Wann die Krankenkasse eine OP wegen überschüssiger Haut übernehmen muss – und wann nicht
Ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts zeigt, dass Krankenkassen nicht für Operationen zur Entfernung überschüssiger Haut nach einem großen Gewichtsverlust aufkommen müssen, wenn kein Krankheitswert im Sinne des Sozialgesetzbuches (SGB V) nachgewiesen werden kann. Versicherungsbote stellt das Urteil vor.
- Wann die Krankenkasse eine OP wegen überschüssiger Haut übernehmen muss – und wann nicht
- Wie das Hessische Landessozialgericht urteilte
Nach vielen Jahren des Kampfs gegen ihr starkes Übergewicht entschloss sich eine Frau, geboren 1977, im Jahr 2016 zu einem entscheidenden Schritt: Sie ließ in der Türkei eine sogenannte Schlauchmagenoperation durchführen. Dieser Eingriff, der ihren Magen verkleinerte, führte dazu, dass sie ihr Gewicht von 118 kg auf 75 kg reduzieren konnte. Doch was zunächst ein großer gesundheitlicher Erfolg war, brachte neue Herausforderungen mit sich. Denn der massive Gewichtsverlust hinterließ schlaffe Hautpartien, besonders an den Oberschenkeln, Oberarmen, der Brust und der Bauchdecke. Diese überschüssige Haut führte nicht nur zu körperlichem Unwohlsein, sondern auch zu ernsthaften Beschwerden – wie Juckreiz, schmerzhaften Entzündungen und sogar blutenden Hautstellen in den Falten.
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Der Kampf um die Kostenübernahme: Ärzte rieten explizit zur Behandlung
Mit der Hoffnung, die Beschwerden zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern, stellte die Betroffene im März 2018 bei ihrer Krankenkasse den Antrag, die Kosten für Operationen zur Straffung dieser Hautpartien zu übernehmen. Ärzte bestätigten ihr, dass diese Eingriffe medizinisch notwendig seien, um die Hautreizungen dauerhaft zu beheben. Besonders die Straffung der Bauchdecke, wo die Haut sich in einer sogenannten Fettschürze gesammelt hatte, wurde als dringend empfohlen, um die wiederkehrenden Entzündungen zu verhindern.
Der Weg durch die Instanzen
Die Krankenkasse lehnte den Antrag jedoch ab. Sie berief sich auf Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), die zu dem Schluss kamen, dass die überschüssige Haut keinen Krankheitswert habe. Die Gutachten stellten fest, dass die Versicherte weder in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sei, noch schwere gesundheitliche Probleme vorlägen, die eine Operation notwendig machen würden.
Stattdessen wurde die Situation als überwiegend kosmetisches Problem eingestuft, das durch eine weitere Gewichtsabnahme verbessert werden könnte. Trotz dieser Ablehnung entschloss sich die Patientin, die Bauchdeckenstraffung im Mai 2018 auf eigene Kosten durchführen zu lassen – und zog anschließend vor das Sozialgericht Darmstadt, um die Kosten erstattet zu bekommen und die weiteren Operationen genehmigt zu bekommen.
Doch vor dem Sozialgericht scheiterte die Klägerin (Az.: S 13 KR 18/19). Das Gericht urteilte, dass die Entfernung der überschüssigen Haut keine notwendige medizinische Behandlung sei, da keine schwerwiegende Erkrankung nachgewiesen werden konnte. Entschlossen, ihre Rechte weiter zu verteidigen, legte die Klägerin Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ein (Az.: L 1 KR 247/22).
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Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
Auch vor dem Hessischen Landessozialgericht fand die Klägerin keine Unterstützung. Das Gericht prüfte die ärztlichen Atteste und die Gutachten des MDK und entschied, dass die Hautüberschüsse zwar belastend seien, aber nicht als behandlungsbedürftige Krankheit anerkannt werden könnten. Das Urteil veranschaulicht, wann eine solche Behandlung überschüssiger Haut durch die Krankenkasse übernommen werden muss und wann nicht.
Wie das Hessische Landessozialgericht urteilte
Warum aber urteilte das Landessozialgericht, dass die Krankenkasse die Kosten für die bereits durchgeführte Bauchdeckenstraffung sowie weitere geplante Operationen nicht übernehmen müsse? Folgendes wurde in den Urteilsgründen ausgeführt:
- „Die Hautfalten der Klägerin an sich hätten bereits keinen Krankheitswert im krankenversicherungsrechtlichen Sinne.“ – Das Gericht stellte klar, dass überschüssige Haut nach einem großen Gewichtsverlust nicht automatisch als Krankheit gilt. Auch wenn es verständlich sei, dass die Klägerin durch die Hautfalten erhebliche Unannehmlichkeiten habe, rechtfertige dies nicht die Einstufung als behandlungsbedürftige Erkrankung.
- „Eine durch die Hautfalten ausgelöste und durch eine Straffung der Hautfalten zu behandelnde dermatologische Erkrankung sei nicht nachgewiesen.“ – Das Gericht sah keinen Beweis dafür, dass die Hautprobleme so schwerwiegend seien, dass sie nur durch eine Operation gelöst werden könnten. Es betonte, dass keine dauerhafte, therapieresistente Hauterkrankung vorlag, die eine operative Behandlung notwendig mache.
Entstellung als Begründung für die Operation?
Ein weiterer wichtiger Punkt im Urteil war die Frage, ob die überschüssige Haut der Klägerin als Entstellung bewertet werden könne. Eine Entstellung liegt rechtlich gesehen dann vor, wenn körperliche Auffälligkeiten so stark sind, dass sie bei flüchtigen Begegnungen sofort auffallen und das soziale Leben beeinträchtigen. In diesem Fall stellte das Gericht jedoch fest: „Eine Entstellung ist der gutachterlichen Feststellung des MDK, der sich der Senat nach eigener Überzeugung […] anschließt, offensichtlich nicht gegeben.“ Das bedeutet, dass die Hautveränderungen nicht schwer genug waren, um als entstellend zu gelten.
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- „Für die Annahme einer Entstellung muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein.“ – Das Gericht erklärte, dass die betroffenen Hautpartien leicht durch Kleidung zu verdecken seien und keine sofortige Auffälligkeit bestünde. Daher könne keine Entstellung vorliegen, die eine Kostenübernahme rechtfertige.
- „Die hautstraffende Operation als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nach drastischem Gewichtsverlust […] kommt nur bei klarer medizinischer Indikation infolge von Funktionsstörungen oder deutlicher Entstellung in Betracht.“ – Es wurde betont, dass solche Operationen nur unter strengen Bedingungen von der Krankenkasse übernommen werden müssen.
Fazit: Wann zahlt die Krankenkasse und wann nicht?
- Keine kosmetischen Eingriffe: Die Krankenkasse zahlt nicht für Operationen, die lediglich ästhetische Verbesserungen zum Ziel haben. Überschüssige Haut nach einem starken Gewichtsverlust gilt in der Regel als kosmetisches Problem, sofern keine schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen nachweisbar sind.
- Krankheitswert entscheidend: Damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt, muss ein klarer medizinischer Krankheitswert nachgewiesen werden. Dies ist der Fall, wenn die überschüssige Haut ernsthafte Beschwerden verursacht – wie etwa chronische Entzündungen oder Funktionseinschränkungen, die durch andere Behandlungsmethoden nicht behoben werden können.
- Entstellung als Ausnahme: Nur wenn die überschüssige Haut eine deutliche Entstellung darstellt, die das soziale Leben erheblich beeinträchtigt, könnte eine Kostenübernahme in Frage kommen. Die bloße Tatsache, dass Hautpartien schlaff oder auffällig sind, reicht jedoch nicht aus – die Entstellung muss schwerwiegend sein.
- Individuelle Einzelfallprüfung: Jeder Fall wird individuell geprüft. Ärztliche Gutachten und der Nachweis über die Schwere der gesundheitlichen Einschränkungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. In diesem Fall konnte die Klägerin nicht ausreichend belegen, dass ihre Beschwerden einen Krankheitswert im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung darstellen.
Für die Klägerin ist das Urteil enttäuschen: es bedeutet, dass sie nicht nur die bereits durchgeführte Operation selbst finanzieren muss, sondern auch keine Unterstützung für die weiteren geplanten Eingriffe erhält. Betroffene, die nach einem großen Gewichtsverlust ähnliche Probleme haben, sollten wissen, dass eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse nur in Ausnahmefällen erfolgt, wenn klare medizinische Gründe vorliegen. Das Urteil ist auf den Seiten der Justiz Hessen verfügbar.
- Wann die Krankenkasse eine OP wegen überschüssiger Haut übernehmen muss – und wann nicht
- Wie das Hessische Landessozialgericht urteilte