Das Leben der Familie eines 39-jährigen Arztes nahm im Sommer 2020 eine tragische Wendung. Der Intensivmediziner verstarb überraschend an einem Toxic-Schock-Syndrom. Seine Witwe musste sich nicht nur mit dem plötzlichen Verlust ihres Ehemannes auseinandersetzen, sondern auch mit der ernüchternden Erkenntnis: Eine Risikolebensversicherung, die den finanziellen Schutz für sie und die beiden Kinder hätte bieten können, fehlte.

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Diese Versicherungslücke führte zu einem Rechtsstreit über zwei Instanzen. Die Witwe forderte 500.000 Euro Schadensersatz von dem Versicherungsmakler, der die Familie jahrelang betreut hatte. Ihr Vorwurf: Er habe es versäumt, ihren Ehemann ausreichend auf die Notwendigkeit einer Risikolebensversicherung hinzuweisen. Doch der Makler wies die Schuld von sich und erklärte, dass er keine Pflicht habe, den Abschluss einer solchen Versicherung aktiv zu empfehlen, wenn kein offensichtliches Risiko vorliege.

Der Weg durch die Instanzen: Wer trägt die Verantwortung?

Das Landgericht Dresden (Az.: 8 O 1530/21) gab der Witwe zunächst teilweise recht und sprach ihr 375.000 Euro Schadensersatz zu. Das Gericht argumentierte, dass der Makler angesichts der Tatsache, dass der Ehemann der Alleinverdiener der Familie war, klar auf die Bedeutung einer Risikolebensversicherung hätte hinweisen müssen. „Eine Todesfallabsicherung bei einer Familie mit einem Hauptverdiener ist ein zentrales Thema, das der Makler proaktiv ansprechen muss“, lautete die Begründung des Landgerichts​. Angesichts der familiären Situation wurde angenommen, dass der Makler seine Beratungspflichten verletzt hatte.

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Auf den ersten Blick wirkte das Urteil des Landgerichts schlüssig: Eine Familie, ein unerwarteter Todesfall und eine fehlende Absicherung – es schien nur folgerichtig, dass der Makler zur Verantwortung gezogen würde. Vielleicht war dies auch der Grund, warum die Witwe überhaupt Berufung einlegte – die Entschädigungssumme von 375.000 Euro schien ihr zu niedrig (freilich ging der Makler ebenfalls in Berufung gegen das Urteil). Es war zu erwarten, dass die Berufung vor dem Oberlandesgericht Dresden auch zugunsten der Witwe entschied. Doch in zweiter Instanz folgte die überraschende Wendung. Denn im Berufungsverfahren am Oberlandesgericht Dresden (Az.: 3 U 79/23) wurde das Urteil des Landgerichts schließlich aufgehoben und die Klage der Witwe wurde abgewiesen.

Warum das Oberlandesgericht die Klage abwies

Ein zentrales Thema im Berufungsverfahren war die Frage, ob der Versicherungsmakler angesichts der familiären Situation – mit einem alleinverdienenden Ehemann – verpflichtet war, zum Abschluss einer Risikolebensversicherung zu raten. Grundsätzlich gehört es zu den Aufgaben eines Maklers, seine Kunden über Risiken aufzuklären und geeignete Versicherungsprodukte zu empfehlen. Besonders bei Familien mit einem Hauptverdiener wäre es üblich, auf die Bedeutung einer Todesfallabsicherung hinzuweisen.

Das Gericht stellte jedoch klar, dass eine Pflicht des Maklers, aktiv zum Abschluss einer Risikolebensversicherung zu drängen, nur dann besteht, wenn eine objektive Gefährdungslage erkennbar ist oder der Kunde den ausdrücklichen Wunsch nach einer solchen Versicherung äußert. In diesem Fall sah das Gericht keine erhöhte Gefährdungssituation. Der Ehemann war zwar als Intensivmediziner tätig – auch während der COVID-19-Pandemie –, jedoch stellte das Gericht fest, dass dies allein nicht als außergewöhnliches Todesfallrisiko einzustufen sei. „Ein allgemeines Sterberisiko allein begründet keine besondere Beratungspflicht des Maklers“, betonte das Gericht.

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Ein weiterer entscheidender Punkt war, dass der Ehemann nicht ausdrücklich den Wunsch geäußert hatte, eine Risikolebensversicherung abzuschließen. Der Makler ist in solchen Fällen nicht verpflichtet, über den Wunsch des Kunden hinweg zu agieren und aktiv eine Versicherung zu empfehlen, die der Kunde möglicherweise nicht für notwendig hält. Das Gericht betonte, dass die persönliche Risikoeinschätzung des Kunden maßgeblich ist und dass der Makler den Kunden zwar informieren, aber nicht ohne dessen Einverständnis drängen muss​

Dokumentationspflicht: Warum die fehlende Dokumentation nicht zur Haftung führte

Ein entscheidender Punkt in diesem Fall war die Verletzung der Dokumentationspflicht durch den Makler. Nach geltendem Recht sind Versicherungsmakler verpflichtet, ihre Beratung zu dokumentieren. Diese Pflicht dient dazu, dem Kunden nachzuweisen, welche Empfehlungen gemacht wurden, und dem Makler als Absicherung, dass er ordnungsgemäß beraten hat.

Im vorliegenden Fall hatte der Makler das Gespräch über die Risikolebensversicherung nicht dokumentiert, was eindeutig gegen seine Pflichten verstößt. Normalerweise führt eine solche Pflichtverletzung zu einer Beweislastumkehr, das heißt, der Makler muss beweisen, dass er korrekt beraten hat. Wie das Oberlandesgericht feststellte: „Die unterlassene Dokumentation des Gesprächs führt zu Beweiserleichterungen für den Versicherungsnehmer.“​ Dies bedeutet, dass es der Klägerin – der Witwe – leichter gemacht wurde, ihre Ansprüche zu stützen, da der Makler durch die fehlende Dokumentation im Nachteil war.

Warum der Makler trotz Beweislastumkehr nicht haftet

Trotz dieser Beweiserleichterung kam es zu keiner Haftung des Maklers, und hier liegt der entscheidende Punkt: Zwar muss der Makler in solchen Fällen nachweisen, dass er ordnungsgemäß beraten hat, aber es genügt nicht, dass die Dokumentation fehlt. Die Beweislastumkehr bedeutet nicht, dass der Makler automatisch haftet, sondern dass er im Streitfall aufzeigen muss, dass keine Fehlberatung stattgefunden hat.

In diesem Fall konnte die Klägerin nicht beweisen, dass der Makler aktiv falsch beraten oder gar von der Risikolebensversicherung abgeraten hat. Das Gericht betonte: „Eine Haftung des Maklers ist nur dann gerechtfertigt, wenn zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, dass der Versicherungsnehmer unzureichend oder fehlerhaft beraten wurde.“​ Hier fehlte es an konkreten Anhaltspunkten für eine klare Fehlberatung, weshalb das Gericht letztlich entschied, dass der Makler nicht haftet.

Warum das Urteil gerecht erscheint

Obwohl die fehlende Dokumentation auf den ersten Blick nach einer klaren Pflichtverletzung aussieht, erklärt sich die Entscheidung des Gerichts aus der Abwägung zwischen der Beweislastumkehr und der weiterhin bestehenden Notwendigkeit, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlberatung vorliegen müssen. Zwar liegt die Beweiserleichterung durch die Verletzung der Dokumentationspflicht beim Kunden. Doch diese bedeutet nicht automatisch, dass der Makler haftet. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Makler unzureichend beraten hat. Ohne diesen Nachweis konnte das Gericht keine Haftung aussprechen. Auch wenn die Dokumentationspflicht eine zentrale Rolle spielt, bleibt es letztlich dabei: Der Makler haftet nur, wenn klar nachgewiesen werden kann, dass seine Beratung fehlerhaft war. In diesem Fall konnte die Witwe diesen Beweis nicht erbringen, und deshalb entschied das Gericht zugunsten des Maklers.

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Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden setzt klare Maßstäbe für die Beratungs- und Dokumentationspflichten von Versicherungsmaklern. Drei wesentliche Punkte lassen sich aus der Entscheidung ableiten:

  1. Keine generelle Pflicht zur Empfehlung einer Risikolebensversicherung: Versicherungsmakler müssen nur dann aktiv den Abschluss einer Risikolebensversicherung empfehlen, wenn eine objektive Gefährdungssituation besteht. Fehlt eine solche, liegt die Entscheidung über den Abschluss der Versicherung in der Hand des Kunden.
  2. Subjektive Risikowahrnehmung bleibt entscheidend: Die Wünsche und Präferenzen des Kunden spielen bei der Beratung eine entscheidende Rolle. Der Makler darf den Abschluss von Versicherungen nicht ohne Rücksicht auf die Vorstellungen des Kunden fordern.
  3. Versicherungsnehmer können aus dem Urteil mitnehmen: Versicherte müssen klar formulieren, welche Risiken sie abgedeckt wissen wollen und auf eine schriftliche Dokumentation der Beratung bestehen. So sollte explizit angesprochen werden, wenn der Wunsch nach einer Hinterbliebenenvorsorge besteht.
  4. Dokumentation ist wichtig, aber nicht immer entscheidend: Obwohl der Makler seine Pflicht zur Dokumentation verletzt hatte, führte dies nicht automatisch zu einer Haftung. Fehlende Dokumentation erleichtert die Beweisführung, doch müssen dennoch Nachweise für falsche Beratung vorgelegt werden. Das Urteil ist auf der Seite der Kanzlei Kotz verfügbar.
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