'Gemeinsam geht es schneller und effektiver'
Die Versicherungsbranche steht vor wegweisenden Veränderungen: Demografischer Wandel, Digitalisierung und KI stellen Herausforderungen dar, bieten jedoch ebenso Chancen für Innovation und Effizienz. Welche zentralen Bausteine für die Zukunft entscheidend sind, erklärt Dr. Philipp Johannes Nolte, Geschäftsführer des InsurLab Germany, im Interview.
Herr Dr. Nolte, wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen und Chancen für die deutsche Versicherungswirtschaft?
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Die Herausforderungen der Branche liegen teils im Geschäftsmodell: Versicherungen sind stabile Unternehmen – eine Stärke, die jedoch auch zu Trägheit führen kann. Bisher gab es keine größeren Disruptionen, doch das darf kein Grund sein, sich zurückzulehnen. Zunehmende regulatorische Anforderungen, sich wandelnde Kund:innenansprüche und der demografische Wandel fordern die Branche heraus. Ältere Zielgruppen fallen weg, neue sind schwerer zu erreichen, und der Fachkräftemangel wird spürbar.
Die demografischen Entwicklungen bieten gleichwohl Chancen zur ambitionierten Modernisierung von Versicherern. Die Anzahl der Mitarbeiter:innen sinkt spätestens mit dem Ausscheiden der Baby Boomer, sodass die verbleibenden Menschen möglichst wertstiftend eingesetzt werden müssen. Dies bedingt ambitionierte Prozessverbesserungen, die sich positiv auf die Kundenzufriedenheit und Kostenquoten auswirken und neue, innovative Produkte ermöglichen – gute Nachrichten für Versicherungen und für Menschen, die sich bisher aufgrund hoher Kosten keine Absicherung leisten konnten. Da staatliche Systeme immer weniger absichern, gewinnen private, erschwingliche Lösungen für bestimmte Risiken an Bedeutung. Der Markt konsolidiert sich, sowohl im Makler- als auch im Versicherungsbereich. Durch Digitalisierung, Daten, KI und Open Insurance entstehen neue Geschäftsmodelle, die Kosten senken, Effizienz steigern und zusätzlichen Mehrwert für Kund:innen schaffen.
Welche Rolle spielen Start-ups im Allgemeinen und InsurTechs im Speziellen in diesem Kontext?
Start-ups sind oft die Treiber bahnbrechender Innovationen und wagen sich an Herausforderungen, die etablierte Unternehmen selten angehen. In Deutschland gibt es immer wieder die Diskussion, wer es in den letzten Jahrzehnten neu in den DAX geschafft hat – die dort gelisteten Unternehmen sind meist schon 50 oder mehr Jahre alt. Seit der Gründung von SAP haben wir eigentlich keine Start-ups mehr auf solcher Flughöhe hervorgebracht, wie man es etwa aus Amerika kennt, wo mittlerweile die „GAMAM-Ökonomie“ bzw. „Big Tech“ dominiert. Uns prägen eher etablierten Konzerne, die zum guten Teil schon seit über 100 Jahren bestehen.
Start-ups spielen hierzulande eine Schlüsselrolle für ambitionierte Innovationen. Dafür braucht es Offenheit in der Branche – für neue Ideen und frische Ansätze. Gleichzeitig müssen Start-ups die Besonderheiten der Versicherungswelt verstehen, damit Innovationen wirkliche Schmerzpunkte adressieren sowie sinnvoll und tragfähig umgesetzt werden können. Wichtig ist also ein gutes gegenseitiges Verständnis.
(Generative) AI bleibt auch weiterhin ein großes Thema. Wie stehen Sie dazu? Und welche weiteren Trends sehen Sie in der Branche?
Gen AI ist in der Tat ein zentrales Thema, das aber eng mit Voraussetzungen wie Cloud-Infrastrukturen und erforderlichen, hochwertigen Daten verknüpft ist. Schon jetzt lassen sich damit viele sehr drängende Schmerzpunkte im in den Unternehmen angehen und „niedriger hängende Früchte“ schnell und systematisch ernten. Gleichwohl bietet Gen AI Chancen für echt innovative und völlig neue Ansätze. Was alles möglich ist und wie wir uns möglicherweise hin entwickeln, thematisieren wir in einer InsurLab Germany Publikation, die in Kürze erscheint. Hyperpersonalisierung, die in Wechselwirkung mit AI steht, gewinnt ebenfalls an Bedeutung. Im Vertrieb steht Embedded Insurance stark im Fokus, auch Open Insurance gewinnt zunehmend an Relevanz. Hier könnten wir Dank der sehr ambitionierten Financial Data Access Regulation (FiDA) sehr bald eine neue FinTech Gründungswelle sehen. Bei anderen Trends, wie etwa Virtual Reality, bin ich hingegen etwas skeptisch und sehe aktuell noch einen längeren Entwicklungsweg.
Welche Themen stehen für das InsurLab Germany im kommenden Jahr im Fokus, und welche konkreten Projekte oder Initiativen sind geplant, um die Branche weiter zu unterstützen?
Das InsurLab bleibt seiner Mission treu: Wir treiben die Branche voran, indem wir Akteure zusammenbringen, die Fortschritt gestalten wollen. Unser Ziel ist es, Angebote zu schaffen, bei denen sich Menschen gerne austauschen, ins Tun kommen und miteinander sowie auch voneinander lernen. Gemeinsam geht es schneller und effektiver.
Ein Schwerpunkt liegt 2025 auf der Skalierung von generativer und „traditioneller“ KI. Es geht darum, Technologien ganzheitlich zu denken, zu skalieren und in die Produktivität zu überführen. Es geht auch darum, Prozesse in der Versicherungswirtschaft, die oft durch ihre Komplexität gebremst werden, neu zu gestalten. Wir möchten gezielt dabei unterstützen, Effizienzpotenziale voll auszuschöpfen. Weiterhin findet man bei uns zudem Antworten auf nahezu alle drängenden Fragen rund um die Transformation in der Versicherungsbranche.
Wir entwickeln uns weiter, ohne uns völlig zu verändern: Bewährte Formate wie Topic Days, Bootcamps und Topic Groups bleiben erhalten und werden weiterentwickelt, während wir neue Formate testen. So möchten wir Regulatorikthemen in Projekten aufgreifen und gemeinsam mit Unternehmens-Expert:innen erste Schritte gehen. Masterclasses ergänzen das Angebot und bieten die Möglichkeit, spezifischere Themen in der Tiefe zu durchdringen, greifbare Ergebnisse zu erzielen und den Austausch zu stärken. Außerdem wollen wir gezielt neue Zielgruppen ansprechen und mit diesen spezifischen Themen adressieren – das bringt zusätzliche inhaltliche Tiefe.
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