Eine Karriere als Profifußballer ist der Traum vieler Jungen. Doch sie ist kurz, intensiv – und oft endet sie abrupt. Das erlebte auch der Kläger eines langwierigen Rechtsstreits über mehrere Instanzen: ein ehemaliger Bundesliga-Torwart, der nach einer schweren Knieverletzung seine Fußballschuhe endgültig an den Nagel hängen musste.

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Was folgte, war keine Rückkehr ins Rampenlicht, sondern ein harter Kampf – nicht nur um seine Gesundheit, sondern auch um seine finanzielle Zukunft. Sein Gegner? Seine eigene Berufsunfähigkeitsversicherung. Zunächst aber lief alles nach Plan. Die Versicherung zahlte dem Ex-Profi eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 2.024,18 Euro. Eine wichtige Stütze, die ihm half, sich ein neues Leben aufzubauen. Einige Jahre später schien sich seine Lage zu stabilisieren. Der ehemalige Torwart fand eine neue Tätigkeit als Torwarttrainer bei einem ambitionierten Verein. Zwar war das Gehalt – knapp 97.358 Euro im Jahr – deutlich niedriger als zuvor, doch immerhin blieb er dem Fußball treu.

Aus Sicht der Versicherung war das Grund genug, die Rentenzahlungen einzustellen. „Diese Tätigkeit ist Ihrer bisherigen Lebensstellung durchaus angemessen“, hieß es. Die Begründung: Die Arbeit als Trainer sei eine vergleichbare Tätigkeit – die Voraussetzungen für Berufsunfähigkeit seien damit nicht mehr erfüllt.

Die konkrete Verweisung: die faire Schwester der abstrakten Verweisung – eigentlich

Grund für die Einstellung der Zahlungen war die sogenannte konkrete Verweisung – ein häufig eingesetztes Instrument in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie erlaubt es Versicherern, ihre Leistung einzustellen, wenn der Versicherte nachweislich eine neue Tätigkeit aufgenommen hat, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Dabei wird die tatsächliche berufliche Situation des Versicherten berücksichtigt; im Gegensatz zur abstrakten Verweisung, bei der der Versicherer theoretisch auf jede Tätigkeit verweisen kann, die der Qualifikation des Versicherten entspricht – unabhängig davon, ob er diese überhaupt ausübt.

Die konkrete Verweisung wird in modernen Berufsunfähigkeitsversicherungen noch immer verwendet – anders als die abstrakte Verweisung, die nach viel Kritik aus den meisten Bedingungswerken geflogen ist. Denn die konkrete Verweisung ist in vielen Fällen ein faires Mittel, um den Versicherten nicht zu benachteiligen und gleichzeitig die Versicherung vor dauerhaften Zahlungsverpflichtungen zu schützen. Doch diese Verweisung hat klare Grenzen: Eine Tätigkeit gilt nur dann als vergleichbar, wenn sie in Bezug auf Anforderungen, Einkommen und soziale Wertschätzung der bisherigen Tätigkeit nahekommt. Genau auf diese Regelung berief sich die Versicherung. Ihrer Ansicht nach sei die Tätigkeit als Torwarttrainer durchaus vergleichbar mit dem Beruf des Profitorwarts. Die fachlichen Anforderungen seien ähnlich, und das neue Gehalt sei ausreichend, um die bisherige Lebensstellung zu wahren.

In der ersten Instanz scheiterte die Klage

Doch das sah der Kläger anders. Wie könne eine Tätigkeit, die ihm über 80 Prozent weniger Einkommen bringt, als vergleichbar gelten? Er zog vor das Landgericht Karlsruhe (Az. 9 O 128/23). Die Hoffnung auf ein schnelles Ende des Streits erfüllte sich jedoch nicht. Die Richter gaben der Versicherung recht. In der Urteilsbegründung heißt es: „Der Einkommensverlust ist branchenüblich.“ Es sei nicht ungewöhnlich, dass aktive Spieler nach ihrer Karriere deutlich geringere Einkünfte erzielen. Die Tätigkeit als Torwarttrainer sei daher als „fachlich vergleichbar“ mit dem Beruf des Profitorwarts anzusehen.

Doch der Kläger wollte sich damit nicht zufriedengeben. Er legte zusammen mit seinem Anwalt Berufung ein – und das Oberlandesgericht Karlsruhe (Az. 12 U 34/24) nahm sich des Falls an. Hier nahm das Verfahren eine entscheidende Wende.

Das OLG Karlsruhe grenzte sich deutlich von der Entscheidung der Vorinstanz ab. Die Richter des Oberlandesgerichts erklärten: „Ein Einkommensverlust von über 70 Prozent kann in der Regel nicht als zumutbar angesehen werden.“ Tatsächlich war das Einkommen des Klägers jedoch noch drastischer gesunken – von 586.858 Euro auf 97.358 Euro pro Jahr, was einem Rückgang um rund 83 Prozent entspricht.

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Das Gericht stellte klar, dass eine Tätigkeit nur dann als vergleichbar gelten könne, wenn das Einkommen „nicht spürbar und dauerhaft unterschritten“ werde. Ein solcher drastischer Einkommensverlust lasse keinen Zweifel daran, dass die Vergleichbarkeit hier nicht gegeben sei.

Das Urteil des Oberlandesgerichts: Warum die konkrete Verweisung nicht greift

Das OLG Karlsruhe grenzte sich deutlich von der Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe ab. Die Vorinstanz hatte das stark gesunkene Einkommen des Klägers als branchenüblich bezeichnet und argumentiert, dass es im Fußballgeschäft normal sei, dass ehemalige Profis nach ihrer aktiven Karriere deutlich weniger verdienen. Dies sei kein außergewöhnlicher Umstand und somit auch kein Argument gegen die Vergleichbarkeit der neuen Tätigkeit.

Doch die Richter des OLG Karlsruhe widersprachen dieser Sichtweise. Nach ihrer Auffassung überschritt der Einkommensverlust die Grenze des wirtschaftlich Zumutbaren deutlich. Tatsächlich war das Einkommen des Klägers drastisch gesunken – von 586.858 Euro auf 97.358 Euro pro Jahr, was einem Rückgang um rund 83 Prozent entspricht. Das Gericht stellte klar, dass die neue Tätigkeit weit davon entfernt sei, die wirtschaftliche Lebensstellung des Klägers zu sichern. Ein derart drastischer Einkommensverlust lasse keinen Zweifel daran, dass die Vergleichbarkeit hier nicht gegeben sei. Es gehe nicht um einen kleinen Einbruch, sondern um eine spürbare und dauerhafte Unterschreitung des bisherigen Niveaus – ein klares Indiz dafür, dass die Verweisung nicht zulässig war.

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Vom Rampenlicht ins Abseits – Warum die soziale Wertschätzung zählt

Doch das OLG Karlsruhe machte ebenfalls deutlich: Es geht nicht nur ums Geld. Die Lebensstellung eines Versicherten werde auch durch die soziale Wertschätzung seines Berufes geprägt. Die Richter verwiesen darauf, dass nicht allein die Vergütung ausschlaggebend sei, sondern auch die gesellschaftliche Wahrnehmung und das Ansehen des Berufes. Im Beruf des Klägers spielte das öffentliche Prestige eine entscheidende Rolle. Als Bundesliga-Torwart war er ein bekanntes Gesicht. Medienberichte, Interviews und Fankontakt gehörten zu seinem Alltag. Seine Leistung wurde nicht nur von der Fachwelt, sondern auch von einer breiten Öffentlichkeit anerkannt und bewertet. Dieses Maß an Aufmerksamkeit und Anerkennung verschaffte ihm eine besondere soziale Stellung – nicht nur auf dem Platz, sondern auch darüber hinaus.

Mit dem Wechsel in die neue Tätigkeit änderte sich diese Wahrnehmung grundlegend. Als Torwarttrainer blieb er zwar im Fußballgeschäft, doch seine Rolle verschob sich deutlich. Seine Arbeit war fachlich wichtig, aber kaum sichtbar. Medieninteresse? Fehlanzeige. Interviews oder öffentliche Auftritte? Höchstens am Rande der Spiele. Sein sozialer Status war damit im Wesentlichen auf das interne Umfeld des Vereins begrenzt.

Die soziale Wertschätzung eines Torwarttrainers ist schlicht nicht mit der eines Bundesliga-Torwarts zu vergleichen. Während die Verantwortung und die Nähe zum Profifußball erhalten blieben, war das öffentliche Prestige deutlich geringer – ein klarer Verlust an sozialer Stellung, der bei der Bewertung der Vergleichbarkeit berücksichtigt werden musste.

Unzureichende Begründung – welche Kriterien Einstellungsmitteilungen erfüllen müssen

Das OLG Karlsruhe rügte nicht nur die unzureichende Begründung der Verweisungen, sondern auch deren inhaltliche Substanz. „Auch im Prozess ist keine formal wirksame Einstellung erfolgt“, heißt es im Urteil (Az. 12 U 34/24). Nach ständiger BGH-Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 12.06.1996 – IV ZR 106/95) wäre es sogar möglich gewesen, eine Einstellungsmitteilung während des Prozesses nachzuholen.

Doch dies hätte im vorliegenden Fall nicht ausgereicht. Die Versicherung verfolgte eine besondere Argumentationslinie, die bei Sportlern häufig anzutreffen ist: Sie versuchte, die Lebensstellung des Klägers nicht mit seiner Tätigkeit als Profitorwart zu vergleichen, sondern mit dem typischen Karriereverlauf eines Sportlers nach der aktiven Laufbahn. Ihr Ziel: zu beweisen, dass der Einkommensrückgang nicht auf die Berufsunfähigkeit zurückzuführen sei, sondern eine normale Entwicklung für ehemalige Profis darstelle.

„Der Kläger hätte auch ohne Berufsunfähigkeit nicht über das 40. Lebensjahr hinaus sein Einkommen als aktiver Torwart erzielt, weshalb seine dadurch bedingte Lebensstellung mit seiner jetzigen zu vergleichen sei“, führte die Versicherung aus. Doch das Gericht bemängelte, dass diese Argumentation unzureichend und unkonkret blieb. „Konkretere Ausführungen dazu, wie sich die Lebensstellung des Klägers als Profifußballer nach dem Ende seiner aktiven Karriere ohne den Eintritt der Berufsunfähigkeit ihrer Auffassung nach typischerweise dargestellt hätte, hat die Beklagte […] nicht gemacht“, heißt es im Urteil.

Eine nachvollziehbare Prognose über das zu erwartende Einkommen und die soziale Stellung eines ehemaligen Profitorwarts fehlte völlig. Die bloße Behauptung, dass das Einkommen sinken würde, reichte nicht aus, um die Vergleichbarkeit der neuen Tätigkeit zu belegen. Ohne konkrete Zahlen und eine realistische Prognose blieb die Argumentation der Versicherung lückenhaft.

Was bedeutet das Urteil für Makler und Versicherte?

Das Urteil des OLG Karlsruhe verdeutlicht, dass die konkrete Verweisung klare Grenzen hat. Entscheidend ist nicht allein, ob eine neue Tätigkeit aufgenommen wurde, sondern ob diese tatsächlich in Einkommen, sozialer Stellung und beruflichen Anforderungen vergleichbar mit der bisherigen Tätigkeit ist. Für Versicherte heißt das:

  • Prüfen Sie die tatsächliche Vergleichbarkeit. Ein erheblicher Einkommensverlust – wie im Fall des ehemaligen Profitorwarts – ist ein starkes Indiz dafür, dass die Verweisung nicht zulässig ist. Das Gleiche gilt für einen Prestigeverlust.
  • Nicht nur die formale Einstellungsmitteilung zählt. Die Begründung muss auch inhaltlich belastbar sein. Allgemeine Aussagen zum typischen Karriereverlauf reichen nicht aus. Es braucht eine nachvollziehbare Prognose, wie sich die Lebensstellung ohne Berufsunfähigkeit entwickelt hätte.

Für Makler zählt: Karriereverläufe realistisch einschätzen. In Berufen mit typischen Einkommensschwankungen – etwa im Profisport, in der Kunst oder im Medienbereich – besteht ein erhöhtes Risiko, dass die Vergleichbarkeit nach Wegfall der Rente fehlerhaft bewertet wird. Eine nachvollziehbare Begründung durch den Versicherer ist entscheidend, doch oft bleibt diese lückenhaft. Gerade hier eröffnet sich die Chance, erfolgreich gegen eine Verweisung vorzugehen.

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Am Ende bleibt eine wichtige Botschaft: Die konkrete Verweisung ist kein Freifahrtschein für Versicherer. Versicherte haben das Recht auf eine umfassende und realistische Bewertung ihrer Lebensstellung – in allen relevanten Aspekten. Das vollständige Urteil ist auf der Webseite des Landesrechts Baden-Württemberg verfügbar.

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