Versicherungsbote: Einer der verbreitetsten Mythen lautet, dass nur körperlich belastende Berufe eine Berufsunfähigkeitsversicherung brauchen. Wie sehen Sie das?

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Jennifer Suttrup: Dieser Mythos ist falsch. Jeder vierte Mensch wird im Laufe seines Lebens berufsunfähig, und das betrifft längst nicht nur Handwerker oder Menschen in gefährlichen Berufen. Psychische Erkrankungen sind mit Abstand der häufigste Grund – etwa ein Drittel der Fälle lassen sich darauf zurückführen. Auch Erkrankungen des Bewegungsapparats oder Krebs betreffen Büroangestellte genauso wie körperlich Arbeitende. Unfälle hingegen machen nur rund sieben Prozent der BU-Fälle aus.

Viele Menschen glauben, dass der Staat im Notfall einspringt und eine ausreichende Absicherung bietet. Wie ist die Realität?

Es gibt die Erwerbsminderungsrente (EMR), aber die Hürden für deren Erhalt sind hoch. Die volle EMR bekommt nur, wer weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann – unabhängig vom Beruf. Selbst wenn die Hürde genommen wird, liegt die durchschnittliche Rente oft unter 1.000 Euro monatlich, was kaum ausreicht, um den Lebensstandard zu halten. Zudem müssen mindestens fünf Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt worden sein, was junge Leute oder Selbstständige häufig ausschließt.

Ein weiterer Mythos lautet, dass man sich das Geld für den Ernstfall selbst ansparen kann. Sehen Sie das auch so?

Nein, das halte ich für eine gefährliche Fehleinschätzung. Wer beispielsweise mit 40 Jahren berufsunfähig wird und bis zur Rente 1.500 Euro pro Monat benötigt, bräuchte Rücklagen von 486.000 Euro. Das schaffen die wenigsten. Eine BU-Rente hingegen bietet ab dem ersten Tag nach Eintritt der Berufsunfähigkeit finanzielle Sicherheit. Ohne Versicherung bliebe oft nur das Bürgergeld als letzte Option.

Manche behaupten, eine Unfallversicherung reiche als Schutz aus. Warum sehen Sie das anders?

Eine Unfallversicherung deckt laut Definition nur Schäden, „wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet“. Doch: Krankheiten wie Krebs oder psychische Erkrankungen, die für die meisten Fälle von Berufsunfähigkeit verantwortlich sind, werden nicht erfasst. Die BU-Versicherung hingegen deckt ein breites Spektrum an Ursachen ab, unabhängig davon, ob die Einschränkung durch einen Unfall oder eine Krankheit verursacht wurde.

Ein weiteres Vorurteil besagt, dass die Beiträge zur BU-Versicherung ständig steigen. Wie handhaben Sie das bei der LV 1871?

Dieser Mythos hält sich hartnäckig und hat seinen Ursprung vermutlich darin, dass einige Versicherer in der Vergangenheit tatsächlich den Nettobeitrag erhöht haben. Es gibt bei der BU-Versicherung ja immer zwei Beitragsgrößen: den Netto- und den Bruttobeitrag. Der Nettobeitrag ist der Betrag, den der Kunde im Normalfall tatsächlich zahlt. Der Bruttobeitrag ist die Höchstgrenze, bis zu der der Beitrag theoretisch angepasst werden könnte.

Bei der LV 1871 haben wir diese Anpassung jedoch seit Einführung der Berufsunfähigkeitsversicherung noch nie vorgenommen. Unsere Tarife sind konservativ und auskömmlich kalkuliert, sodass wir die Nettobeiträge stabil halten können. Das ist ein großer Vorteil für unsere Versicherten, weil sie sich langfristig auf ihre Kosten verlassen können. Wir setzen bewusst auf Nachhaltigkeit u. a. in Form einer qualitativ hochwertigen Risikoprüfung und verzichten auf kurzfristige Aktionen mit stark vereinfachten Gesundheitsfragen oder eine aggressive Preiskalkulation, die später zu Beitragserhöhungen führen könnten.

Was würden Sie denen raten, die jetzt immer noch sagen, eine BU ist mir einfach zu teuer?

Eine gute Möglichkeit für eine günstige BU-Versicherung ist die Wahl einer betrieblichen BU-Absicherung, die in der Regel über den Arbeitgeber abgeschlossen wird. Arbeitnehmer profitieren hier von Gruppenrabatten und Steuer- sowie Sozialversicherungsvorteilen. Zudem leisten Arbeitgeber Zuschüsse oder tragen sogar die gesamten Beiträge. Denn: Die betriebliche BU-Versicherung ist auch für Arbeitgeber attraktiv, da sie zur Mitarbeiterbindung beiträgt und eine echte Übernahme sozialer Verantwortung darstellt. Stellen Sie sich einen Handwerker vor, der für eine adäquate BU-Absicherung nur 40 Euro netto aufbringen muss. Wo sonst gibt es außerhalb der betrieblichen BU-Versicherung eine vergleichbare Möglichkeit?

Übrigens erhält man eine betriebliche BU-Versicherung oft mit vereinfachter Gesundheitsprüfung. Davon können gerade Menschen mit Vorerkrankungen profitieren. Wer die Chance hat, eine betriebliche BU-Versicherung abzuschließen, sollte sie ernsthaft in Betracht ziehen. Denn: Sie ist für die Mehrheit der Arbeitnehmer eine wichtige Absicherung, die langfristig ihre finanzielle Freiheit gewährleistet.

In der folgenden Ausgabe räumt Sandra John, Leiterin der Risiko- und Leistungsprüfung bei LV 1871, mit den Vorurteilen auf, eine BU-Versicherung sein schwer zu bekommen und im Leistungsfall werde nicht gezahlt.