Die Versicherungsbranche sieht sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. So kämpft die Private Krankenversicherung mit steigenden Gesundheitskosten, bedingt durch medizinischen Fortschritt und eine wachsende Zahl älterer sowie hochbetagter Versicherter. Andere Sparten wie die Wohngebäudeversicherung und (durch Wetterphänomene wie Hagel) auch die Kfz-Versicherung spüren die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher: Extremwetterereignisse führen zu immer höheren Schadenssummen. Zusätzlich trifft die Kfz-Versicherung während der Wechselsaison auf einen intensiven Preiswettbewerb.

Anzeige

Das Ergebnis: Rote Zahlen. In der Wohngebäudeversicherung betrifft dies mittlerweile weite Teile der Branche (Versicherungsbote berichtete), während in der Kfz-Versicherung inzwischen sogar alle Anbieter Verluste schreiben (Versicherungsbote berichtete). Selbst Deutschlands größter Versicherer bleibt von dieser Entwicklung nicht unberührt.

Dies wurde in einem Interview deutlich, das Allianz-Chef Oliver Bäte am 6. Januar 2025 dem Handelsblatt gab. Obwohl der Schwerpunkt des Gesprächs auf Bätes Sicht auf gesamtgesellschaftliche Herausforderungen lag, wurde gegen Ende auch das Kostenproblem der Versicherungsbranche thematisiert – mit einer bemerkenswerten Aussage. Auf die Frage, ob die Allianz an ihre Grenzen stoße, gestiegene Kosten an die Versicherten weitergeben zu können, antwortete Bäte: „Wenn es etwas gibt, das mir den Schlaf raubt, dann ist es die Bezahlbarkeit von Versicherungen.“

„Wir werden uns bald Gedanken machen müssen, welche Leistungen wir abdecken können“

Es sind sodann zwei Bereiche, die den Allianz-Chef als Beispiel dienen müssen: zunächst das „Thema Gesundheit“ – und damit die PKV: „Wir werden uns sehr bald Gedanken machen müssen, welche Leistungen wir noch abdecken können, weil sonst die Prämien für die meisten Menschen unbezahlbar werden“, so Bäte im Handelsblatt. Die Allianz erzielt in der PKV mit verdienten Bruttobeiträgen von 4,15 Mrd. Euro einen Marktanteil von 8,58 Prozent (Platz drei der Branche). Dennoch gingen zwischen 2019 und 2023 insgesamt 32.623 Vollversicherte verloren – trotz eines Prämienwachstums von 28,24 Prozent seit 2014. Dies verdeutlicht, dass der Erfolg in der PKV vor allem durch Beitragsanpassungen erreicht wurde, die jedoch für viele Kunden eine zunehmende finanzielle Belastung darstellen.

Ein zentrales Problem sind die stark gestiegenen medizinischen Leistungsausgaben. Laut PKV-Verband erhöhten sich allein 2023 die Kosten um 13,5 Prozent – ein Trend, der sich auch 2024 fortsetzte. Besonders der Krankenhausbereich wirkt als Kostentreiber, bedingt durch höhere Tarifgehälter, gestiegene Pflegekosten und gesetzliche Mindestvorgaben für das Pflegepersonal. Diese Belastungen führen nicht nur zu steigenden Prämien, sondern auch dazu, dass immer mehr Versicherte in Sozialtarife wie den Basis- oder Notlagentarif wechseln. Im Notlagentarif, der nur minimale Leistungen bietet, stieg die Zahl der Versicherten 2023 um 3,9 Prozent auf 48.910 Personen (Versicherungsbote berichtete). Dies ist eine besorgniserregende Entwicklung, die in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit weiter an Dynamik gewinnen könnte.

Auch in der Kfz-Versicherung scheinen Leistungseinschränkungen ein Weg zu sein

Doch auch in der Kfz-Versicherung – das zweite Beispiel, das Bäte nennt – scheinen begrenzte Leistungen ein Weg der Kostensenkung zu sein: Bäte nennt zum Beispiel die freie Werkstattauswahl, die zum Disput steht. Dabei wird klar, wie angespannt die Lage in der Branche ist: Kein Versicherer war 2023 kostendeckend, und die durchschnittliche Combined Ratio erreichte mit 112,24 Prozent ein Rekordhoch. Treiber dieser Entwicklung sind nicht nur immer teurere Reparaturen durch komplexe Fahrzeugtechnik wie Sensoren und digitale Systeme, sondern auch die wachsende Zahl an Extremwetterereignissen, die erhebliche Schäden verursachen. Der aggressive Preiswettbewerb während der Wechselsaison verschärft die Situation zusätzlich.

Anzeige

Trotzdem hebt sich die Allianz positiv ab. Mit einer durchschnittlichen Prämie von 295,25 Euro je Vertrag – fast 100 Euro mehr als die HUK-Coburg (197,99 Euro) – generiert sie deutlich höhere Einnahmen. Dies erlaubt es der Allianz, trotz eines kleineren Vertragsbestands (14,7 Millionen gegenüber 24,4 Millionen bei der HUK) den Abstand bei den gebuchten Bruttoprämien gegenüber dem größten Konkurrenten zu verringern: 2023 lag dieser Abstand bei 417,07 Millionen Euro, verglichen mit 519,97 Millionen Euro im Jahr zuvor. Gerade diese Fähigkeit, höhere Prämien am Markt durchzusetzen, ist ein entscheidender Vorteil, der die Allianz von vielen Wettbewerbern unterscheidet.

Auch bei der Schaden-Kosten-Quote zeigt die Allianz eine bemerkenswerte Resilienz: Die Combined Ratio der Allianz Versicherungs-AG lag bei 105,67 Prozent – zwar oberhalb der Kostendeckungsgrenze, aber dennoch stabiler als bei 39 von 50 Wettbewerbern, deren Ergebnisse schlechter ausfielen. Im Vergleich dazu erreichte die HUK-Coburg Allgemeine eine Quote von alarmierenden 112,93 Prozent. Selbst die kleinere Allianz Direct – traditionell ein Sorgenkind – zeigt Fortschritte: Ihre durchschnittliche Prämie stieg auf 260,21 Euro, was ihre Position stabilisierte, auch wenn die Combined Ratio mit 120,22 Prozent weiterhin eine Belastung bleibt (Versicherungsbote berichtete).

Neben der Begrenzung der freien Werkstattwahl gibt es weitere Vorschläge zur Kostensenkung – zum Beispiel Telematik-Tarife, bei denen das Fahrverhalten der Kunden analysiert wird. Sicheres und vorausschauendes Fahren wird mit Rabatten belohnt, was langfristig sowohl die Unfallzahlen als auch die Schadenkosten reduzieren könnte. Dieser Ansatz wirft jedoch Datenschutzfragen auf – und wird aus diesem Grund von einigen Kunden skeptisch betrachtet. Ein weiterer Ansatz ist das verstärkte Nutzen von Gebrauchtteilen bei der Reparatur (Versicherungsbote berichtete).

Vorschläge für die Wohngebäudeversicherung

In der Wohngebäudeversicherung gibt es ebenfalls Ansätze, um die finanziellen Belastungen zu bewältigen. Neben den generellen Prämienanpassungen diskutieren Versicherer zusätzliche Ansätze:

  • Flexiblere Tarife mit Selbstbeteiligung: Versicherer bieten Kunden die Möglichkeit, ihre Prämien durch höhere Selbstbeteiligungen oder angepasste Deckungssummen zu senken. Dies kann für Hausbesitzer eine effektive Möglichkeit sein, ihre Versicherungsbeiträge aktiv zu beeinflussen. Allerdings birgt dies das Risiko, dass im Schadenfall höhere Kosten auf die Versicherungsnehmer zukommen, was zu finanziellen Engpässen führen kann.
  • Förderung präventiver Maßnahmen: Präventive Investitionen wie Rückstausicherungen oder der Einsatz feuerfester Materialien verringern das Risiko von Schäden durch Naturkatastrophen oder Leitungswasser. Solche Maßnahmen werden zunehmend von Versicherern gefördert, um langfristig Schadensquoten zu senken. Die Herausforderung besteht jedoch darin, Hausbesitzer von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen zu überzeugen und finanzielle Anreize zu schaffen, damit diese Investitionen getätigt werden.
  • Gezielte Rückversicherungsverträge: Die Rückversicherung ist ein zentrales Instrument, um extreme Schwankungen durch Großschäden wie Hochwasser oder Stürme abzufedern. Diese Verträge ermöglichen es Erstversicherern, ihre Belastungen besser zu kontrollieren. Allerdings führt die steigende Anzahl von Naturkatastrophen auch hier zu höheren Kosten für Rückversicherer, die wiederum an die Erstversicherer weitergegeben werden. Dies könnte die Effektivität dieser Maßnahme langfristig einschränken.
  • Effizienzsteigerung durch Digitalisierung: Die Digitalisierung bietet enormes Potenzial, Kosten zu senken und Prozesse zu beschleunigen. So können digitale Technologien in der Schadensregulierung eingesetzt werden, um Schäden schneller zu erfassen und zu bearbeiten. Automatisierte Prozesse verringern zudem Verwaltungskosten. Die Einführung solcher Technologien erfordert jedoch erhebliche Investitionen, und nicht alle Versicherer verfügen über die notwendigen Ressourcen, um diese Transformation vollständig umzusetzen.

Wie aber könnte die PKV aus diesem Dilemma herausfinden?

Die private Krankenversicherung (PKV) sucht ebenfalls nach Lösungen, um den stark gestiegenen Kosten entgegenzuwirken und die Bezahlbarkeit der Versicherungen zu sichern. Dabei stehen mehrere Ansätze im Fokus:

Anzeige

  1. Prävention und Gesundheitsförderung: Der PKV-Verband setzt auf eine verstärkte Gesundheitsprävention, um Krankheiten frühzeitig zu verhindern. Dies soll langfristig die Ausgaben für teure Behandlungen senken und die Gesundheitskosten insgesamt stabilisieren. Prävention wird zunehmend als Schlüssel gesehen, um die finanzielle Belastung der Versicherten zu verringern.
  2. Tarifoptimierung und Leistungsanpassungen: Eine weitere Möglichkeit ist die individuelle Optimierung bestehender Tarife. Versicherte können Kosten senken, indem sie bestimmte Leistungen reduzieren, etwa Wahlleistungen im Krankenhaus, oder ihre Selbstbeteiligung erhöhen. Allerdings sind solche Maßnahmen mit Vorsicht zu genießen, da sie den Leistungsumfang erheblich einschränken können oder aber Versicherte auch finanziell überfordern können, wenn sie selbst getragene Kosten unterschätzen.
  3. Digitalisierung und Effizienzsteigerung: Die PKV treibt die Digitalisierung voran, um Prozesse effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Dazu gehören digitale Gesundheitsakten und der Ausbau von Telemedizin-Angeboten. Diese Maßnahmen sollen nicht nur Kosten reduzieren, sondern auch die Zufriedenheit der Versicherten steigern.
  4. Reformen im Gesundheitswesen: Der PKV-Verband mahnt zudem, dass zusätzliche Kosten, etwa durch geplante Krankenhausreformen, nicht auf die Versicherten abgewälzt werden sollten. Stattdessen fordert er, dass Investitionen aus staatlichen Mitteln finanziert werden.

Diese Ansätze zeigen, dass auch die PKV auf einen Mix aus Prävention, effizienteren Prozessen und gezielten Anpassungen setzt, um die finanziellen Belastungen in den Griff zu bekommen. Doch wie in der Kfz- und Wohngebäudeversicherung bleibt die Balance zwischen Kostensenkung und Leistungsumfang eine zentrale Herausforderung. Ob diese Maßnahmen ausreichen, hängt davon ab, wie erfolgreich Prävention und Digitalisierung in die Praxis umgesetzt werden und ob staatliche Reformen die Rahmenbedingungen verbessern. Das Interview mit Bäte ist kostenpflichtig auf der Webseite des Handelsblatts verfügbar.

Seite 1/2/3/