Debeka-Vorstandschef: „Wir als PKV können dem demografischen Wandel relativ gelassen entgegensehen“
Für die Krankenversicherung spielt der demografische Wandel eine immer größere Rolle. Wie aber reagiert Deutschlands größter privater Krankenversicherer darauf? Versicherungsbote sprach exklusiv mit Thomas Brahm – Vorstandsvorsitzender des Debeka Krankenversicherungsvereins a. G. sowie auch Vorsitzender des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. – über die Herausforderungen des Wandels und wie die Debeka mit digitalen Lösungen und mit Gesundheitsförderung darauf reagiert.
- Debeka-Vorstandschef: „Wir als PKV können dem demografischen Wandel relativ gelassen entgegensehen“
- „Für Versorgungslösungen haben wir ein eigenes Tochterunternehmen gegründet“
Versicherungsbote: Welche Herausforderungen entstehen für Sie durch den demografischen Wandel? Und welche Strategien verfolgen Sie, um den finanziellen Herausforderungen des demografischen Wandels in der PKV zu begegnen?
Anzeige
Thomas Brahm: Der demografische Wandel stellt insbesondere die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) vor enorme Herausforderungen. Denn im Umlageverfahren der GKV müssen die Erwerbstätigen letztlich die Ausgaben der Ruheständler mittragen, weil die GKV-Beiträge auf Renteneinkünfte und sonstige Ruhegelder nicht kostendeckend sind. Die Private Krankenversicherung hingegen arbeitet mit einem Kapitaldeckungsverfahren, das sie von der demografischen Entwicklung weitgehend unabhängig macht. Sie sorgt systematisch und transparent dafür vor, dass mit zunehmendem Lebensalter die Krankheitskosten stark steigen. Es werden keine Lasten auf die Zukunft verschoben. Nachfolgende Generationen werden also nicht damit belastet, dass sie die hohen Kosten der Älteren mitfinanzieren müssen.
Grundsätzlich gilt, dass die Beiträge der Versicherten von Beginn an so kalkuliert sind, dass sie schon in jungen Jahren selbst Vorsorge für ihre altersbedingt steigenden Gesundheitsausgaben treffen. Deshalb liegen die Beiträge der Privatversicherten anfangs über den zu erwartenden Gesundheitsausgaben ihrer jeweiligen Altersgruppe. Aus den sich daraus ergebenden zusätzlichen Beitragsbestandteilen bilden die Unternehmen die Alterungsrückstellungen. Diese Mittel werden verzinslich angelegt. So finanzieren alle Versicherten mit ihren Beitragsgeldern vom ersten Tag an auch diesen Vorsorge-Anteil mit – also oft schon seit Jahrzehnten. Und die Versicherungsunternehmen vermehren diese Gelder mit professioneller Kapitalanlage.
Die Beiträge zu einer Privaten Krankenversicherung bleiben somit unabhängig davon, ob sich der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft ändert. Auch der aus der Anlage der Alterungsrückstellung erwirtschaftete Kapitalertrag wird in die Beiträge einkalkuliert. Da die Beiträge in der Privaten Krankenversicherung grundsätzlich für die Dauer eines gesamten Lebens kalkuliert werden, sind langfristige Kapitalanlagen möglich.
Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf Ihre Risikokalkulation und Tarifgestaltung? Müssen Sie bestimmte Risiken häufiger berücksichtigen oder neu bewerten?
Wie bereits dargestellt, sind die Beiträge in der PKV so kalkuliert, dass alle Versicherten gleichen Alters selbst für die mit dem Älterwerden steigenden Kosten vorsorgen. Somit hat der demografische Wandel grundsätzlich keine Auswirkung auf die Kalkulation oder Tarifgestaltung. Neue medizinische Therapieansätze oder neue Medikamente, die speziell ältere Versicherte betreffen, können aber dazu führen, dass wir die Kalkulationsansätze anpassen müssen.
Wie planen Sie, die Qualität der Versorgung für ältere Versicherte trotz steigender Kosten zu gewährleisten?
Wie oben dargestellt, wird durch die Eigenvorsorge in Form der Alterungsrückstellungen in der PKV mindestens ein Teil der Kostensteigerungen aufgefangen. Allerdings ist das Leistungsversprechen der Tarife mit den Versicherten vereinbart und beinhaltet auch den zukünftigen medizinischen Fortschritt; es kann nicht wie in der GKV eingeschränkt werden. Sollte das zu einer Steigerung des Krankheitskostenniveaus führen, muss das durch Beitragserhöhungen gegenfinanziert werden.
Welche Rolle spielen Gesundheitsförderung und Prävention in Ihrer Strategie, um den demografischen Wandel zu bewältigen?
Wir als PKV können dem demografischen Wandel aufgrund der bereits beschriebenen kapitalgedeckten Finanzierung relativ gelassen entgegensehen. Nichtsdestotrotz spielen Gesundheitsförderung und Prävention bei uns eine zunehmend größere Rolle, allein um die Versichertenbeiträge, die durch medizinischen Fortschritt und steigende Lebenserwartung maßgeblich beeinflusst werden, so stabil wie möglich halten zu können.
Mit steigendem Alter nimmt insbesondere das Risiko von chronischen Erkrankungen, wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz zu. Dies ist zum einen auf das biologische Altern, also den physiologischen Alterungsprozess zurückzuführen, wird aber zum anderen nicht unerheblich durch lebenstilassozierte Risikofaktoren beeinflusst. Und an diesem Punkt können wir ansetzen. Zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 2: Diese Erkrankung ist insbesondere im höheren Lebensalter weit verbreitet und kann schwerwiegende Folgeerkrankungen nach sich ziehen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle, Nierenerkrankungen oder Amputationen. Mit dem Älterwerden der sogen. Babyboomer-Generation bzw. mit steigender Lebenserwartung ist damit zu rechnen, dass die von uns zu tragenden Krankheitskosten deutlich zunehmen.
Daher versuchen wir, Versicherte, die an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind, frühzeitig zu sensibilisieren, ihren Lebensstil gesundheitsbewusster zu gestalten. Dies mit dem Ziel, die Erkrankung optimal zu managen, um so Folgeerkrankungen zu vermeiden oder zumindest zu verzögern. Um diesen Prozess zu unterstützen, können unseren Versicherten an einem zwölfmonatigen Coaching teilnehmen, bei dem sie individuell begleitet und beraten werden.
Die Teilnahme an Coaching-Programmen, die speziell für chronisch erkrankte Menschen konzipiert sind, bieten wir noch für weitere Erkrankungsbilder an, wie z. B. COPD, psychische Erkrankungen oder auch orthopädische Krankheitsbilder, die mit Rücken- oder Gelenkbeschwerden einhergehen. Neben der Beratung durch einen persönlichen Coach können bei Bedarf auch digitale Unterstützungs-Tools eingebunden werden.
Anzeige
Im Zusammenhang mit Prävention steht auch das Thema Impfen. Um unsere Versicherten auf dieses Thema aufmerksam zu machen, haben wir erst kürzlich eine Informationskampagne durchgeführt, in der wir allgemein über Impfungen informiert, aber auch gezielt auf die Gürtelrose-Impfung hingewiesen haben, die speziell für die Altersgruppe ab 60 von Bedeutung ist.
„Für Versorgungslösungen haben wir ein eigenes Tochterunternehmen gegründet“
Welche spezifischen Technologien oder digitalen Gesundheitslösungen setzen Sie ein, um die steigenden Behandlungskosten im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel zu senken?
Mit dem demografischen Wandel wird der Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Dies wird zum einen zu steigenden Behandlungskosten führen, aber - vor dem Hintergrund des zunehmenden Mangels an medizinischen und therapeutischen Fachkräften - auch zu möglichen Versorgungsengpässen.
Anzeige
Ein Baustein, um diesen Auswirkungen entgegenzuwirken, ist der Einsatz von Digitalen Gesundheitsanwendungen. Aus diesem Grund erstatten wir unsere Krankheitskostenvollversicherten bei medizinischer Notwendigkeit die Kosten für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa), die im Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfarM-Verzeichnis) gelistet sind, in tariflicher Höhe.
Und wir gehen noch einen Schritt weiter: Wir befinden uns gerade im Aufbau eines Debeka-eigenen Verzeichnisses, in dem weitere digitale Gesundheitsanwendungen aufgeführt sind, mit deren Anbietern wir Selektivverträge geschlossen haben. So können z. B. Versicherte, die an Brustkrebs erkrankt sind, sofortige psychoonkologisches Unterstützung in Form eines Online-Programms erhalten. Auch für Versicherte mit einem Prostatakarzinom bieten wir schon jetzt qualifizierte Hilfe in Form einer speziell für diese Erkrankung entwickelten App an. Dieses Angebot an digitalen Gesundheitslösungen bauen wir kontinuierlich weiter aus.
Für Versicherte mit Herz-Kreislauferkrankungen wie Angina Pectoris, Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkt bietet die Debeka schon seit vielen Jahren die Nutzung eines mobilen EKG-Geräts an. Unsere Debeka-Versicherten können damit von zu Hause aus, zu jeder Tag- und Nachtzeit, ein EKG aufzeichnen und bekommen dazu kurze Zeit später die Auswertung mit entsprechender Handlungsempfehlung. In vielen Fällen kann Entwarnung gegeben werden, da die gefühlten Symptome eine harmlose Ursache haben. Eine Vorstellung des Versicherten beim Arzt oder in der Notaufnahme kann so vermieden werden.
Welche Zusammenarbeit oder Partnerschaften mit externen Gesundheitsanbietern haben Sie entwickelt, um die Versorgungsqualität zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten für ältere Versicherte zu senken?
Wie oben schon erwähnt, bieten wir für eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen spezifische Programme an, an denen betroffenen Versicherte teilnehmen können. Ziel der Programme ist, dafür Sorge zu tragen, dass der Patient eine leitliniengerechte Versorgung erhält und befähigt wird, seine Erkrankung selbst optimal zu managen. Diese Programme werden von spezialisierten Gesundheitsdienstleistern durchgeführt.
Damit wir diese Versorgungslösungen für unsere Versicherten bestmöglich mitgestalten können, haben wir ein eigenes Tochterunternehmen gegründet. Die widecare GmbH ist ein innovativer Qualitätsanbieter für Gesundheitsmanagement, der sich darauf spezialisiert hat, digitalmedizinische und klassische medizinische Ansätze zu vernetzen. Mit widecare haben wir z. B. für Versicherte, die an Krebs erkrankt sind, ein spezielles Programm konzipiert, das sich vor allem um die psychologische Betreuung der betroffenen Menschen kümmert.
Aus einer vorhergehenden Befragung wissen wir, dass insbesondere im Bereich der Psychoonkologie eine große Versorgungslücke besteht. Mit dem Programm möchten wir diese Lücke schließen. Langfristig rechnen wir damit, dass es aufgrund der besseren Versorgung zu weniger stationären Aufenthalten der betroffenen Menschen kommen wird. Wir steigern also zum einen die Versorgungsqualität und können dadurch gleichzeitig Kosten einsparen.
Neben den beschriebenen Programmen haben wir zudem für eine Vielzahl von wichtigen Hilfsmitteln, wie Hörgeräte, Inkontinenzartikel, Atemgeräte, um nur einige zu nennen, Kooperationen mit den entsprechenden Anbietern geschlossen. Zusätzlich zu den besonderen Preiskonditionen profitieren die Versicherten hier vor allem von einem herausragenden Service.
Darüber hinaus arbeiten wir mit einem bundesweit tätigen Sanitätshaus zusammen, um unsere Versicherten mit allen üblichen Hilfsmitteln rund um den Pflege-, Sanitäts- und Mobilitätsbereich optimal zu versorgen. Neben einem vereinfachten Genehmigungsverfahren profitieren unsere Versicherten davon, dass unser Kooperationspartner sich um die komplette Versorgung kümmert: von der Bestellung, über die Lieferung bis hin zu einer möglichen Abholung, sollte das Hilfsmittel nicht mehr benötigt werden.
Welche Forderungen haben Sie an die Gesundheitspolitik, damit die Bewältigung der Herausforderungen gemeistert wird?
Zunächst: man sollte mehr Menschen über Kapitaldeckung absichern. Das Vorbild der Privaten Krankenversicherung sollten noch viel mehr Menschen nutzen und sich mit einer zusätzlichen, kapitalgedeckten Vorsorge absichern. Zum Beispiel sichert die Soziale Pflegeversicherung nur einen Teil der Kosten bei Pflegebedürftigkeit ab. Wer sich vor einer finanziellen Überlastung schützen möchte, kann mit einer privaten Pflegezusatzversicherung vorsorgen. Immer mehr Beschäftigte profitieren auch von betrieblichen Pflegeversicherungen, in denen die Arbeitgeber die Beiträge übernehmen. Hier könnte der Gesetzgeber durch eine gezielte Förderung die kapitalgedeckte Vorsorge und damit die Nachhaltigkeit des Pflegesystems insgesamt stärken.
Wie sehen Sie die Zukunft der PKV in einer Gesellschaft, die zunehmend älter wird?
Das Prinzip der Kapitaldeckung hat selbst in der Niedrigzinsphase gut funktioniert: Seit 2008 hatte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins von 4,25 Prozent schrittweise auf 0 Prozent abgesenkt. Im selben Zeitraum seit 2008 haben sich die Alterungsrückstellungen der PKV mehr als verdoppelt, von damals 134 Milliarden Euro auf über 310 Milliarden Euro Ende 2022. Das Geld der Versicherten ist angelegt in langfristigen Kapitalanlagen, in sicheren Anleihen, in Immobilien, in Infrastrukturprojekten, zum Beispiel auch in Windkraftanlagen. Damit erzielte die Branche selbst nach Jahren der Null-Zins-Politik noch im Jahr 2021eine Durchschnittsverzinsung von über 2,6 Prozent.
Oft gehen die tatsächlichen Zinsgewinne über den von den Unternehmen einkalkulierten Zins hinaus. Zur Verwendung dieser sogenannten Überzinsen gibt es ebenfalls gesetzliche Regelungen: Mehr als 85 Prozent des Überzinses kommen den Versicherten zugute – entweder als zusätzliche Zuführung zu den Alterungsrückstellungen oder als direkte Beitragsentlastung der über 65-Jährigen. Seit dem Jahr 2000 wird als zusätzliche Vorsorge noch ein Zuschlag von zehn Prozent auf den kalkulierten Beitrag aufgeschlagen. Der Zuschlag wird von allen Versicherten bis zum vollendeten 60. Lebensjahr bezahlt und ab dem 65. Lebensjahr dazu eingesetzt, künftige Beitragssteigerungen abzumildern.
Anzeige
Im Jahr 2023 betrugen die Alterungsrückstellungen aller Versicherten in der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung insgesamt über 328 Milliarden Euro. Dank dieser Rückstellungen sind Privatversicherte auch im Alter nicht von der jüngeren Generation abhängig. Angesichts der Herausforderungen, die mit der demografischen Entwicklung auf die GKV zukommen, entlastet die PKV mit ihrem Kapitaldeckungsverfahren daher das gesamte Gesundheitssystem.
- Debeka-Vorstandschef: „Wir als PKV können dem demografischen Wandel relativ gelassen entgegensehen“
- „Für Versorgungslösungen haben wir ein eigenes Tochterunternehmen gegründet“