Soziale ESG-Anforderungen für (Rück-)Versicherer – ein Überblick
Die Versicherungswirtschaft ist grundlegend in Sachen Nachhaltigkeit auf dem richtigen Weg. Das zeigt unter anderem der aktuelle ESG-Report aus dem Hause Franke & Bornberg. Während in den Bereichen „Environment“ und „Governance“ durchaus messbare Erfolge zu verzeichnen sind, hapert es offenbar beim Thema „Social“. Hier stellt sich die Frage: Wie messbar ist das ‚S‘ in ESG für die Versicherungsbranche? Diesem Thema haben sich Wirtschaftsprüfer Marc Böhlhoff und Torben Geppert von der Prüfungsgesellschaft Forvis Mazars gewidmet.
Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (Richtlinie (EU) 2022/2464) werden die Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sowohl im Anwenderkreis als auch inhaltlich wesentlich erweitert. Die Berichtsinhalte werden durch die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) vorgeschrieben.
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Diese Standards bestehen derzeit aus zwei allgemeinen sowie zehn themenspezifischen Standards, die nur dann umgesetzt werden müssen, wenn das jeweilige Unternehmen sie als wesentlich erachtet. Diese themenspezifischen Standards betreffen die Bereiche Umwelt, Soziales und Governance. Derzeit werden außerdem weitere Standards entwickelt, die sektorspezifische Anforderungen und Konkretisierungen an den Nachhaltigkeitsbericht beinhalten.
Im Folgenden wird ein Überblick über die Berichtsanforderungen zu sozialen Themen gegeben und diskutiert, wo sie in der Versicherungsbranche relevant sein können.
Berichterstattung zu Sozial-Themen im Rahmen der ESG-Vorgaben
Im Bereich Soziales gibt es vier ESRS:
- ESRS S1: Eigene Belegschaft
- ESRS S2: Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette
- ESRS S3: Betroffene Gemeinschaften
- ESRS S4: Verbraucher und Endnutzer
Der ESRS S1 zielt darauf ab, Angaben zu den eigenen Arbeitskräften des Unternehmens bereitzustellen. Der ESRS S2 hingegen erweitert den Blick auf die vor- und die nachgelagerte Wertschöpfungskette, einschließlich der Arbeitsbedingungen bei Lieferanten, Dienstleistern und Unternehmenskunden. Ziel ist es, Verstöße gegen Arbeits- und Menschenrechte entlang der gesamten Wertschöpfungskette transparent zu machen.
Der ESRS S3 befasst sich mit den Auswirkungen auf betroffene Gemeinschaften. Darunter fallen zum Beispiel wirtschaftliche Rechte von lokalen Gemeinschaften wie Wohnraum sowie Wasser- und Sanitärversorgung, aber auch die kulturellen Rechte indigener Völker. Der ESRS S4 soll letztlich Folgen für Verbraucher und Endnutzer des Unternehmens abbilden, die u. a. die persönliche Sicherheit oder die soziale Inklusion der Verbraucher und Endnutzer betreffen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Auswirkungen des ESRS S3 und ESRS S4 nicht nur die unmittelbare Geschäftstätigkeit des Unternehmens, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen müssen. So sind z.B. auch Auswirkungen von Unternehmenskunden auf betroffene Gemeinschaften im Bericht abzubilden. Weitere Berichterstattungspflichten ergeben sich zudem aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sowie der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Beide erfordern eine Betrachtung über den gesamten Wertschöpfungsprozess.
Anwendung der sozialen Berichterstattung bei Versicherungsunternehmen
Die Themen des ESRS S1 zur eigenen Belegschaft sind in der Versicherungsbranche aufgrund der Dienstleistungsstruktur grundsätzlich als wesentlich anzusehen. Es ist auch zu erwarten, dass die Umsetzung des ESRS S1 von der Öffentlichkeit eingefordert wird. In der Praxis zeigt sich bereits, dass die Berichterstattungspflichten Unternehmen anregen, ihre Personal- und Gehaltsstrukturen intensiver zu analysieren und auf Chancengleichheit zu prüfen.
Für Erstversicherer sind auch die Themen des ESRS S4 von Bedeutung. Die Unterthemen des ESRS S4 sind allerdings nicht branchenspezifisch formuliert und bedürfen daher einer Konkretisierung. Themen wie die persönliche Sicherheit der Kunden oder der Schutz von Kindern sind für Versicherungsunternehmen in diesem Kontext in der Regel nicht relevant. Der Fokus liegt hier vielmehr auf verantwortungsvollen Vermarktungspraktiken sowie auf der Beratungs- und Servicequalität. Durch die mangelnde branchenspezifische Konkretisierung entstehen in der Praxis unterschiedliche Interpretationen, die die Vergleichbarkeit der Berichterstattung erschweren.
Neben den eigenen operativen Tätigkeiten erfordert die Regulatorik auch die Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette. Die Themen des ESRS S2 zu Arbeitskräften in der Wertschöpfungskette sind daher vor allem relevant, wenn die Dienstleistungen von Unternehmen oder Service Center erbracht werden, die in Ländern mit weniger entwickelten Arbeitsrechtssystemen ansässig oder tätig sind. Die Sitz- und Tätigkeitsländer können ebenso als Beurteilungskriterium für die Wesentlichkeit der Themen des ESRS S3 dienen, wobei jeweils eine individuelle Beurteilung erforderlich ist.
In der nachgelagerten Wertschöpfungskette von Versicherungsunternehmen, insbesondere in der Kapitalanlage- und Versicherungstätigkeit, können Auswirkungen auf soziale Themen entstehen. Dies betrifft vor allem Investitionen in oder Versicherungen von Unternehmen, die ihrerseits Konsequenzen für ihre Arbeitskräfte, Gemeinschaften oder Verbraucher haben. Um diese mittelbaren Folgen zu identifizieren, sind Analysen der Kapitalanlagen und des Versicherungsportfolios erforderlich. In der Praxis sind solche Analysen aber durch die Datenlage erschwert.
Einerseits sind aussagekräftige Indikatoren zu finden, die die mittelbaren Folgen sachgerecht widerspiegeln. In der Praxis müssen jedoch häufig branchenbasierte Approximationen vorgenommen werden. Andererseits sind solche Indikatoren häufig nicht für das gesamte Portfolio verfügbar. Während bei Corporate Investments im Kapitalanlageportfolio in der Regel die Branchenzugehörigkeit bekannt ist, sodass eine Approximation der Effekte möglich ist, zeigt sich bei Versicherungsportfolios, dass branchenbezogene Schlüssel häufiger fehlen.
Wenn durch diese regulatorisch erforderlichen Analysen wesentliche Auswirkungen auf soziale Themen identifiziert werden, werden diese in den Angabepflichten der ESRS S2 bis S4 nicht direkt berücksichtigt. Konzepte, die in der Praxis häufig bestehen, sind Ausschlusskriterien bei Investitionsentscheidungen, um mittelbare negative Einflüsse auf Menschenrechte und ähnlich gelagerte Sozial-Themen zu verhindern. Diese Konzepte sind jedoch in den bestehenden regulatorischen Anforderungen nicht enthalten. Hier sind also sektorspezifische Anforderungen erforderlich, um die branchenspezifischen Auswirkungen und die in der Praxis oft bereits implementierten Konzepte im Bericht korrekt darstellen zu können.
Soziale ESG-Berichterstattung – Herausforderungen und Perspektiven
Die Sozial-Themen des ESRS S1 und S4 sind in der Regel stark von der eigenen operativen Geschäftstätigkeit eines Versicherungsunternehmen geprägt. Die meisten Auswirkungen, Risiken und Chancen auf soziale sowie Umweltthemen entstehen jedoch indirekt durch die Kapitalanlage- und Versicherungstätigkeit. Diese Branchenspezifika werden aber durch die bisher veröffentlichten regulatorischen Angabepflichten nicht aufgegriffen. Um eine vergleichbare Berichterstattung sicherzustellen, sind daher weitere branchenspezifische Anforderungen sowie Konkretisierungen der bestehenden Angabepflichten erforderlich.
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Für die korrekte Analyse der Auswirkungen im Kapitalanlage- und Versicherungsportfolio ist die Datenlage derzeit noch unzureichend. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich die Datenlage in den kommenden Jahren durch die europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung verbessern wird. Dies wird nicht nur die Datenabdeckung erweitern, sondern auch aussagekräftigere, unternehmensspezifische Indikatoren zur Verfügung stellen.