Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts zeichnen ein klares Bild: Kein Wirtschaftszweig hat eine so hohe Lohnlücke zwischen Männern und Frauen wie die Finanz- und Versicherungsbranche. Der unbereinigte Gender Pay Gap beträgt hier 26 Prozent – deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt von 16 Prozent. Die Frage ist: Warum ist die Lücke gerade in dieser Branche so groß? Und was sagen diese Zahlen über die Arbeitswelt von Männern und Frauen aus? Ein genauerer Blick zeigt: Die Ursachen sind komplex und vielschichtig.

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Unbereinigter Gender Pay Gap: Was wird hier gemessen?

Der unbereinigte Gender Pay Gap misst den durchschnittlichen Unterschied im Bruttostundenlohn aller Frauen und Männer – entweder branchenübergreifend (wenn der deutschlandweite Gesamtwert berechnet wird) oder innerhalb einer einzelnen Branche. „Unbereinigt“ bedeutet, dass Unterschiede in Beruf, Qualifikation, Hierarchiestufe oder Arbeitszeitmodell nicht berücksichtigt werden. Dadurch vergleicht der unbereinigte Gap die Gesamteinkommen und macht strukturelle Unterschiede in der Beschäftigung sichtbar.

Beispiel: Wenn ein männlicher Investmentmanager und eine weibliche Teilzeitkraft im Kundenservice in die gleiche Berechnung einfließen, scheint die Lohnlücke enorm groß. Tatsächlich arbeiten beide zwar in derselben Branche, aber in völlig unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Gehaltsklassen.

Trotz dieser Verzerrung ist der unbereinigte Gender Pay Gap ein wichtiger Indikator. Er zeigt, wie ungleich die Verteilung der Geschlechter auf verschiedene Positionen und Hierarchieebenen ist. Wenn Frauen vor allem in niedrig bezahlten oder administrativen Tätigkeiten arbeiten, während Männer überproportional häufig in Spitzenpositionen oder spezialisierten, besser bezahlten Rollen vertreten sind, deckt dieser Wert die strukturelle Ungleichheit am Arbeitsmarkt auf – eine Realität, die im bereinigten Gender Pay Gap verborgen bleibt.

Warum ist die Lücke in der Finanz- und Versicherungsbranche so groß?

Die Finanz- und Versicherungsbranche zeichnet sich durch eine breite Gehaltsspanne und große Unterschiede zwischen Fach-, Führungs- und administrativen Tätigkeiten aus. Besonders die Spitzengehälter in der Finanzwirtschaft und bei Versicherungsunternehmen treiben den unbereinigten Gender Pay Gap deutlich nach oben. Ein Beispiel verdeutlicht das: Allianz-Chef Oliver Bäte verdiente 2023 laut Unternehmensbericht 7,9 Millionen Euro (Versicherungsbote berichtete), während Sachbearbeiterinnen oder administrative Kräfte in der Versicherungsbranche oft mit 30.000 bis 40.000 Euro Jahresgehalt auskommen müssen (Versicherungsbote berichtete). Auch innerhalb der Investment- und Backoffice-Bereiche gibt es erhebliche Unterschiede:

  • Investmentmanager oder Aktuare können Gehälter von 100.000 Euro und mehr erzielen – je nach Erfahrung und Verantwortungsbereich sind auch Gehälter über 150.000 Euro möglich.
  • Sachbearbeiterinnen im Backoffice oder Assistenzkräfte liegen dagegen oft bei 35.000 bis 50.000 Euro jährlich.

Leistungsabhängige Boni und variable Vergütungsmodelle verschärfen die Lohnungleichheit zusätzlich. Während Investmentmanager und Führungskräfte oft jährliche Bonuszahlungen im sechsstelligen Bereich erhalten, spielen Boni in administrativen Tätigkeiten und Servicefunktionen meist keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Beispiel: Ein Risikomanager oder Abteilungsleiter kann zusätzlich zu seinem Grundgehalt von 150.000 Euro einen Jahresbonus von 50.000 bis 100.000 Euro erhalten. Mitarbeiterinnen im Kundenservice oder in Assistenzrollen hingegen beziehen meist nur ein fixes Jahresgehalt, ohne leistungsbezogene Zusatzvergütung.

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Diese ungleiche Verteilung der Bonusregelungen und die breite Spreizung der Gehälter treiben den unbereinigten Gender Pay Gap in die Höhe. Während die Durchschnittsgehälter der Männer durch Spitzengehälter stark ansteigen, bleibt der Anteil der Frauen an den bestbezahlten Positionen gering. Kein anderer Wirtschaftszweig weist eine derart ausgeprägte Kombination aus leistungsorientierten Vergütungsmodellen, hohen Spitzengehältern und strukturellen Unterschieden auf wie die Finanz- und Versicherungsbranche – was die besonders hohe Lohnlücke in diesem Bereich erklärt.

Wo ist die Lohnlücke geringer – und warum?

Nicht alle Branchen sind gleichermaßen von hohen Lohnunterschieden betroffen. Einige Wirtschaftszweige weisen einen deutlich geringeren Gender Pay Gap auf, wie die neuen Destatis-Zahlen zeigen – oft mit spezifischen strukturellen Gründen:

  • Verkehr und Lagerei: Drei Prozent – In dieser Branche fällt der Gender Pay Gap äußerst gering aus. Der Grund dafür ist jedoch weniger eine bessere Bezahlung von Frauen, sondern die geringe Anzahl weiblicher Beschäftigter. Männer stellen hier die überwiegende Mehrheit, und die wenigen Frauen arbeiten oft in denselben Tätigkeiten und Gehaltsklassen wie ihre männlichen Kollegen, was den Unterschied statistisch klein erscheinen lässt.
  • Gastgewerbe: Sechs Prozent – Auch hier fällt der Gender Pay Gap vergleichsweise gering aus. Die Einkommen in dieser Branche sind generell niedriger und homogener, sodass große Gehaltsunterschiede seltener auftreten.
  • Erziehung und Unterricht: Neun Prozent – Diese Berufe sind klassisch weiblich geprägt, weshalb der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen gering bleibt. Allerdings ist auch hier der geringe Gender Pay Gap kein Zeichen völliger Gleichstellung, sondern eher Ausdruck einer geschlechterhomogenen Struktur.

Geschlechtsverteilung als entscheidender Faktor

In Branchen mit geringem Gender Pay Gap ist häufig die Geschlechterverteilung die entscheidende Ursache. Wo entweder überwiegend Frauen oder überwiegend Männer beschäftigt sind, bleibt die Lohnlücke statistisch kleiner, da es schlicht weniger Vergleichsmöglichkeiten zwischen Männern und Frauen gibt.

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Auch Einkommensunterschiede zwischen den Branchen hoch

Nicht nur der Gender Pay Gap, sondern auch die generelle Gehaltsstruktur unterscheidet sich erheblich zwischen einzelnen Branchen. So gehören die Finanz- und Versicherungsbranche sowie der Bereich Information und Kommunikation zu den Wirtschaftszweigen mit den höchsten Durchschnittsgehältern, während das Gastgewerbe oder die Erziehungsberufe am unteren Ende der Einkommensskala liegen. Im Gastgewerbe beträgt das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen oft nur 2.000 bis 2.500 Euro, während in der Finanzwirtschaft durchschnittliche Gehälter von 4.000 bis 5.000 Euro keine Seltenheit sind. Auch Tarifbindung und Unternehmensgröße spielen eine Rolle. Große Unternehmen zahlen oft höhere Gehälter und haben klarere Gehaltsstrukturen als kleine Betriebe, was die Lohnungleichheit reduzieren kann.

Erste Schritte zur Reduzierung der Lohnlücke: Die Allianz-Initiative als Beispiel

Einige Unternehmen haben die Problematik der Gehaltsunterschiede erkannt und erste Schritte unternommen, um gegenzusteuern. Ein Beispiel ist die Allianz, die sich das Ziel gesetzt hat, Gehaltstransparenz zu fördern und Frauen in Führungspositionen gezielt zu unterstützen. Die Allianz überprüft regelmäßig die Gehälter von Männern und Frauen, um unbegründete Unterschiede aufzudecken und zu korrigieren. Gleichzeitig sollen Mentoring-Programme und die Förderung von flexiblen Karrieremodellen Frauen dabei helfen, Managementpositionen zu erreichen und ihre berufliche Entwicklung langfristig zu sichern (Versicherungsbote berichtete).

Doch solche Ansätze allein reichen nicht aus, um die immensen Gehaltsunterschiede zwischen Spitzenpositionen und administrativen Tätigkeiten vollständig auszugleichen. Ein Investmentmanager oder Vorstandschef kann ein Jahresgehalt von mehreren Millionen Euro erzielen, während Mitarbeiterinnen in kundenorientierten oder unterstützenden Funktionen oft nur 30.000 bis 40.000 Euro jährlich verdienen. Der unbereinigte Gender Pay Gap in der Versicherungsbranche spiegelt somit nicht nur den Unterschied zwischen den Geschlechtern, sondern auch das hierarchische Gefälle innerhalb der Branche wider.

Wichtig dabei: Auch Männer in unteren Hierarchieebenen sind von niedrigeren Gehältern betroffen. Das Problem verschärft sich jedoch, weil Frauen überproportional häufig in diesen geringer bezahlten Tätigkeiten arbeiten, während Männer deutlich öfter Spitzenpositionen oder spezialisierte Fachrollen besetzen. Diese ungleiche Verteilung ist ein wesentlicher Grund für den hohen unbereinigten Gender Pay Gap in der Branche. Der bereinigte Gender Pay Gap könnte genauer zeigen, wie groß die Unterschiede auf vergleichbaren Positionen und mit ähnlicher Qualifikation tatsächlich sind. Aktuelle branchenspezifische Daten hierzu liegen jedoch leider nicht vor.

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Ein möglicher Lösungsansatz sind Gehaltsbänder – klar definierte Spannen für bestimmte Positionen, die eine obere und untere Verdienstgrenze festlegen. Sie schaffen mehr Transparenz und verhindern große Gehaltsabweichungen, die häufig durch individuelle Verhandlungen entstehen. Frauen sind hier oft im Nachteil, weil sie laut Studien seltener aktiv höhere Gehälter oder Boni einfordern. Gehaltsbänder reduzieren diese Unterschiede und sorgen für eine gerechtere Verteilung der Gehälter über alle Hierarchieebenen hinweg. Langfristig könnten sie helfen, die strukturellen Lohnunterschiede innerhalb der Branche abzubauen.

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