Frau Pekarek, die soziale Pflegeversicherung stößt an ihre Grenzen. Was läuft hier schief?

Anzeige

Wiltrud Pekarek: Da kommt einiges an Problemen zusammen. Zahlreiche, sicherlich gut gemeinte Reformen haben im Laufe der Zeit dazu geführt, dass die Leistungen erweitert wurden. Zum Beispiel wird Pflegebedürftigkeit seit 2017 umfassender definiert, sodass die Anzahl der Pflegebedürftigen deutlich gestiegen ist. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Leistungsausweitung durch die Deckelung der Eigenanteile in der stationären Pflege. Man rechnet in diesem Jahr mit einem Defizit von 1,5 Milliarden und für 2025 sogar von 3,4 Milliarden Euro. Und das ohne weitere Leistungsausweitungen, die derzeit diskutiert werden. Diese sind keine Antworten auf die Finanzierungsprobleme der umlagefinanzierten sozialen Pflegeversicherung.

Hinzu kommt, dass die Versorgungslage in der Pflege mehr als angespannt ist. Durch die demografische Entwicklung treffen immer mehr Pflegebedürftige auf ein schrumpfendes Betreuungsangebot.

Die Finanzierung fehlt und das Angebot nimmt ab. Muss Pflege wieder Familiensache werden?

Familien leben heute viel weiter verstreut als noch vor 50 Jahren und sind tendenziell kleiner. Das macht die Betreuung schwieriger. Abgesehen davon wissen wir heute, wie hoch die Belastung Angehöriger ist, wenn sie Pflegebetreuung leisten müssen. Neben einem Vollzeitjob ist das nicht stemmbar – und wird den Pflegebedürftigen auch nicht gerecht. Pflege braucht Profis. Die müssen wir entsprechend ausbilden und angemessen bezahlen.

Wie können wir diese Probleme lösen? Müssen wir einfach alle mehr einzahlen?

Nein, es bringt nichts, in ein Fass, das viele Löcher hat, oben einfach immer mehr und noch schneller Wasser – im Fall der Pflegeversicherung Geld – nachzuschütten. Es muss sowohl die Frage nach der ausgewogenen Finanzierung als auch der Verteilung der finanzierbaren Leistungen gestellt werden.

Warum kann die Pflegevollversicherung nicht die Lösung sein?

Die demografische Entwicklung ist, wie sie ist. In den nächsten 30 Jahren wird es ein massives Ungleichgewicht in der Sozialversicherung geben. Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand. Die Leistungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung müssen stabil bleiben. Erforderliche und wünschenswerte Leistungsausweitungen sollten einer privaten, kapitalgedeckten Vorsorge zugeführt werden. Wer dadurch finanziell überfordert ist, für den gibt es heute schon Instrumente des Sozialstaates, ohne dass dafür Gesetze geändert werden müssen.

Sie setzen also auf die private Pflegezusatzversicherung. Wie viel tiefer müssen wir dafür in die Tasche greifen?

Gar nicht so tief, wie viele meinen. Zur Erklärung: Die gesetzliche Pflegeversicherung war nie dafür gedacht, sämtliche Kosten der Pflegebedürftigkeit abzudecken. Sie kommt nur für einen Teil der Kosten auf – das gilt übrigens genauso für gesetzlich wie für privat Versicherte. Eine private oder betriebliche Pflegezusatzversicherung kann vor der drohenden Finanzierungslücke im Pflegefall schützen. Weil die Pflegebedürftigkeit oft erst im hohen Alter eintritt, fallen für jüngere Versicherte in der Regel über einen langen Zeitraum hinweg keine bzw. niedrige Leistungsausgaben an. In dieser Zeit können Versicherer das Geld am Kapitalmarkt anlegen – und die Versicherten profitieren von der Rendite.

Haben Sie ein konkretes Zahlenbeispiel?

Wer mit 30 Jahren ein monatliches Pflegegeld von 1.800 Euro absichern möchte, bezahlt 63 Euro Beitrag pro Monat. Der Einstiegsbeitrag kann bei der Hallesche in den ersten fünf Jahren deutlich reduziert werden, wenn zunächst mit Beiträgen auf Risikobasis ohne Alterungsrückstellungen gearbeitet wird. Im Fall unserer 30-jährigen Person beträgt der Monatsbeitrag zum Start dann nur 5,40 Euro und steigt erst später sukzessive an.

Neben der privaten haben Sie auch die betriebliche Pflegezusatzversicherung als Lösung erwähnt. Wie sieht die Leistung aus?

Das kommt ganz auf den Anbieter an (lacht). Die betriebliche Pflegezusatzversicherung ist noch recht jung am Markt. Die Hallesche bietet ein bisher einmaliges Produkt an: Wir stellen nicht die eigene Pflegebedürftigkeit in den Vordergrund, sondern denken an die Angehörigen. Wir mildern die Doppelbelastung von Pflege und Beruf ab: durch finanzielle Unterstützung, aber auch durch Beratung, Betreuung und Organisation. Davon profitieren sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber.

Wann kommt das in der Breite an?

Wir sind auf einem guten Weg; betriebliche Lösungsansätze haben inzwischen Eingang in die politische Diskussion gefunden. Gleichzeitig leiden ganze Branchen generell am Arbeitskräftemangel. Das bietet Maklern ausgezeichnete Vertriebsansätze.

Nun leben wir alle immer länger und eine Lösung für das Pflege-Dilemma ist noch lange nicht gefunden. Werden wir früher oder später alle selbst als Pflegebedürftige hinten „runterfallen“?

Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Erstens wegen des medizinischen Fortschritts: Immer wieder gibt es neue Entwicklungen, die Pflegebedürftigkeit verhindern oder um Jahre hinauszögern können. Beispielsweise kann eine Gürtelroseimpfung ab 60 Jahren als positiver Nebeneffekt zusätzlich das Risiko für eine Demenzerkrankung um 25 Prozent verringern, wie man jetzt entdeckt hat.

Zweitens wissen wir immer mehr darüber, wie wir möglichst lange gesund bleiben können: Bewegung und Ernährung spielen hier eine ganz entscheidende Rolle. Es gibt vor allem in der jüngeren Generation einen spürbaren Trend weg von Zigaretten und Alkoholkonsum. Nicht jeder wird im Alter zum Pflegefall.

Grundvoraussetzung bleibt allerdings, dass wir die Finanzierung in den Blick nehmen, mehr Kapitaldeckung ins System bringen und gleichzeitig davon Abstand nehmen, dass sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Pflege anfallen, von einer Versicherung oder dem Staat übernommen werden können.

Anzeige

Hintergrund: Das Interview ist zuerst in der Ausgabe 02/2024 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen – in der Sonderausgabe „Versicherungsbotin“. Die Fragen stellte Michael Fiedler. Das Magazin kann hier kostenfrei abonniert werden.