„Landwirte setzen früh auf neue Techniken“
Maren Diersing-Espenhorst ist Chefredakteurin der Fachzeitschrift Land & Forst und studierte Agrarwissenschaftlerin. Im Interview spricht sie über die neuesten technischen Entwicklungen und Hilfsmittel in der Landwirtschaft – und verrät, wie innovationsfreudig Landwirte wirklich sind.
Versicherungsbote: Die Landwirtschaft im Jahr 2024 ist geprägt von hochtechnisiertem Gerät und vielfältiger Analyse. Moderne Traktoren oder Mähdrescher sind mittlerweile fahrende Computer, die GPS-gesteuert auf den Millimeter genau fahren können. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
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Maren Diersing-Espenhorst: Landwirtinnen und Landwirte sind von jeher Innovationen gegenüber aufgeschlossen gewesen, anders wären die Produktionssteigerungen nicht möglich gewesen. Diese Entwicklung begann nicht erst vor ein paar Jahren. Im Jahr 1900 konnte ein Landwirt etwa vier Personen mit Nahrungsmitteln versorgen, heute sind es etwa 140 Menschen. Diese können sich wiederum anderen Aufgaben widmen. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wäre also ohne eine Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft gar nicht möglich gewesen. Landwirtinnen und Landwirte sind häufig ganz früh dabei und testen neue Techniken aus. Und das finde ich großartig.
Welche Maschinen, Geräte oder Software finden Sie besonders spannend?
Ich finde nach wie vor, dass Melkroboter eine Wahnsinnserfindung waren. Die ersten wurden bereits Anfang der 1990er Jahre in Milchviehbetrieben eingesetzt – und haben seitdem eine, für mich, unglaubliche Entwicklung gemacht. Die automatischen Melksysteme melken die Herde und sorgen damit für eine Arbeitsentzerrung auf den Betrieben, denn nun können die Landwirtinnen und Landwirte ihre Arbeit freier einteilen. Melkroboter liefern zudem jede Menge Aktivitäts- und Gesundheitsdaten der Kühe, die ausgewertet werden und frühzeitig auf eventuelle Krankheiten oder Leistungseinbrüche hinweisen können. Dadurch kann schnell und in der Regel früher gehandelt werden.
Welche Möglichkeiten gibt es heute beim Nährstoffmanagement und der Bodenanalyse und welche Technik kommt hier zum Einsatz?
Nährstoffmanagement wird immer wichtiger für die landwirtschaftlichen Betriebe. Landwirtinnen und Landwirte müssen sich schließlich bei der Düngung an Grenzwerte halten. Hier kommt zum Beispiel Nahinfrarotspektroskopie zum Einsatz. Damit lassen sich die Nährstoffe organischer Dünger bestimmen. Das geschieht während der Gülleausbringung: Am Güllefass, an Befüllstationen, am Tank-Lkw oder am Ausbringfahrzeug sind Sensoren installiert. Diese erfassen Stickstoff, Ammonium, Phosphat, Kalium und Kalk in kg/m3 sowie die Trockenmasse in Gewichtsprozent. Beim Güllefahren lassen sich die Ausbringmengen dadurch genauer dosieren und die Nährstoffgaben exakter beziffern.
Inwiefern sind autonome Roboter praxistauglich, und welche Erfahrungen haben Landwirte mit deren Einsatz bisher gemacht?
Roboter sind bereits im Einsatz. Ein gutes Beispiel ist hier der FarmDroid. Das ist ein Agrarroboter, der sät und Pflanzenschutz betreibt. Auf dem Roboter sind Solarmodule. Die erzeugte Energie kann gespeichert werden und damit kann der FarmDroid rund um die Uhr O2-neutral arbeiten. Von ihm sind inzwischen immerhin schon über 300 Stück europaweit im Einsatz.
Welche spezifischen Vorteile bieten Drohnen mit Multispektralkameras im Vergleich zu traditionellen Methoden der Bodenüberwachung, und wie rentabel sind sie für kleinere Betriebe?
Drohnen mit Multispektralkameras können Unterschiede in den Pflanzenbeständen durch ein spezifisches Reflexionsverhalten sichtbar machen. Auf diese Weise kann auf Unterschiede in der Stickstoffversorgung in der Teilfläche reagiert werden.
Auch im chemischen Pflanzenschutz bieten Drohnenaufnahmen ein großes Einsparpotenzial. Die Kosten einer mit Multispektralkameras ausgestatteten Drohne liegen zwischen 12.000 und 15.000 Euro. Das ist viel Geld, besonders für kleinere Betriebe. Deshalb kann es sich für diese Betriebe anbieten, einen Dienstleister zu beauftragen, der das Überfliegen und das Erstellen digitaler Karten für Applikationsanwendungen je Hektar abrechnet.
Wie lassen sich digitale oder technische Neuheiten in der Praxis umsetzen, und welche Hürden gibt es bei der Implementierung in bestehenden Betrieben?
Landwirtinnen und Landwirte sind technikaffin. Sie setzen gerne Innovationen ein. Herausfordernd sind natürlich – wie in allen Bereichen – die meist besonders am Anfang hohen Kosten und oft auch rechtliche Hürden. Und, so traurig, wie es auch klingen mag, die fehlende Netzabdeckung in Deutschland. Wir benötigen 5G, um die Techniken auch einsetzen zu können – und das wirklich und wahrhaftig an jeder „Milchkanne“. Außerdem benötigen wir eine Zulassung von Robotern und autonomen Systemen im Straßenverkehr, damit die Geräte zwischen den Ackerflächen hinund herfahren können.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und landwirtschaftlichen Betrieben für die Entwicklung und Einführung neuer Technologien?
Ganz wichtig. Aber meistens ist es eher eine Art Dreiecksbeziehung zwischen Forschungseinrichtung, Landtechnikhersteller und Landwirtschaft. Sie arbeiten eng zusammen und lernen von den unterschiedlichen Erfahrungen. Zwei Beispiele bei uns in Niedersachsen sind das Agrotech Valley oder PraxisLabor Digitaler Ackerbau. Das Agrotech Valley Forum ist eine angewandte Forschungseinrichtung und bündelt als eine Art unternehmensgetriebenes Netzwerk mit starkem Praxisbezug Expertise im Bereich digitaler Agrartechnologien. Man möchte damit einen erfolgreichen und nachhaltigen Transfer innovativer Technologien in die Landwirtschaft gewährleisten. Im PraxisLabor Digitaler Ackerbau der Landwirtschaftskammer Niedersachsen wurde ein Testbereich geschaffen, der auch im Ackerbau eine Nutzung von 5G ermöglicht und testet. Es werden beispielsweise Arbeits- und Funktionsweisen verschiedener digitaler Landmaschinen und die Messung von Auswirkungen auf natürliche Ressourcen untersucht.
Angesichts der hohen Anschaffungskosten für moderne Technologien, wie bewerten Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis für mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe?
Das hängt natürlich grundsätzlich von der betrieblichen Situation und Ausstattung ab. Ein beeinflussender Faktor ist häufig auch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Da wir auch in der Landwirtschaft einen Fachkräftemangel haben, sind Roboter eine Alternative, um Arbeit erledigt zu bekommen. Dass das gut funktionieren kann, beweisen Melkroboter seit Jahrzehnten. Und in Milchviehbetrieben kommen daneben ja auch noch weitere automatische Systeme zum Einsatz – seien es Spaltenroboter, Fütterungsroboter oder Tränkeautomaten für Kälber.
Zukunft der digitalen Landwirtschaft: Welche neuen Technologien oder Innovationen sehen Sie am Horizont, die die Landwirtschaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren revolutionieren könnten?
Ganz eindeutig KI. Bei dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz – ob nun in der Landwirtschaft oder in anderen Wirtschaftsbereichen – haben wir gerade erst an der Oberfläche gekratzt.
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Hintergrund: Das Interview ist zuerst in der Ausgabe 02/2024 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen – in der Sonderausgabe „Versicherungsbotin“. Die Fragen stellte Björn Bergfeld. Das Magazin kann hier kostenfrei abonniert werden.