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Die Beiträge in der Kfz-Versicherung steigen seit Jahren – für viele Autobesitzer wird der Versicherungsschutz zur finanziellen Belastung. Und ein Ende dieser Entwicklung scheint nicht in Sicht. Klaus-Jürgen Heitmann, Vorstandschef der HUK-Coburg, bezeichnete die Kfz-Versicherung einst als „brachialen Markt“. Die aktuellen Zahlen bestätigen diese Einschätzung eindrücklich. Während 2022 noch die Hälfte der Versicherer eine Combined Ratio (CR) von über 100 Prozent verzeichnete, zeichnet der neue Branchenmonitor Kfz-Versicherung 2024 ein deutlich düstereres Bild: Im Jahr 2023 konnte kein einziges Unternehmen kostendeckend arbeiten. Die durchschnittliche Schaden-Kosten-Quote kletterte von 102,55 Prozent auf alarmierende 112,24 Prozent – ein Rekordhoch in der jüngeren Branchengeschichte. Damit schreiben aktuell alle Versicherer rote Zahlen. Selbst Branchenriesen wie Allianz und HUK-Coburg geraten unter Druck.

Zum Jahreswechsel hatte der Kfz-Versicherungsindex von Vergleichsportal Verivox durchschnittliche Preissteigerungen von 24 Prozent vorausgesagt. Besonders betroffen sei die Vollkasko-Versicherung, deren Preise um bis zu 25 Prozent gestiegen sind. Dabei hatten die Gesellschaften im Vorjahr erst die Beiträge deutlich angepasst. Ein deutliches Warnsignal kam im April 2024 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Kfz-Versicherer sollten ihre Tarife stärker anheben, um wirtschaftliche Schwierigkeiten aufgrund der sogenannten Schadeninflation zu vermeiden. „Vor allem in der Kfz-Versicherung waren die Prämiensteigerungen branchenweit nicht deutlich genug, um das Geschäft profitabel zu betreiben. Dauerhaft defizitäre Sparten akzeptieren wir aber nicht“, sagte Julia Wiens, bei der Aufsichtsbehörde für die Versicherungsaufsicht zuständig, in einem Interview mit dem „Handelsblatt“.

Für das Jahr 2024 geht der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft erneut von einem Minus aus. „Nach unserer aktuellen Hochrechnung werden die Kfz-Versicherer einen Verlust von rund zwei Milliarden Euro verzeichnen. Die Beitragseinnahmen werden auf rund 33,8 Milliarden Euro steigen, aber die Versicherer müssen für jeden eingenommenen Euro 1,06 Euro für Schäden und Verwaltung ausgeben“, erklärt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV. Diese schlechten Zahlen seien wesentlich auf die steigenden Reparaturkosten zurückzuführen.

„Sowohl Ersatzteile als auch die Arbeit in den Kfz-Werkstätten werden immer teurer: Die Ersatzteilpreise sind im Vergleich zum Vorjahr um über sechs Prozent gestiegen. Die Werkstattkosten lagen schon 2023 mit 188 Euro pro Stunde auf einem Rekordwert“, so Asmussen. Im Jahr 2023 kostete ein durchschnittlicher Sachschaden in der Kfz-Haftpflichtversicherung eines Pkw rund 4.000 Euro, vor zehn Jahren waren es noch 2.500 Euro. Wie sich die aktuelle Situation auf die Prämien der Kfz-Versicherung auswirken wird, ist eine Entscheidung jedes einzelnen Versicherers und nicht Sache des Verbandes. „Aber selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Schäden und den Beiträgen für eine Kfz-Versicherung“, betonte Asmussen.

Allianz setzt auf gebrauchte Ersatzteile

Um die Kosten in den Griff zu bekommen, setzen Versicherer auf neue Strategien. Die Allianz etwa plant künftig verstärkt mit gebrauchten Autoteilen zu arbeiten. Ein weiterer branchenweit Ansatz sind Tarife mit Werkstattbindung. Dadurch sind Kunden im Falle eines Kaskoschadens an bestimmte Vertragswerkstätten gebunden. Dadurch wollen die Versicherer die Abläufe sowie Kosten für die Reparatur von Autos, die Kosten für Mietwagen und die Kosten für Rechtsstreitigkeiten verringern. „Pro Schadenfall sparen wir etwa 1000 Euro ein.“, sagt Allianz-Chef Oliver Bäte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Damit will der Versicherungskonzern nicht nur die Reparaturkosten, sondern auch die Beiträge im Zaum halten. Der Schritt ist Teil einer umfassenderen Strategie zur Kostensenkung – denn trotz eines Rekordgewinns von 10 Milliarden Euro im Jahr 2024 sieht sich der Konzern wachsendem wirtschaftlichen Druck ausgesetzt.

Auch Digitalisierung und KI sollen helfen, Prozesse effizienter zu gestalten und Schadenbearbeitungen zu beschleunigen. Doch der Spagat zwischen Kundenzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit bleibt eine Herausforderung. Viele Versicherer bald gezwungen sein, noch stärker an den Stellschrauben zu drehen – etwa bei Selbstbeteiligungen oder Leistungskürzungen. Und: Die Gründe kommen für viele Branchenexperten nicht ganz überraschend „Die aktuellen Probleme belegen auch, dass die Branche zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist“, sagt Karsten Crede gegenüber der "Welt". Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Ergo Direkt Versicherung ist inzwischen mit einem eigenen Beratungsunternehmen in diesem Bereich tätig.

Ehemaliger Versicherungschef warnt

Versicherer hätten früher erkennen können, dass Autohersteller ihre letzten verbliebenen Goldesel verstärkt nutzen. „Dann hätten sie die Prämien früher anpassen und moderater ausbalancieren können“, sagt Crede. Ein Grund für die Versäumnisse sieht er in der zu veralteten IT. „Die Prozesse sind teuer, komplex und langsam.“

Bereits seit 2017 setzt die Zurich künstliche Intelligenz bei der Schadensbearbeitung ein. Durch den Einsatz von Software-Robotern könne die durchschnittliche Bearbeitungszeit von einer Stunde auf fünf Sekunden reduziert werden. Allein in der Testphase habe der Versicherer so 40.000 Arbeitsstunden einsparen können. Doch aus dem vielerorts erhofftem Tempo ist nicht viel geblieben. Denn viele Projekte, wie etwa das Melden von Schäden über Fotos und deren anschließende Bearbeitung durch eine KI, bewegten sich an der Oberfläche. Viele Verfahren, die dahinter stünden, blieben derweil unverändert umständlich.

Zudem steige der Druck auch wegen der rasanten technologischen Veränderungen im Auto. Dadurch fehl vielen Versicherern schlicht die Kompetenz, um mit den Herstellern beispielsweise über das Schadenmanagement bei Batterien zu diskutieren. Die Zukunft der Tariflandschaft liege in dynamischen Tarifen. Schließlich liefern moderne Technologie bereits jetzt schon Fahrdaten in Echtzeit. Auf Basis dessen, könnten Tarife noch individueller und flexibler gestaltet werden. Diesen Ansatz verfolgt die Versicherungswirtschaft bereits seit einigen Jahren mit den Teematik-Tarifen. Über zusätzliche Technik wird hierbei das Fahrverhalten ausgewertet. Mit vorsichtiger Fahrweise könnten Tarife so bis zu 30 Prozent günstiger sein. Derartige Angebote werden bis dato aber kaum von Kunden genutzt. Dies könnte sich ändern, wenn die Technik ausgereifter und im Auto direkt verbaut ist. Aber auch über diesem Weg bleibt für die Versicherer viel zu tun.

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