Versicherungsbote: Der Schadenfall gilt bei Versicherungen als der entscheidende Punkt für die Kundenzufriedenheit und -bindung. An welchen Schrauben können Versicherer drehen, um die Kundenzufriedenheit in der Autoversicherung zu steigern?

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Sina Rintelmann: Der Schadenfall ist tatsächlich der Moment der Wahrheit für jede Versicherung. Hier entscheidet sich, ob ein Kunde das Unternehmen als verlässlichen Partner wahrnimmt oder nicht. Um die Kundenzufriedenheit in der Autoversicherung zu steigern, müssen wir mehrere Hebel betätigen.

Geschwindigkeit und Effizienz in der Schadenbearbeitung sind von zentraler Bedeutung. Kunden erwarten, dass ihr Schaden zügig, unkompliziert und möglichst fallabschließend abgewickelt wird.

Darüber hinaus ist die Transparenz im Prozess entscheidend. Kunden möchten jederzeit wissen, in welchem Stadium sich ihr Schadenfall befindet. Eine klare und kontinuierliche Kommunikation schafft Vertrauen und minimiert Unsicherheiten. Unsere Kunden schätzen es außerdem, dass wir ihnen Wahlmöglichkeiten bei der Schadenbearbeitung bieten, etwa zwischen einer Auszahlung, einer Reparatur in einer Partnerwerkstatt oder der Möglichkeit, selbst einen Reparaturbetrieb auszuwählen.

Leider hört man immer wieder von Bearbeitungszeiten von Kfz-Schadenfällen von sechs, sieben oder acht Wochen. Wie kann es zu solch langen Wartezeiten kommen?

Lange Bearbeitungszeiten bei Kfz-Schadenfällen können verschiedene Ursachen haben. Zum einen kann dies mit der Art des Schadens zu tun haben: je komplexer der Schadenhergang oder die Haftungskonstellation, desto langwieriger die Schadenbearbeitung. Zum anderen können Personalengpässe bei den Versicherern, den Werkstätten sowie Lieferverzögerungen bei den Autoherstellern dazu führen, dass Reparaturen erst verspätet durchgeführt werden.

Ein weiteres Problem kann eine mangelnde Digitalisierung und Vernetzung von Prozessen sein. In traditionellen Systemen werden viele Schritte manuell bearbeitet, was zu Verzögerungen führen kann. Deshalb haben wir bereits frühzeitig begonnen, in neue Bestandsführungs- und Schadensysteme zu investieren. Sie bilden eine wichtige Basis für die Digitalisierung und ermöglichen einen reibungslosen Datenaustausch mit unseren Dienstleistern.

Und zu guter Letzt führen auch die zunehmenden Extremwetterereignisse zu einem erhöhten Arbeitsaufkommen. So war beispielsweise 2023 ein äußerst hagelintensives Jahr. KI-basierte Lösungen, wie zum Beispiel ein Hagelscanner, können dabei helfen, Schäden schneller zu begutachten, zu regulieren und damit die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. Trotz aller technologischen Innovationen setzen wir weiterhin insbesondere auf unsere Schadenexperten, um eine schnelle und hochwertige Schadenbearbeitung langfristig sicherzustellen.

Einige Versicherer wollen bei Kfz-Schäden künftig verstärkt Gebrauchtteile einsetzen. Ist das auch für Ihr Haus ein gangbarer Weg?

Der Einsatz von Gebrauchtteilen bei der Reparatur von Kfz-Schäden kann in vielen Fällen sinnvoll sein, insbesondere wenn es um ältere Fahrzeuge geht, bei denen Neuteile oft unverhältnismäßig teuer oder gar nicht mehr verfügbar sind. Für die VHV Allgemeine ist dies durchaus ein gangbarer Weg, jedoch immer unter der Prämisse, dass Sicherheit und Qualität der Reparatur nicht beeinträchtigt werden.

Wir prüfen derzeit, in welchen Szenarien der Einsatz von Gebrauchtteilen sinnvoll und wirtschaftlich ist, ohne Kompromisse für unsere Kunden einzugehen. Wichtig ist auch dabei eine transparente Kommunikation mit dem Kunden.

Wir leben in einer Welt, in der wir die Lieferung online gekaufter Waren live verfolgen können. Was kann die Versicherungsbranche von Amazon & Co. lernen?

Die Versicherungsbranche kann insbesondere im Bereich der Selfservices und Prozessverfolgung noch viel dazu lernen. Kunden erwarten heute eine nahtlose, transparente und digitale Interaktion. Sie wollen in Echtzeit über den Status ihres Anliegens informiert werden, sei es nun der Versand einer Bestellung oder der Fortschritt der Schadenabwicklung. Für uns bedeutet das, dass wir in Maßnahmen investieren, die es dem Vermittler oder Kunden ermöglichen, den Bearbeitungsstand seines Schadenfalls live nachzuverfolgen.

Dennoch setzen wir in der Betreuung und Kommunikation weiterhin auch auf persönliche Ansprechpartner. Der direkte Kontakt mit unseren Kunden und Vermittlern ist wichtig, insbesondere bei komplexen Anliegen.

Welche Rolle spielen bei Ihnen im Unternehmen KI-basierte Technologien, wenn es um die Schadenbearbeitung geht?

Das Herzstück unserer Schadenbearbeitung sind unsere erfahrenen Schadenexperten. Gleichermaßen sind digitale Tools und automatisierte Prozesse fester Bestandteil unserer täglichen Arbeit. KI soll uns entlasten, damit wir uns auf komplexe Sachverhalte und den Kontakt zu Vermittlern und Kunden konzentrieren können.

Die Arbeitsergebnisse von KI dienen uns als Empfehlung und müssen von unseren Experten kritisch eingeordnet werden. Die abschließende Entscheidung wird durch die Kolleginnen und Kollegen getroffen. KI ersetzt uns Menschen nicht, sondern hilft uns.

Haben Vermittler auch Zugang dazu? Oder sind sie auf andere Weise in den Prozess der Schadenbearbeitung eingebunden?

Die VHV Allgemeine ist Maklerversicherer. Wir arbeiten mit ca. 14.000 Vermittlern eng und vertrauensvoll zusammen und gehen in den regelmäßigen Dialog mit ihnen.

Unsere Vermittler sind ein wichtiger Teil des Prozesses und haben selbstverständlich Zugang zu unseren digitalen Plattformen. Sie können beispielsweise den Status eines Kfz-Schadenfalls einsehen und sind somit in der Lage, ihre Kunden jederzeit zu informieren und zu betreuen.

Wie integrieren Sie Kundenfeedback in die Weiterentwicklung Ihrer Schadenmanagementprozesse; und wie können Vermittler dabei helfen, wertvolles Feedback zu sammeln?

Kundenfeedback ist für uns ein zentraler Bestandteil zur kontinuierlichen Verbesserung. Nach abgeschlossenen Schadenfällen bitten wir unsere Kunden um ihre Meinung. Dieses Feedback fließt direkt in die Optimierung unserer Prozesse ein.

Unsere Vermittler spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Sie stehen in engem persönlichen Kontakt mit ihren Kunden und können wertvolles Feedback sammeln, das über individuelle Erfahrungen hinaus geht.

Zusammen mit unseren Vermittlern arbeiten wir kontinuierlich daran, unsere Schadenmanagementprozesse so zu gestalten, dass sie nicht nur den aktuellen Anforderungen gerecht werden, sondern auch zukünftige Entwicklungen antizipieren.

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Hintergrund: Das Interview ist zuerst in der Ausgabe 02/2024 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen – in der Sonderausgabe „Versicherungsbotin“. Die Fragen stellte Björn Bergfeld. Das Magazin kann hier kostenfrei abonniert werden.