Der Cum-Ex-Skandal sorgte in den letzten Jahren wiederholt für Schlagzeilen. Unternehmen ließen sich Steuern erstatten, die sie gar nicht gezahlt hatten, indem sie rund um den Dividendenstichtag immer wieder dieselben Aktien schnell kauften und verkauften, um die Kapitalertragssteuer geltend zu machen. Dabei wurde der Besitz der Aktien so verschleiert, dass nicht mehr nachvollziehbar war, wer die Steuer tatsächlich gezahlt hatte. Dies ermöglichte es mehreren Parteien, eine Steuererstattung zu beantragen – obwohl die Steuer nur einmal gezahlt worden war. Der Schaden für die Staatskassen wird auf 10 bis 55 Milliarden Euro geschätzt, jedoch ist es schwierig, den genauen Betrag zu ermitteln, da die Deals komplex und über mehrere Länder hinweg organisiert waren.

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Dieser Skandal wird nun auch für Deutschlands größten Versicherer zum Problem. Wie das „Handelsblatt“ am Dienstag berichtete, haben elf Versicherer die Allianz vor dem Landgericht München verklagt, um Schadenszahlungen aus der Berufshaftpflicht geltend zu machen. Konkret geht es um Forderungen gegen Freshfields, eine Anwaltskanzlei, die ihre Mandantinnen und Mandanten zu Cum-Ex-Geschäften beraten haben soll. Eine Sprecherin des Gerichts bestätigte dem „Handelsblatt“, dass eine Klage von elf Versicherungsgesellschaften vorliegt. Die Allianz und die Kanzlei wollten sich hingegen nicht zu dem Rechtsstreit äußern.

Das Bankhaus und die Anwaltskanzlei

Konkret geht es um die Geschäfte der Maple Bank, ein ehemals in Frankfurt am Main ansässiges Bankhaus mit kanadischer Muttergesellschaft, das infolge des Cum-Ex-Skandals Insolvenz anmelden musste und abgewickelt wurde. Der frühere Bankchef Wolfgang Schuck wurde im Oktober 2022 vom Landgericht Frankfurt am Main zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Er ist der erste Bankchef in Deutschland, der wegen Cum-Ex ins Gefängnis musste. Insgesamt soll das Bankhaus dem deutschen Staat einen Schaden von 383 Millionen Euro verursacht haben.

Als es darum ging, Gelder im Sinne der geschädigten Kundinnen und Kunden einzusammeln, machte der Insolvenzverwalter Michael Frege auch Schadensersatzansprüche gegen die internationale Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer geltend. Deren Beratung zu illegalen Aktiengeschäften habe zum Untergang der Bank beigetragen, so das Argument. Im Rahmen eines Vergleichs zahlte die Kanzlei 50 Millionen Euro. Dieses Geld machte Freshfields wiederum bei mehreren Versicherern geltend, bei denen sie Schutz gegen Falschberatung und entsprechende Schäden genossen hatte.

Laut „Handelsblatt“ hängen die aktuellen Forderungen gegen die elf Versicherer mit einer Besonderheit im deutschen Berufsrecht zusammen. Wer in Deutschland als Anwalt tätig werden will, muss eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen – das gilt auch für international beratende Sozietäten. Diese Haftpflichtversicherung hat Freshfields offenbar bei der Allianz abgeschlossen. Als die Kanzlei jedoch Zahlungen aus ihrer Haftpflicht geltend machen wollte, verweigerte die Allianz die Zahlung. Der Grund ist nachvollziehbar: Der Versicherer soll darauf bestehen, dass es sich bei den Cum-Ex-Geschäften nicht um einen Fall von Fehlberatung handle, sondern um eine Straftat. Demnach habe Freshfields von der Illegalität der Geschäfte gewusst.

Unter anderem wurde Anfang 2024 ein Partner der Kanzlei zu einer Haftstrafe verurteilt: Ulf Johannemann, der zuvor weltweiter Steuerchef bei Freshfields war. Der Vorsitzende Richter erkannte bei der Urteilsverkündung eine „hohe kriminelle Energie“ und „Merkmale organisierter Kriminalität“, wie das „Handelsblatt“ berichtet. Diese Einschätzungen stützen die Interpretation der Allianz. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Freshfields hat bis zuletzt darauf bestanden, dass ihre Cum-Ex-Beratung im Rahmen der geltenden Gesetze erfolgt sei. Die Kanzlei trennte sich erst im Jahr 2019 von Johannemann, obwohl die Vorwürfe bereits seit 2014 juristisch verfolgt wurden.

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Weil die Allianz nicht zahlen wollte, sprang ein Konsortium aus elf internationalen Versicherern ein und klagt nun gegen die Allianz. Der Streitwert wird laut dem Bericht auf 35 Millionen Euro beziffert. Dabei dürfte es auch um die Frage gehen, ob die beratenden Anwälte tatsächlich vorsätzlich illegal beraten haben – und ob die Allianz deshalb eine Zahlung verweigern darf. Denn auch der deutsche Gesetzgeber machte im Cum-Ex-Skandal keine gute Figur. Bis etwa 2012 gab es keine klare Regelung dafür, wie oft eine Steuererstattung bei derartigen Aktiengeschäften für dieselbe Zahlung beantragt werden konnte. Erst mit dem Gesetz zur Vermeidung der Doppelvergütung von Kapitalertragssteuer, das 2012 in Kraft trat, wurde diese Lücke teilweise geschlossen und die steuerlichen Rückforderungen erschwert.