Bei den gesetzlichen Krankenversicherern klafft ein großes Finanzloch: auch als Folge einer Kostenexplosion, die in dieser Form nicht erwartet wurde. Allein im ersten Quartal 2024 stiegen die Leistungsausgaben laut Bundesgesundheitsministerium um 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was zu Mehrausgaben von 5,32 Milliarden Euro führte. Der Kostenanstieg betraf alle Bereiche. Zum Beispiel mussten für Behandlungen im Krankenhaus 8,5 Prozent bzw. 1,94 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden, für Arzneimittel sogar 9,1 Prozent bzw. 1,12 Milliarden Euro. Während der GKV-Spitzenverband ein Defizit von 3,5 bis 7 Milliarden Euro für dieses Jahr prognostiziert, rechnet der Software-Entwickler „Bitmarck“, der unter anderem die Elektronische Patientenakte (ePA) betreut, sogar mit einem Finanzloch von bis zu 32 Milliarden Euro.

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Zusätzlich belasten kostspielige Reformvorhaben der Bundesregierung die Krankenkassen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant eine umfassende Krankenhausreform, die langfristig Einsparungen bringen soll. Allerdings erfordert der Umbau der Kliniklandschaft zunächst hohe Investitionen: Bis zu 50 Milliarden Euro könnten dafür nötig sein. Diese Ausgaben werden die gesetzlich Versicherten mittragen müssen. „Jetzt ist die Phase, in der wir Geld in die Hand nehmen müssen, auch das der Beitragszahler“, erklärte Lauterbach dem „Stern“.

Beitragsanhebungen - und Fusionen?

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, in welchem Umfang die gesetzlichen Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge anheben müssen. Laut GKV-Spitzenverband wäre eine Erhöhung um 0,6 Prozentpunkte erforderlich, um das Finanzloch zu schließen. Günter Neubauer vom Münchner Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) hält dies jedoch für möglicherweise unzureichend. Gegenüber der „Bild“ äußerte er, dass Erhöhungen von bis zu einem Prozentpunkt zum Jahreswechsel 2024 denkbar seien. Zudem schloss Neubauer nicht aus, dass es 2025 zu Fusionen von Krankenkassen aufgrund wirtschaftlicher Probleme kommen könnte. Mit anderen Worten: Krankenkassen müssen mit einem anderen Anbieter zusammengehen, da sie andernfalls pleite wären.

Die „BILD“ hat berechnet, welche durchschnittlichen Mehrkosten auf gesetzlich Krankenversicherte zukommen würden, wenn der Zusatzbeitrag um 0,6 Prozentpunkte erhöht wird. Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttogehalt von 3.000 Euro müssten dann neun Euro mehr pro Monat für die Krankenkasse zahlen, bei 4.000 Euro brutto wären es zwölf Euro, und bei 5.000 Euro brutto lägen die Mehrkosten bei 15 Euro. Sollte der Zusatzbeitrag sogar um einen Prozentpunkt steigen, würden die monatlichen Mehrkosten bei 3.000 Euro brutto 15 Euro und bei 5.000 Euro brutto 25 Euro im Monat betragen.

Finanzstärke-Check

Angesichts der angespannten finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenkassen stellt sich die Frage, wie stabil die einzelnen Anbieter tatsächlich dastehen und bei welchen Kassen möglicherweise bald Beitragserhöhungen drohen könnten. Um dies zu beurteilen, hat das Deutsche Finanz-Service-Institut (DFSI) in seiner Studie „GKV Finanzkraft 2024“ die Finanzdaten von 46 Krankenkassen ausgewertet.

Die Studie weist auf die schwierige Situation der Kassen hin, doch schon im Einleitungstext wird die Schwere des Problems verdeutlicht: Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem prognostiziert, dass bis 2027 etwa 50 Milliarden Euro über Zusatzbeiträge finanziert werden müssten. Dies würde einem Zusatzbeitrag von 2,5 Prozent entsprechen. Bereits im ersten Quartal 2024 verbuchten die 95 gesetzlichen Krankenkassen ein Defizit von insgesamt 776 Millionen Euro.

Für den Finanzstärke-Check untersuchte das Deutsche Finanz-Service-Institut (DFSI) die Finanzdaten von 46 Krankenkassen für das Jahr 2023. Dabei wurden verschiedene Kriterien wie Liquidität, Nettovermögen, Verwaltungskosten, Mitgliederentwicklung und Transparenz bewertet. Jede Kasse konnte in sechs Kategorien Punkte sammeln, die zu einem Gesamtscore von maximal 100 Punkten führten. Besonders wichtig war, wie gut die Kassen mit ihren verfügbaren Mitteln wirtschaften und ob sie ihre Finanzdaten öffentlich und vollständig zugänglich machen. Die Kassen mussten zudem ihre Mitgliederentwicklung der letzten Jahre offenlegen.

Die niedrigste Finanzstärke weist nach Interpretation des DSFI aktuell die Securvita aus Hamburg aus, eine Krankenkasse, die dafür bekannt ist, auch Naturheilverfahren zu erstatten. Sie erlangt 45,7 von 100 möglichen Punkten. Es folgt die Bergische Krankenkasse mit 53,4 Punkten sowie die ikk classic mit 54,7 Punkten.

Anbieter mit der schwächsten Finanzkraft nach der Studie "GKV Finanzkraft 2024" des DFSI (von 100 zu erreichenden Punkten).DFSI: GKV Finanzkraft 2024

Ein Blick auf die Branchengrößen: Die fünf mitgliederstärksten Krankenkassen in Deutschland im Jahr 2024 sind:

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  1. Der Techniker Krankenkasse (TK) mit über 11,6 Millionen Versicherten wird eine sehr gute Finanzkraft bescheinigt, sie erreicht 91,9 von 100 möglichen Punkten.
  2. Die BARMER mit etwa 8,5 Millionen Versicherten erreicht das Gesamturteil "gut" mit 73,1 Punkten.
  3. Die DAK Gesundheit mit rund 5,5 Millionen Versicherten erreicht ebenfalls das Gesamturteil "gut", schneidet mit 62,2 Punkten aber schlechter ab als die beiden erstgenannten Konkurrentinnen.
  4. Der AOK Bayern mit etwa 4,6 Millionen Versicherten wird ebenfalls eine "gute" Finanzkraft bescheinigt (69,3 Punkte)
  5. Die AOK Baden-Württemberg mit ebenfalls rund 4,6 Millionen Versicherten erreicht mit 72,5 Punkten ein "gut".