verabschieden und sich neue erschließen müssen, was nicht selten auch ein M&A- und PMI-Projekt erfordert.

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Über den Autor:
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.