Leitungsschäden sind nicht nur ärgerlich, sondern mitunter auch gefährlich. Jeder zweite Tiefbauschaden, der der VHV Allgemeine, dem führenden Versicherer für die Bauwirtschaft, im Jahr 2023 gemeldet wurde, resultierte aus der Beschädigung von Leitungen. In den vergangenen Jahren waren die Zahlen ähnlich. Leitungsschäden betreffen dabei nicht nur Glasfaserkabel, sondern auch lebenswichtige Infrastrukturen wie Wasser-, Gas- und Stromleitungen. Diese Schäden gehören zu den häufigsten Schadensereignissen im Tiefbau und können weitreichende Folgen haben. Die daraus resultierenden Unterbrechungen der Versorgung und der öffentlichen Dienstleistungen sind für die Betroffenen nicht nur ärgerlich, sondern können auch erhebliche Risiken für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Im jährlich erscheinenden VHV-Bauschadenbericht, den die VHV Allgemeine gemeinsam mit dem Institut für Bauforschung herausgibt, untersuchen wir regelmäßig Leitungsschäden und zeigen Möglichkeiten zur Prävention auf.

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Qualität und Verlässlichkeit von Daten notwendig

Zwei prominente Beispiele aus dem Jahr 2023 verdeutlichen das Ausmaß der Schäden: Im Februar wurden bei Bauarbeiten in Frankfurt Glasfaserkabel beschädigt, was zu massiven IT-Ausfällen bei der Lufthansa führte. Tausende Passagiere waren von Verspätungen und Flugausfällen betroffen. Ein weiteres Beispiel ereignete sich im September 2023, als bei Tiefbauarbeiten die Leitungen des ZDF beschädigt wurden. Die Folgen waren Störungen im Fernsehprogramm und ein temporärer Ausfall der Website.

In einem weiteren Fall wurde bei Tiefbauarbeiten für eine Trinkwasserleitung in einer deutschen Stadt versehentlich eine Glasfaserleitung beschädigt, so dass 11.000 Haushalte und mehrere Gewerbebetriebe tagelang ohne Internet waren. Der Grund: Der eingeholte Leitungsplan zeigte den tatsächlichen Verlauf des Glasfaserkabels nicht korrekt an. Solche Vorfälle zeigen die dringende Notwendigkeit für Auftraggeber und ausführende Firmen, vor Beginn der Arbeiten präzise und zuverlässige Informationen über die Leitungsinfrastruktur zu haben.

Die zentrale Herausforderung liegt in der fehlenden Standardisierung und Genauigkeit der bereitgestellten Leitungsdaten. Aktuell gibt es in Deutschland keine einheitlichen Bestimmungen über die Qualität und die Verlässlichkeit dieser Angaben. Die Praxis, vor Tiefbauarbeiten von jedem Netzbetreiber separat Pläne anzufordern, ist nicht nur umständlich und zeitaufwändig, sondern auch fehleranfällig. Wie der VHV-Bauschadenbericht aufzeigt, unterscheiden sich die eingezeichneten und die tatsächlichen Positionen der Leitungen oft um Meter. Das erhöht das Risiko von Leitungsbeschädigungen signifikant.

Zentrales Leitungskataster, verbindliche Standards und Qualifizierung

Um die Situation nachhaltig zu verbessern, brauchen wir eine Reform der geltenden Vorschriften sowie technologische Innovationen. Aus Sicht eines Versicherers der Bauwirtschaft sind folgende Maßnahmen unabdingbar:

  1. Zentrales Leitungskataster: Es ist dringend notwendig, ein zentrales und flächendeckendes Leitungskataster zu schaffen, in dem alle relevanten Versorgungsleitungen eines Gebiets verzeichnet sind. Damit ließen sich unnötige Verzögerungen und Fehler bei der Planung und Durchführung von Bauarbeiten vermeiden. Dieses Kataster muss verbindlich und jederzeit zugänglich sein, um alle Netzbetreiber effizient in den Bauprozess zu integrieren.
  2. Verbindliche Standards für Leitungsdaten: Eine einheitliche Regelung für die Qualität und Präzision der Leitungsdaten würde sicherstellen, dass Leitungsverläufe korrekt erfasst und in den Planungsunterlagen konsistent angegeben werden. Nur mit genauen und zuverlässigen Daten können Leitungsschäden effektiv vermieden werden.
  3. Weiterbildung von Fachkräften: Die kontinuierliche Weiterbildung der im Tiefbau tätigen Fachkräfte ist von entscheidender Bedeutung. Die Komplexität der Versorgungsinfrastruktur wächst, und damit auch die Anforderungen an die Qualifikation des Personals. Zielgerichtete Schulungen und praxisorientierte Fortbildungen könnten dazu beitragen, die Risiken im Umgang mit erdverlegten Leitungen zu reduzieren.

Zumindest als Übergangslösung können moderne Ortungstechnologien dienen. Verfahren zur präzisen Leitungsortung müssen stärker gefördert und in der Baupraxis verpflichtend eingesetzt werden. Diese Technologien ermöglichen es, Leitungsverläufe auch unter schwierigen Bedingungen exakt zu bestimmen, was die Wahrscheinlichkeit von Beschädigungen erheblich senken würde.

Auch genormte Warneinrichtungen können übergangsweise Leitungsschäden reduzieren: Genormte und detektierbare Trassenbänder sowie andere Schutzmechanismen wie Kabelabdeckungen helfen Bauunternehmen, Leitungen frühzeitig zu erkennen und zu schützen.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen

Die Kosten von Leitungsschäden sind erheblich. Neben direkten finanziellen Aufwendungen für Reparaturen und Entschädigungen entstehen wirtschaftliche Schäden durch den Ausfall von Dienstleistungen, wie die Beispiele verdeutlichen.

Die Häufigkeit und die Dimension solcher Vorfälle zeigen, dass Leitungsbeschädigungen weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben. Es ist zu erwarten, dass die Schäden im Zuge des laufenden Ausbaus der Leitungen für Strom aus Windkraft von Nord- nach Süddeutschland eher zunehmen werden. Umso dringlicher ist es, präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Fazit

Leitungsschäden sind vermeidbar, wenn Politik, Wirtschaft und Bauindustrie gemeinsam an Lösungen arbeiten. Eine zentrale Leitungsdatenbank, verbindliche Standards für Leitungsdaten, die Weiterbildung von Fachkräften und der Einsatz moderner Technologien sind essenziell, um die Zahl der Schäden nachhaltig zu senken. Als führender Versicherer der Bauwirtschaft in Deutschland setzen wir uns dafür ein, diese Lösungen aktiv voranzutreiben – zum Wohle von Bauwirtschaft, Netzbetreibern und der gesamten Gesellschaft.

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